Auf der Suche nach dem Stein der Weisen: Das Alchemie-Museum in Kutná Hora
Die Stadt Kutná Hora / Kuttenberg, eine Zugstunde östlich von Prag, ist eines der beliebtesten Ausflugsziele der Tschechen und zieht auch viele Touristen an. Eine der Attraktionen der Stadt ist das Alchimie-Museum, welches mitten in der Stadt liegt und zwar im Gebäude der Touristeninformation. Als es im Jahr 2001 eröffnet wurde, war es weltweit das erste Museum seiner Art. Hier kann man in die Welt der altertümlichen Geheimwissenschaft eintauchen.
Unscheinbar liegt das Museum am Rande des Palacký-Platzes, mitten im historischen Stadtkern Kutná Horas. Das kleine und etwas mythisch angehauchte Alchimie-Museum ist in zwei Sektionen gegliedert, die die geistigen und praktischen Aktivitäten widerspiegeln. Der Museumsraum im zweiten Stock des Gebäudes ist noch nicht besonders geheimnisvoll. Es ist allerdings ein geschichtsträchtiger Raum, der in Beziehung zur Alchimie steht. Hier hat Heinrich der Jüngere von Münsterberg, Sohn des böhmischen Königs Georg von Podiebrad, viel Zeit verbracht. Der Prinz war auch der Alchimie nicht abgeneigt. Er hat hier auch für spirituellen Erfolg gebetet. Denn der Raum ähnelt stark einer gotischen Kappelle – obwohl er nie geweiht wurde, sagt Museumsdirektor Michal Pober:
„Für uns repräsentiert der Raum einen sehr wichtigen Teil der Alchimie, nämlich das Beten in einem Oratorium. Ora et Labora ist das Motto der Alchimisten, also Beten und dann Arbeiten. Ohne spirituelle Energie, so ihr Glaube, stellt sich nicht der erhoffte Erfolg ein. Sehr viel Beten, dann Lesen und Studieren und dann Arbeiten. Das war die Priorität.“
Auf dem kleinen Altar der Pseudo-Kapelle liegt neben einem Totenkopf auch ein dickes, vergilbtes, aufgeschlagenes Buch. Es ist das Lieblingsstück seiner Sammlung, sagt Pober:
„Ich bin sehr von diesem Buch angetan. Das ist ein sehr berühmtes Kräuterbuch von Mattioli. Der Mann, der es ins Tschechische übersetzt hat, war der bekannteste Wissenschaftler und Arzt zu seiner Zeit in Tschechien. Als wir den Keller des Museums ausgemalt haben, haben wir uns ganz genau an seinem früheren Haus in Prag mit all seinen Symbolen wie Blumen und Vögel orientiert. Dieses Buch verbindet praktisch die verschiedenen Teile dieser Ausstellung.“
Der zweite Teil der Ausstellung liegt im besagten Keller des Gebäudes. Michal Pober hat bei der Einrichtung viel Wert auf Details gelegt. Der Sohn einer Britin wurde zwar in Prag geboren, ist aber in England aufgewachsen. Seine Familie war vor den Kommunisten geflüchtet. Nach einigen Jahren in New York ist der 65-Jährige vor 14 Jahren zurück nach Tschechien gekommen. Sein britischer Akzent ist allerdings noch immer unverkennbar. Über sein Lieblingsthema, die Alchimie, möchte er auch lieber auf Englisch reden. Mit seinem langen, grauen Bart und seiner Cordhose wirkt er eher wie ein 68er, nicht wie ein Museumsdirektor. Nebenbei lehrt Michal Pober Shiatsu, eine japanische Form der Körpertherapie. Er ist ein ungewöhnlicher Mann mit einer ungewöhnlichen Verbindung zur Alchimie:
„Jemand aus meinem Bekanntenkreis hat ein paar Steine aus Frankreich mitgebracht, und jeder aus unserer Gruppe sollte einen Stein nehmen und erraten, woher er stammen könnte. Ich nahm einen Stein und eine innere Stimme sagte: ‚Chartres’. Ich hatte die dortige Kathedrale als Jugendlicher einmal besucht. Meine Bekannte war erstaunt und schenkte mir ein Buch über Geheimnisse diverser Kirchen. Es erklärt die Architektur, wie sie sich an alchimistischen Vorstellungen orientiert. So bin ich konkret auf die Alchimie gestoßen.“
Sie hat ihn das ganze Leben begleitet. Das gipfelte in der Eröffnung des ersten Alchimie-Museums der Welt vor sieben Jahren.
Über eine enge Wendeltreppe gelangt man in den Keller. Es ist, als sei man in einer dunklen Höhle. Es hat etwas Mythisches, fast etwas Unheimliches. Man taucht jetzt in das Schaffen der Alchimisten ein und fühlt sich, als sei man im 16. Jahrhundert – die Hochzeit der Alchimie. Dazu erklingen 50 Fugen des deutschen Alchimisten Michael Meier. In der Nachbildung der Labore sieht man ihre Arbeitsmittel, mit denen sie versuchten, beliebige Metalle in Gold zu verwandeln: Destilliergefäße, spezielle Öfen und kleine Schälchen. Es gibt viele, die zu jener Zeit an die Kunst und Wissenschaft der Alchimie geglaubt haben: Mönche, Astrologen, Naturwissenschaftler, Ärzte und der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, Rudolf II. Michal Pober:„Rudolf war ohne Zweifel der größte Förderer der Alchimie in Europa. An seinem Sitz auf der Prager Burg hatte er bis zu 100 Alchimisten gleichzeitig beschäftigt. Und es ging ihm nicht nur um die Suche nach Gold, sondern um alles mögliche Wissen, um das große Ganze. Es war eine bestimmte Weltsicht.“
Die hatte ihren Ursprung im frühen Griechenland, bevor sie über Ägypten zurück nach Europa kam und sich sehr rasch ausbreitete. Bis ins 16. Jahrhundert war Alchimie die angesagteste Wissenschaft überhaupt, sagt Pober. Es ging den Anhängern nicht nur um die künstliche Herstellung von Gold, die Suche nach dem Stein der Weisen oder einem Allheilmittel, sondern auch um die Herstellung von Medikamenten. Vieles drehte sich außerdem um den Glauben. Die Vorstellung, chemische Elemente könnten beliebig ineinander umgewandelt werden, erscheint heute schlicht abwegig. Sie stützte sich damals aber auf gängige Naturphilosophien. Die Alchimie gilt als wichtiges Bindeglied zu den modernen Naturwissenschaften. Sie hat bereits sehr früh wichtige Substanzen wie Metalle, Salze, Mineralien und Säuren entdeckt. Ein Abfallprodukt auf der Suche nach Gold haben noch heute die meisten Menschen in ihrem Küchenschrank. Das europäische Porzellan wurde von einem deutschen Alchimisten entdeckt. Einer der bekanntesten Anhänger war neben Faust auch Isaac Newton. Sein Faible für die Alchimie war früher Tabu, weiß Museumsdirektor Michal Pober:
„Für lange Zeit war es einfach nicht angebracht, über Newtons Alchimie zu sprechen. Wenn Sie in die Bodleian-Bibliothek in Oxford gegangen sind, dann haben die Bibliothekare verlegen an die Decke geguckt, wenn sie danach gefragt haben. Dabei hat Newton viel mehr über Alchimie geschrieben, als über andere Wissenschaften.“
Der 65-Jährige Pober hat in den letzten Jahren eine Veränderung festgestellt. Man nehme Alchimie wieder ernster, sagt er. In Tschechien sowieso:
„Die Tradition der Alchimie ist hier nie wirklich verschwunden. Und als ich mit Tschechen über die Pläne für ein Alchimie-Museum gesprochen habe, haben sie nicht etwa verwundert den Kopf geschüttelt, warum ich das tue oder mich gefragt, was Alchimie überhaupt ist. Für sie war es völlig normal.“
Rund 40.000 Besucher waren bislang im Alchimie-Museum in Kutná Hora. Auch viele junge Leute seien interessiert. Eine davon ist die 18-Jährige Olga Svobodová. Seit zwei Jahren führt sie Besucher an den Wochenenden durch das Museum:
„Die meisten Leute sind überrascht, was Alchimie überhaupt ist. Die meisten denken, dass es bloß ein Experimentieren mit Tiegeln, Gefäßen und verschiedenen Stoffen ist. Sie sind dann überrascht, wenn sie erfahren, dass es den Alchimisten auch um den Glauben und das Geistige ging. Darum geht es auch bei den meisten Fragen. Die Leute wollen etwas über die Haltung der Kirche wissen, über bestimmte Alchimisten und natürlich auch, ob es heute noch Alchimisten in Kutná Hora gibt.“
Davon weiß zumindest Alchimie-Experte Michal Pober nichts. Viele gebe es aber noch in Prag. Der 65-Jährige will mit dem Museum dazu beitragen, dass Leute nicht denken, bei Alchimie handele es sich um das Werk des Teufels. Zumindest könnten einige Errungenschaften von Alchimisten so bezeichnet werden. Neben Porzellan, dem „Weißen Gold“, haben sie nämlich auch das Schwarzpulver entdeckt.