Brennpunkt Balkan: Tschechiens Außenpolitik in Südosteuropa

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Nach den samstäglichen Parlamentswahlen im Kosovo beraten die EU-Außenminister erneut über die Zukunft dieser mehrheitlich von Albanern bewohnten serbischen Provinz. Die Zeit drängt. Schon am 10. Dezember soll die Troika aus EU, USA und Russland den Vereinten Nationen einen Plan vorlegen, der eine Einigung im Tauziehen zwischen Serben und Albanern erzielen könnte. Das Kosovo ist derzeit der wichtigste Fokus der internationalen Balkanpolitik, doch auch in benachbarten Regionen gibt es Grabenkämpfe entlang alter Feindschaften und neuer Hoffnungen. Welche Balkanpolitik verfolgt eigentlich Tschechien?

Parlamentswahlen in Kosovo  (Foto: CTK)
Tschechien und die Balkanstaaten. Noch vor zwei Jahrzehnten lagen sie im direkten Einflussbereich des ehemaligen kommunistischen Machtblocks oder befanden sich auf dem bündnisfreien jugoslawischen Sonderweg. Mittlerweile ist viel passiert. Die frühere Tschechoslowakei hat sich friedlich geteilt, während mehrere Völker Jugoslawiens in einen blutigen Bruderkrieg schlitterten. Nur Slowenien fand rasch den Anschluss an den Westen und trat 2004 gemeinsam mit Tschechien und acht weiteren Staaten der Europäischen Union bei. Anfang 2007 kamen noch Rumänien und Bulgarien dazu. Kroatien ist heute offizieller Beitrittskandidat, die EU-Perspektive der anderen Länder des so genannten Westbalkan ist ungewiss. Vom künftigen Status des Kosovo ganz zu schweigen.

Wie blickt heute eigentlich das offizielle Tschechien auf die krisengeschüttelte Region im Südosten Europas? Welche Faktoren spielen eine Rolle für das Verhältnis zwischen Prag und dem Balkan? Filip Tesar vom Prager Institut für Internationale Beziehungen sieht zunächst einmal historische Gemeinsamkeiten:

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„Tschechien hat ein relativ großes Potential für die Vertiefung der Beziehungen zu den Balkanstaaten. Die ersten modernen Darstellungen der Geschichte Serbiens und Bulgariens wurden im 19. Jahrhundert von einem tschechischen Historiker verfasst. Später hatten die Tschechen einen bedeutenden Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung auf dem Balkan und an der Herausbildung der modernen slawischen Sprachen. Heute gehören Kroatien und Bulgarien zu den beliebtesten Urlaubszielen tschechischer Touristen. Umgekehrt ist Prag für viele Bewohner des Balkans fast schon ein mystisches kulturelles Symbol. Prag ist gleich Hochkultur.“

Ein Blick auf die Karte Europas lässt aber vor allem Distanz erkennen. Prag liegt nördlicher und westlicher als Wien, und wer von Tschechien nach Kroatien fahren will, muss mindestens drei Staatsgrenzen passieren. Doch die Verwandtschaft der slawischen Sprachen verbindet – auch das ein Grund, warum die kroatische Adriaküste längst zum Hausstrand der Tschechen geworden ist.


Zeugnis einer gegenseitigen Befruchtung der Kulturen legt auch die tschechische Minderheit ab, die heute in Südosteuropa lebt, sagt Balkanspezialist Filip Tesar:

„Territorial geschlossene Gruppen von Tschechen im Ausland finden wir heute eigentlich fast nur noch auf dem Balkan. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel ist die tschechische Gemeinde über das Land verstreut, während es in Kroatien, und in geringerem Umfang auch in Bosnien-Herzegowina und Rumänien, noch ganze Dörfer gibt, die von ethnischen Tschechen bewohnt sind. Aus diesem Grund spielen die Tschechen auf dem Balkan auch eine ziemlich bedeutende Rolle für das Auslandstschechen-Programm der Regierung. Prag bemüht sich etwa um die Aufrechterhaltung des tschechischen Schulwesens in den betreffenden Regionen, oder kümmert sich, wie im Fall Rumäniens, um praktische Angelegenheiten wie zum Beispiel den Straßenbau.“


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Ein Kernthema der Balkanpolitik ist auch für Tschechien die Frage, ob und wann weitere Staaten der Europäischen Union beitreten sollen. Politische und wirtschaftliche Reformen sind hier ebenso ausschlaggebend wie die Bereitschaft zur Auslieferung von Kriegsverbrechern oder die Klärung der Kosovo-Frage. Insgesamt aber gilt, dass in Tschechien und anderen neuen EU-Staaten künftige Erweiterungen prinzipiell positiver gesehen werden als in den alten Mitgliedsländern, erklärt Franz-Lothar Altmann, Balkan-Experte an der Universität Bukarest:

„Das kommt vielleicht zum Teil daher, dass die alten Kernländer sich als die zahlenden betrachten, als diejenigen, die zuschießen müssen, und die anderen dürfen kassieren. Ich glaube, dass bei den neuen Mitgliedstaaten dieses Gefühl nicht vorhanden ist. Außerdem meine ich, dass die neuen Mitgliedstaaten wie etwa Tschechien und die Slowakei über die südosteuropäischen Länder besser informiert sind. Deshalb sind sie daran interessiert, dass auch dort Stabilisierung, Demokratisierung und wirtschaftliche Erholung eintritt. Denn sie wissen genau, dass sie die ersten sind, die es spüren, wenn es in den Nachbarländern Probleme gibt.“

Die Tschechen haben zwar keine EU-Außengrenze zu verwalten, instabile Verhältnisse auf dem Balkan sind aber auch nicht in ihrem Interesse:

„Dann kommen die illegalen Zuwanderer, dann kommen die Grenzgänger, die mit Drogenschmuggel und ähnlichem hantieren. Hier in Tschechien ist man sich wohl besser bewusst, was es heißt, ein Land zu sein, das noch ziemliche Probleme hat und eine ziemliche Distanz zum Wohlstandsniveau der EU“, so Altmann.

Trotz der historischen Verbundenheit zu den Völkern des Balkans und trotz der Offenheit gegenüber der Aufnahme neuer Staaten in die EU vermisst Filip Tesar vom Prager Institut für Internationale Beziehungen in Tschechien eine konzeptuell ausgefeilte Balkanpolitik:

„Wenn irgendwelche außenpolitischen Themen die tschechischen Politiker wirklich bewegen, dann sind das in der Regel die Beziehungen zu Deutschland und den Sudetendeutschen und die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Das sind die Bereiche, die Emotionen wecken. In vielen anderen Bereichen aber ist die praktische, alltägliche Politik, die auf der Erfüllung ganz bestimmter strategischer Zielsetzungen beruht, noch nicht so weit entwickelt.“

Für Franz-Lothar Altmann von der Universität Bukarest ist es aber durchaus verständlich, dass die Balkanpolitik nicht zu den außenpolitischen Prioritäten Tschechiens zählt.

„Tschechien hat selbst noch Probleme, muss selbst versuchen, seine Position in der EU zu sichern und seine Transformation zu einem guten Abschluss zu bringen. Das heißt, man hat hier andere Prioritäten, das ist völlig klar. Zum anderen ist auch klar, dass Tschechien in der Außenpolitik nicht so ein großes Gewicht hat. Also warum soll man sich hier groß engagieren und aus dem Fenster hängen, wenn man weiß, dass die großen Länder viel mehr Personal und viel mehr finanzielle Mittel aufwenden können?“

Selbst andere kleine Staaten könnten hier besser berufen sein als Tschechien. Zum Beispiel Slowenien, das Anfang 2008 für ein halbes Jahr den Vorsitz im Europäischen Rat übernehmen wird.