Wege auf Parnass führten durch literarische Salons und Cafés
Wo haben sich früher namhafte Schriftsteller und Künstler in Prag getroffen? Gab es neben den literarischen Salons besonders beliebte Kaffeehäuser und Gaststätten, die als Treffpunkt von Literaten galten? Die Antwort auf diese Fragen kann man in einer Ausstellung finden, die im Prager Schloss Hvezda (Stern) zu sehen ist. Neben zahlreichen Dokumenten aus dem literarischen Archiv des Museums des nationalen Schrifttums kann man dort beispielsweise auch authentische Möbel aus zwei einst bekannten literarischen Salons besichtigen.
Die modernen Strömungen in der Literatur und der bildenden Kunst begannen sich im 19. Jahrhundert zu entwickeln. In dieser Zeit kam es in Böhmen zu einem rasanten Aufschwung des Nationalbewusstseins. Dieser Prozess verlief in Böhmen jedoch unter etwas speziellen Bedingungen. Die tschechische Kultur hatte keinen starken materiellen Hintergrund wie die Kulturen größerer Völker. Es mangelte an Adeligensalons und Vorlesungssälen, und die Kultur- und Aufklärungstätigkeit spielte sich in bescheidenen, fast familiären Verhältnissen ab: In bürgerlichen Salons, Cafés und Gaststätten, wo die Besucher die dort ausliegenden Zeitschriften lesen konnten oder sich nur beim Kaffee- oder Weintrinken unterhielten.
Das Milieu, das man in Prag wegen Unterhaltung und Bildung besuchte, beeinflusste den demokratischen Charakter der tschechischen Kultur für lange Jahre. Ein lebendiger Meinungsaustausch unterstützte die Kontakte der Intellektuellen mit den anderen Bevölkerungsschichten. Diese werden durch viele Dokumente, Bücher und Gegenstände belegt, die aus den Sammlungen des Museums des tschechischen Schrifttums stammen. In zwei Ausstellungssälen können die Besucher die einstigen Prager Salons näher kennen lernen. Die ersten davon sind in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden. Ihre Aufgabe war es, nicht nur die Probleme der nationalen Emanzipation zu lösen, sondern auch einfach die Möglichkeit zu bieten, in einer angenehmen Atmosphäre zusammen zu kommen, sagt die Kuratorin der Ausstellung Yvetta Dörflova. Ein literarischer Salon, der in die Geschichte eingegangen ist, entstand der Kuratorin zufolge erst Anfang der achtziger Jahre:
"In einem Raum stellen wir hier den Salon von Anna Lauermannova, die alle ´babuschka´ - also ´Oma´ genannt haben. Das war schon ein richtiger literarischer Salon, in dem die Muse nicht gefehlt hat. Drei Generationen von Intellektuellen haben den Salon besucht, unter ihnen beispielsweise die Dichter Julius Zeyer oder Jaroslav Vrchlicky oder auch die Brüder Karel und Josef Capek. Anna Lauermannova, geborene Mikschova, hat hoch interessante Briefe geschrieben, von denen hier einige ausgestellt sind. Es ist schade, dass sie ihre Bücher nicht so witzig geschrieben hat. Ihre Prosa ist leider nicht so einfallsreich geschrieben. Wir mussten uns leider entscheiden, welchen Brief wir ausstellen sollen und welchen nicht. Dabei richteten wir uns danach, in wie weit er leserlich ist, damit ihn die Besucher auch lesen können. Für uns als Archivare ist es kein Problem, auch eine schwierigere Handschrift zu entziffern. Wir mussten eine kleine Auswahl aus der spannenden Korrespondenz zusammenstellen, unter anderem auch wegen des beschränkten Raums. Es war nicht möglich alle Besucher des Salons aufzuzählen sowie alle Briefe zu zeigen."
Mehr als 2000 Exponate kann man in der Ausstellung besichtigen, die ihre Kuratorinnen "Die Wege auf den Parnass" genannt haben. Neben dem Salon von Anna Lauermannova und seinen Besuchern gilt die Aufmerksamkeit unter anderem dem Maler Mikolas Ales. Seine Gemälde kennt jeder Schüler in Tschechien, Ales beteiligte sich beispielsweise an der Ausschmückung des Prager Nationaltheaters. Es ist aber nur wenig bekannt, dass der durch seine patriotischen Motive bekannte Künstler auch zahlreiche Prager Gaststätten ausgeschmückt hat. In der Ausstellung werden des Weiteren einige Tischgesellschaften vorgestellt. Die so genannte "Erste Tischgesellschaft von Turnov" (Prvni stolni spolecnost Turnovaku) dokumentiert, wie Menschen, die aus derselben Region stammten, Jahrzehnte lang in Prag zusammentrafen. Die Leute, die sich seit der Studienzeit kannten, haben gemeinsame Ausflüge unternommen und sind regelmäßig in bestimmten Gaststätten zusammengekommen. Ein anderes Beispiel einer Tischgesellschaft bilden die so genannten "Ctvrtecnici" - was man etwa mit "Donnerstagler" übersetzen könnte. Die ehemaligen Mitschüler haben sogar ihr eigenes Jahrbuch herausgegeben. Yvetta Dörflova hat aber noch weitere Sondertipps für die Besucher der Ausstellung:
"Ich meine, dass für die Besucher die Erinnerung an die Gesellschaft Mahabharata hoch interessant sein kann. Es war eine Gesellschaft, die in der Brauerei Zum Heiligen Thomas zusammentraf. Es ist schade, dass es beim Heiligen Thomas wahrscheinlich nie mehr eine Brauerei geben wird, und das dort ein Luxushotel errichtet wird. Die Gesellschaft Mahabharata hatte einen inoffiziellen Vorsitzenden, den Schriftsteller Jakub Arbes. Mitglieder der Gesellschaft waren viele namhafte Vertreter der tschechischen Kultur. Ausgestellt sind da die so genannten ´cancbuchy´ (zu Deutsch etwa ´Spaßbücher´) - also eine Art Gedenkhefte oder -büchlein, in die die Gesellschaftsmitglieder manchmal witzige, manchmal ernsthafte Notizen gemacht haben oder auch Karikaturen gezeichnet haben. In der Literatur, die später entstanden ist, wurde immer behauptet, dass diese Hefte nach der Auflösung von Mahabharata verschwunden seien. Wir haben neun davon in unserem Archiv gefunden und sie hier ausgestellt."Neben den in der tschechischen Literatur berühmt gewordenen "Cancbüchern" ist in Hvezda noch ein wichtiger Gegenstand zu sehen, der von den Mahabharata-Leuten stammt und von dem man geglaubt hat, dass er verloren ist. Im Archiv hat Yvetta Dörflova ein großes Buch gefunden, dass die Gesellschaft Mahabharata dem Dichter Jaroslav Vrchlicky zum 40. Geburtstag geschenkt hat. Gefunden wurde auch eine Ballade, die der Dichter als Ausdruck seines Danks an die Gesellschaft geschrieben hat. Ein Teil der Mahabharata wechselte dann vom Heiligen Thomas in die Brauerei "U Fleku". Der nicht gekrönte König dieser Flek-Akademie war der Maler Lada Novak. Auch dort wurden Bücher geschrieben, von denen einige in Hvezda zu sehen sind.
Eine berühmte Kneipe, die schon durch ihren Namen charakterisiert wurde, war die "Jedova chyse" - zu Deutsch etwa "Gifthütte". Diese Spelunke, die sich in der Straße Na Zderaze befand, wurde Anfangs mehr von Medizinstudenten als von Künstlern besucht, sagt die Kuratorin."Zuerst haben Medizinstudenten von der deutschen, dann auch von der tschechischen Fakultät diese Kneipe entdeckt. Der bizarre Name kommt angeblich davon, dass die künftigen Ärzte auch einige Sachen aus dem Labor mit in die Gaststätte genommen haben. Es wird erzählt, dass sie dort sogar mit Leichen getanzt haben, wenn sie keine Tanzpartnerinnen hatten. An die Kneipe erinnerte sich der Maler Josef Lada sehr gut. Er nahm dort an einer Abschlussfeier der Hebammen teil und verbrachte dort nicht nur die ganze Nacht, sondern auch noch die Hälfte des folgenden Tags."
Der Kuratorin zufolge kann jeder Besucher in der Ausstellung eine der Gaststätten oder Cafés finden, die es heute noch gibt. Die Ausstellung über die Prager literarischen Salons und Cafés ist im Schloss Hvezda in Prag 6 täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen und das noch bis zum 28. Oktober.