Die SMS des 19. Jahrhunderts - 120 Jahre Prager Rohrpost

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Briefe und Mitteilungen in Minutenschnelle quer durch die ganze Stadt schicken: das geht in Prag nicht erst seit Fax, E-Mail und SMS. Bereits Jahrzehnte zuvor bot die städtische Rohrpost einen blitzschnellen Kurierdienst. In den 1930er Jahren wurde ein heute weltweit einzigartiges Rohrpostnetz in der Stadt aufgebaut. Die ersten Rohrpostbüchsen flitzten aber bereits im August 1887 unter den Prager Gehsteigen entlang - vor genau 120 Jahren also. Auch wenn das verheerende Hochwasser vor fünf Jahren dem Betrieb ein Ende setzte - die Prager Rohrpost lebt weiter.

Das historische Prager Hauptpostamt an der Jindrisska-Gasse. Ein mächtiges Gründerzeit-Gebäude, hell und freundlich renoviert. Endlose Korridore, Neonlicht, Büroschilder. Dann, am Ende eines langen Ganges, eine hohe dunkle Holztür - die Pforte in eine andere, längst vergangene Zeit.

"Hier befinden wir uns in der Zentrale der Prager Städtischen Rohrpost - das ist der wichtigste Ort, denn hier laufen alle Leitungen zusammen, und über die Zentrale konnten die Sendungen in alle Teile der Stadt geschickt werden",

erklärt Jiri Hak, seit Jahrzehnten für die Prager Rohrpost zuständig und mit ihr gleichsam verwachsen. In dem Saal ist die fadenscheinige Bürowelt vergangener Jahrzehnte konserviert: abblätternde Pastellfarbe an den Wänden, Urlaubsbilder aus der hohen Tatra, Namensschildchen an den Regalfächern, in den Ecken noppig bezogene Sessel für die Zehn-Uhr-Pause. An der Stirnwand: eine mächtige Installation aus altertümlichen Bronzerohren - Manometer, Klappen, bunte Kontrollleuchten.

"Hier sehen wir die Orgelpfeifen, also die Endstücke der einzelnen Trassen, wo man die Rohrpostbehälter einwerfen und abschicken oder umgekehrt empfangen kann. Hier sind sie in die Sammelkörbe gefallen, wurden dann sortiert und verzeichnet: wann die Sendung kam, woher, und wohin sie gegebenenfalls weitergeschickt werden soll."

Auf dem Schreibtisch liegen noch Formulare und Stempel, als könnte es morgen weitergehen. Seit fünf Jahren aber, seit dem verheerenden Hochwasser herrscht hier Stille. Was hat es auf sich, mit der Prager Rohrpost?

Rückblende - das späte 19. Jahrhundert, die Gründerzeit. Prag wächst sprunghaft zur Großstadt heran, die Industrie entwickelt sich rasant, neue Techniken halten Einzug, Schnelligkeit ist gefragt. Börsenkurse, Geschäftsdaten, wichtige Aufträge werden per Telegramm übermittelt. Die kommen in der Telegraphen-Zentrale am Wenzelsplatz an.

"Das Telegramm musste dann natürlich irgendwie zum Zustellpostamt befördert werden. Die Kuriere sind ständig hin- und her gelaufen. Jedem vernünftig denkenden Beamten musste da einfach einfallen: Also, das könnte man doch auch anders machen."

Jiri Hak
Die Lösung: die Rohrpost. Zylindrische Büchsen werden mit Druckluft in rasanter Geschwindigkeit durch ein unterirdisches Rohrsystem gepresst. Die erste Rohrpost war 1853 in London in Betrieb gegangen, später folgten Wien und Berlin. In Prag wurde zuerst nur eine kurze, aber bedeutende Trasse gebaut:

"Die Leitung hat zwei der wichtigsten Postämter im damaligen Prag direkt verbunden, nämlich die Hauptpost am Wenzelsplatz und das Postamt im Rott-Haus am Kleinen Ring in der Altstadt. Die Rohrpostleitung ist im August 1887 in Betrieb gegangen, also vor genau 120 Jahren."

Das System bewährte sich - so gut, dass es ab dem 4. März 1899 auch für den öffentlichen Postverkehr geöffnet wurde. In den Prager Straßen wurden spezielle rot-blaue Rohrpost-Briefkästen für den besonders schnellen Postversand aufgestellt. Mit der Zeit wurden weitere Postämter an das System angeschlossen, etwa im Stadtteil Königliche Weinberge oder auf der Burg. In den Jahren 1927 bis 1932 erhält Prag schließlich nach einem einheitlichen Plan ein komplettes Rohrpost-System, das die gesamte Stadt umspannt.

"Wenn Sie auf die Karte schauen, dann sehen Sie hier die Trassen: hier nach oben auf die Burg und nach Dejvice, hier nach Karlin und zur Palmovka, hier runter nach Nusle und hier zum Beispiel nach Smichov. An das Rohrpost-Netz waren alle bedeutenden Postämter in den Prager Stadtteilen angeschlossen."

Mehr als 55 Kilometer Rohrpostleitungen wurden verlegt, 46 Teilnehmerstationen konnten von der Zentrale in der Hauptpost aus beschickt werden. Ein blechernes Scheppern kündigt die Ankunft einer Rohrpostbüchse an - eine Probesendung, die Jiri Hak auf den Weg geschickt hat:

"Das war ein einzelner ankommender Behälter. Und jetzt stellen Sie sich vor, dass es hier ja 22 von diesen Stationen gibt, und da ist eine Büchse nach der anderen angekommen. In den Zeiten der größten Blüte gab es hier Schichtbetrieb - 24 Stunden, das ganze Jahr! Im Monat kamen bis zu 70.000 Behälter an, Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Heute unterhalten wir uns hier ganz in Ruhe - damals wäre das unmöglich gewesen."

Die Rohrpost hat ihre Bedeutung auch noch halten können, als sich längst Telefon und Fernschreiber durchgesetzt hatten. Der Vorteil: in den unterirdischen Röhren ließen sich rasch und sicher Originaldokumente übermitteln. Außerdem war sie konkurrenzlos schnell:

"Die Geschwindigkeit beträgt maximal zehn Meter in der Sekunde, also 36 Stundenkilometer - das ist für eine tatsächliche, materielle Beförderung eine wirklich beachtliche Geschwindigkeit! Man muss ja nur mal schauen, wie sich die Fahrradkuriere in der Stadt zwischen den Leuten und Autos durchschlängeln müssen! In den verstopften Straßen ist so eine Geschwindigkeit wirklich erstklassig."

Acht Minuten, so lange brauchte ein Telegramm vom Wenzelsplatz bis auf die Burg. Der Reiz der Rohrpost liegt aber auch darin, dass es nicht immer nur Schriftgut sein musste, was da seinen Weg durch die enge Röhre fand:

"Mit der Rohrpost kann man im Prinzip alles schicken, was durch die Röhre passt. Wenn also jemand von dem Personal hier in der Zentrale Lust auf etwas Warmes hatte, dann war das kein Problem: Seine Kollegen vom Bahnhof Prag Mitte haben an dem legendären Bahnhofsbuffet eine Wurst oder einen Reibekuchen in einen Behälter gesteckt, und in zwei Minuten war das als Dienstpost noch warm in der Zentrale! In dem zweiten Behälter kam dann das Hörnchen dazu - Brötchen sind schon zu groß, aber Hörnchen kann man schicken..."

Die guten alten Zeiten der Prager Rohrpost sind vorbei. In den 90er Jahren sank das Postaufkommen beständig, und das Hochwasser des Jahres 2002 hat auch die Rohrpost und ihre unterirdischen Maschinenräume stark in Mitleidenschaft gezogen. Das endgültige Aus für eine längst überlebte Einrichtung? So einfach ist das nicht, erzählt Jiri Hak. In Stille verrotten lassen kann der Betreiber das Rohrnetz nämlich nicht - die kilometerlangen Rohre würden, etwa bei Gasunfällen, zum unkalkulierbaren Risiko. Ganz abgesehen davon ist die Prager Stadtrohrpost inzwischen nicht nur Nationales Technikdenkmal, sondern auch ein wirkliches Unikat, wie Jiri Hak unterstreicht:

"Eine wirkliches Stadtnetz, das tatsächlich die einzelnen Stadtviertel über größere Entfernungen verbindet, das habe ich auf der ganzen Welt nicht mehr gefunden."

Fazit:

"Wenn man das zusammennimmt, die Werbewirksamkeit des Denkmals und die gesetzliche Verpflichtung des Betreibers, dann ist es im Moment am einfachsten, dem Hak einfach ein bisschen Raum zu lassen, damit er sich um die Rohrpost kümmern kann."

Die Maschinenstationen sind allmählich wieder funktionsfähig. Demnächst kommt dann die Überholung der Rohrleitungen an die Reihe.

Fotos: Autor