Hochwasser 2002: Wie Radio Prag auf den Moldauwellen surfte
Wir haben in den letzten Tagen immer wieder in Rückblicken über die Flutkatastrophe berichtet, die Tschechien vor fünf Jahren überrollt hat. Auch die Redaktion von Radio Prag hat damals aktuell und am laufenden Band Bericht erstattet und die neuesten Wasserstandmeldungen über den Äther ausgerufen. Lothar Martin war damals schon als Redakteur für Radio Prag unterwegs.
"Ich erinnere mich daran, dass wir in der Redaktion natürlich mit Spannung und auch mit einer gewissen Sorge zugeschaut haben, was nun über Prag hereinbrechen wird. Denn man hatte ja schon über Süd -und Westböhmen gehört und gesehen wie sich da das Hochwasser ausgebreitet hat. Um mir selbst ein Bild zu machen - das weiß ich noch genau, war ich am Montag, den 12. August, nach der Arbeit im Zentrum auf der Prager Schützeninsel und habe da auf die Moldau geschaut. Und da war vielleicht noch so, Unterkante-Oberlippe, ein Meter bis zur Dammkrone übrig. Einen Tag später, am 13., als ich nach der Arbeit dort hinging, da war die Insel dann schon unter Wasser. Viele Leute standen an den Ufern, man sah viel Geröll in der Moldau schwimmen, aber man hat gemerkt, dass unter den Menschen ein gewisser Zusammenhalt entstanden ist. Auf der Altstadtseite ist zum Glück nichts überschwemmt worden, weil man damals diese mobilen Hochwasserschutzwände eingebaut hat. Aber Prag glich in dieser Zeit auch teilweise einer Geisterstadt. Der Prager Magistrat hatte verkündet, alle, die nicht unbedingt zur Arbeit müssten, sollten in den nächsten Tagen zuhause bleiben - weil auch der Prager Stadtverkehr eingeschränkt werden musste, dadurch dass einige Metrostationen unter Wasser waren. Ich weiß noch, wie ich am 14. August frühmorgens schon Fernsehen geschaut habe, das rund um die Uhr berichtet hat, ob es überhaupt noch möglich ist von zuhause auf die Arbeit zu kommen. Da habe ich gesehen wie bei einer Moldaubrücke die Straßenbahn über die Brücke fuhr und da wusste ich, über die Brücke muss ich ohnehin fahren, also komme ich noch zur Arbeit. Als ich das Haus verlassen hatte, da war mein Wohnviertel sehr ruhig, da haben noch mehr Leute geschlafen oder Fernsehen geschaut, als dass jemand auf der Straße war."
Also du selber bist immer noch jeden Tag in die Redaktion gefahren?"Ja sicher, Informationen waren ja zu der Zeit sehr gefragt. Das war ja das wichtigste Gut in dieser Zeit, muss man fast schon sagen. Also haben auch wir rund um die Uhr berichtet. Vor allen Dingen, über das damals bei Radio Prag noch junge Medium - das Internet - haben wir laufend die Nachrichten erneuert und über alles mögliche berichtet, wer was wo und wie zu Schaden gekommen ist. Wir konnten natürlich rein radiotechnisch nur zu unseren Sendezeiten berichten, aber es gab eine große Nachfrage von deutschen Radio- und Fernsehstationen. Die haben laufend bei uns in der Redaktion angerufen: "Was ist da los und was ist da los? Könnt ihr uns was zum Chemiewerk in Neratovice sagen?" Da habe ich also täglich mindestens 4-5 Berichte noch für bayrische oder Berliner Radiostationen abgedrückt. Ein Höhepunkt war vielleicht, dass ich sogar eine Liveschalte vom deutschen Nachrichtensender N24 sprechen musste. Da hat die ganze Redaktion dann mucksmäuschenstill zugehört. Aber man kann eben sagen, so makaber das auch klingen mag, Radio Prag hat in dieser Zeit vom Hochwasser profitiert. Wir waren faktisch der Nabel der Welt in der Nachrichtenzeit und unsere Internetseite ist damals stark nach oben geklettert, was die Zugriffe betrifft."
Die Prager waren tagelang in heller Aufregung. Als Journalist in solch einer Zeit, wo sich die Ereignisse überschlagen, hast Du das nicht als absoluten Stress-Job empfunden?"Ich muss sagen, es war einfach die kurzweiligste Woche meines Lebens, denn es gab immer was zu berichten. Deswegen musste man auch sehen, dass man zur Arbeit kam. Die Zeit ist wie im Fluge vergangen. So schizophren das auch klingen mag, sogar der Prager Straßenverkehr lief harmonischer ab, als das jetzt der Fall ist - obwohl dann keine Metro mehr in der Innenstadt fuhr. Aber für die Busse musste immer eine Spur frei gehalten werden. Da sind auch die Autofahrer bewusst höflicher und rücksichtsvoller gefahren. Also die Leute haben dann doch gewusst, was es eigentlich bedeutet, wenn man das, was man kennt und schätzen gelernt hat, nicht mehr hat.
Du als alter Dresdner, hast Du nicht auch viele Anfragen aus deiner alten Heimatstadt bekommen, auf die ja dann die Flutwelle zurollte?
Ein bisschen verärgert war ich, das ausgerechnet aus meiner Heimat Dresden, kein einziger Nachrichtensender angerufen hat. Denn da habe ich den SAT1-Reporter im Fernsehen gesehen, auf den Sandsäcken stehend, wie er gefragt hat: "Was wird das Hochwasser hier in Dresden bringen? Keiner weiß es!" Wir in Prag wussten es. Aber die, die es betroffen hat in Sachsen, die haben nicht nachgefragt und die haben es dann dafür leider auch dem entsprechend bezahlt."