Reformator Jan Hus - ein Wegbereiter der tschechischen Nation?

Jan Hus

Am 6. Juli ist in Tschechien Staatsfeiertag. Man erinnert sich an die Verbrennung des Theologen und Priesters Jan Hus. Er war nicht nur einer der ersten Reformatoren auf dem europäischen Kontinent und als solcher ein Ketzer, sondern er war auch Tscheche. Was bedeutet Jan Hus für die Tschechen und ihre Geschichte?

Verbrennung des Kirchenreformators Jan Hus,  6. Juli 1415
Im Film "Obecna skola" - Die Volksschule - vom Regisseur Jan Sverak schreibt man das Schuljahr 1945/46. Lehrer Hnizdo, alias Jan Triska, ist nach eigenen Angaben ein antifaschistischer Widerstandskämpfer. Er steht neben dem Pult und schaut ernst aus dem Fenster. In der Klasse könnte man eine Stecknadel fallen hören:

"Trauer herrschte im ganzen Land. Die Augen aller waren auf Konstanz gerichtet. Am schändlichsten verhielt sich König Sigismund. Obwohl er Jan Hus freies Geleit versprochen hatte, war er selbst es, der den Kardinälen riet Hus keinen Glauben zu schenken und ihn zu verbrennen. Hus hätte sein Leben retten können, wenn er widerrufen hätte, wenn er unterzeichnet hätte, was sie ihm zur Unterschrift vorgelegt hatten. Wie hätte er das machen können, wo doch alle Zeugen die Unwahrheit gesagt hatten? Er hätte doch dann die Wahrheit mit den Füssen getreten, die Wahrheit, für die er doch gelebt hatte. Und so sagte er: Lieber gehe ich in den Tod. Und so wurde ihm die Priesterwürde entzogen und er wurde dem Kaiser übergeben. Er befahl, Hus eine lächerliche Kappe auf den Kopf zu setzen, ihn an einen groben Pfahl zu fesseln und bei lebendigem Leibe zu verbrennen." - "Schweine" - sagt ein Schüler in die Stille. Pscht, Lehrer Hnizdo erzählt weiter:

"Als sie den Scheiterhaufen in Brand gesetzt hatten, sang der Magister noch eine Weile. Er fürchtete den Tod nicht. Er glaubte, Gott würde ihn unter seinen Getreuen aufnehmen. Dann kam Wind auf und der erstickende Rauch, der barmherziger ist als die Menschen, nahm dem Meister sein Bewusstsein. Sein Gesang verstummte. Er war nicht mehr unter den Lebenden. Die Schüler schluchzen und Hnizdo hebt an zur Moral von der Geschicht. Und wir werden uns merken, dass er für seine Überzeugung gestorben ist. Das hat er seinem Volk mit auf den Weg gegeben, dass ein Mensch nicht feige sein und dass er an seiner Wahrheit festhalten soll, auch wenn es ihn das Leben kostet." Lehrer Hnizdo greift zur Geige und singt.

"Der Scheiterhaufen ging in Flammen auf, dort am Ufer des Rheins

Und auf ihm stirbt der heimattreue Sohn

Und ihr fragt, wer in den Flammen steht

Das ist Magister Jan, der berühmteste aller Tschechen"

Jan Hus auf dem Konstanzer Konzil
Wer war dieser angeblich berühmteste aller Tschechen? Ein Theologe, der im Jahre 1400 zum Priester geweiht wurde. In der Bethlehemskapelle in der Prager Altstadt predigte er - ein Novum - in tschechischer Sprache und hatte großen Zulauf. Was ihn jedoch bei den zumeist deutschen Würdenträgern der Kirche anecken ließ, dass war sein Wettern gegen die Verweltlichung der Kirche, ihre Anhäufung von Besitztümern, die Habsucht des Klerus und dessen Lasterleben. Bedrohlich für die Grundpfeiler der Kirche wurde aber seine Forderung nach Freiheit des Gewissens und nach Anerkennung der Bibel als einzige Autorität. Das bedeutete de facto eine Anzweiflung der Unfehlbarkeit des Papstes. Hus - ein Ketzer in den Augen der Kirche. Und so nahm die Geschichte ihren Lauf bis zur Verbrennung von Jan Hus auf dem Konstanzer Konzil am 6. Juli 1415. Sein Tod entfachte die Hussitenkriege, die sich gegen die böhmischen Könige und deutschen Kaiser sowie gegen Kirche und Papst richteten. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts waren die Ansichten über Hus trennscharf: Hus - der Ketzer, Hus - der Reformator. Zur Lehre Hussens haben sich meistens Tschechen bekannt, während die deutsche Bevölkerung in Böhmen überwiegend der katholischen Kirche treu blieb. Als sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Nationalismus in Europa einzunisten beginnt, greift man nach allem, was man sich auf die Fahne schreiben kann. Und so greifen die Tschechen auf Hus zurück. Dazu der Historiker Jiri Rak von der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Karlsuniversität:

"Da müssen wir aber sehr vorsichtig sein, denn es kam eher zur Nationalisierung des Hussitentums. Die Tschechen bekannten sich zum Hussitentum, denn das war für sie ein Kapitel des tschechisch-deutschen Gegeneinanders. Hus selbst ist etwas aus ihrem Blickfeld gerückt. Wichtiger war ihnen der hussitische Feldherr Jan Zizka, sein Heer und seine Siege. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekennen sich zu Hus eher Deutsche und zwar zu Hus als einem Vorkämpfer der Reformation. Die verstanden sie als Schritt zur Liberalisierung, zur Formung einer Bürgergesellschaft, als Schritt zum Niederreißen der Ständegrenzen. Ein Beispiel dafür sind die Hus-Bilder von Carl Friedrich Lessing, zu denen in Deutschland sogar erklärende Broschüren herausgegeben wurden. Die Tschechen hingegen bekennen sich zum Hussitentum, das für sie den Kampf gegen das Deutschtum verkörperte. Die religiöse Seite Hussens haben die Tschechen im 19. Jahrhundert recht wenig beachtet."

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs tritt der spätere tschechoslowakische Präsident T.G. Masaryk auf den Plan. Und auch er beruft sich in seinem Widerstand gegen Österreich auf Hus und seine Anhänger, wie Jiri Rak erzählt:

"Masaryk führt seinen Kampf im Zeichen Hussens und des Hussitentums, das ist eindeutig. Er wählt Genf als den Ort, an dem er Österreich den Krieg erklärt, und er tut das am 6. Juli 1915 zum runden Jahrestag der Verbrennung von Jan Hus. In seiner Erklärung reiht er den beginnenden Kampf gegen Österreich ein in den Kontext des Hussitentums."

Bei den tschechischen Legionären gewinnt dann der bewaffnete Kampf der Hussiten als Vorbild wieder an Bedeutung, der Denker Hus tritt in den Hintergrund. Aber historische Erinnerung orientiert sich - so Jiri Rak - oft genug an den politischen Bedürfnissen:

"Im ersten Jahrzehnt des neuen tschechoslowakischen Staates spielt Hus selbst wieder eine größere Rolle und zwar im Jahr 1925, zum Jahrestag der Verbrennung von Hus. Darauf hat man sich wieder besonnen, denn 1915, als der Jahrestag wirklich ein runder war, da haben die österreichischen Behörden keine großen Feiern erlaubt. 1925 übernimmt der Staat die Schirmherrschaft über die Hus-Feierlichkeiten. Das führt zu Irritationen beim päpstlichen Nuntius, der Prag in Richtung Rom verlässt, weil er das Gefühl hat, dass das Ganze einen antikirchlichen Charakter annimmt. Die Tschechoslowakei zieht daraufhin auch ihren Botschafter aus dem Vatikan ab. Die Situation beruhigt sich jedoch wieder und vier Jahre später, zum Jahrestag des Heiligen Wenzel übernimmt Masaryk abermals die Schirmherrschaft über die Feierlichkeiten, um der Überkonfessionalität des Staates Ausdruck zu verleihen, eines Staates, der neutral ist und alle Traditionen integrieren will."

Predikt von Jan Hus in der Bethlehemkapelle
Religion, Nation, Staat, Moral - das sind Begriffe, die alle mit Jan Hus zu tun haben. Eine schillernde Gestalt, in die zu verschiedenen Zeiten auch verschiedene Besonderheiten hineingelesen wurden. Was er der tschechischen Nation aber auf alle Zeit hinterlassen zu haben scheint, ist sein Märtyrertod, eine Art Opfer-Mythos für die Tschechen. Jiri Rak:

"Das Märtyrer-Element ist gegenwärtig im gesamten neuzeitlichen Nationalismus der Tschechen. Das kann man auch daran erkennen, dass die Tschechen sich immer wieder gern an die Schlachten erinnern, in denen sie geschlagen wurden. Dabei spielt das Hussitentum als Opfer eine Rolle. Frantisek Palacky schrieb, der tschechischen Nation sei es als erste in der Geschichte zugekommen, die unangezweifelte Autorität der Kirche in Frage zu stellen. Damit sei die tschechische Nation ihrer Zeit voraus gewesen. Sie habe der europäischen Bevölkerung den neuen Weg gebahnt. Von den Hussitenkriegen führt bei Palacky eine direkte Linie zur Schlacht am Weißen Berg. Das ist ein Gedanke, der immer wiederkehrt: Wir haben uns für Europa geopfert. Europa hat uns zwar damals nicht verstanden und hat uns geschlagen. Das kehrte zum Beispiel 1938 beim Münchener Abkommen wieder und auch im Jahre 1968. Da war auch der Messianismus spürbar, mit dem wir vorausgeeilt sind. Also dieses Opfergefühl gibt es in der Geschichte. Aber es wurde immer als ein Opfer für Europa angesehen."

Der religiöse Reformator Hus, der für seine Überzeugung auf dem Scheiterhaufen gestorben ist, der ist in der Neuzeit für die Tschechen eher nebensächlich.

"Und ich befürchte, dass das bis heute so geblieben ist. Jan Hus starb für die Wahrheit - so lernen das die Kinder in der Schule - aber wenn wir die Kinder oder auch andere Leute befragen würden, für welche Wahrheit er denn gelitten hat und gestorben ist, da sieht es dann schon schlechter aus. Das wird dann kaum einer wissen."