Das Heydrich Attentat (2) - Die Vernichtung von Lidice
Nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich und dessen Tod am 4. Juni 1942 war die tschechische Bevölkerung brutalen Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt. Die deutsche Besatzungsmacht verhängte das Standrecht, täglich wurden Menschen verhaftet und hingerichtet. Diese Zeit wurde später von den Tschechen als Heydrichiade bezeichnet. Ihr fielen Tausende Menschen zum Opfer. Am 10. Juni 1942 wurde das Dorf Lidice nordwestlich von Prag dem Erdboden gleichgemacht, Zwei Wochen später erlitt der kleine Ort Leáky bei Pardubice / Pardubitz das gleiche Schicksal. Das Schicksal von Lidice wurde innerhalb kurzer Zeit in der ganzen Welt bekannt. Lidice wurde zu einem Symbol für den NS-Terror. In unserem heutigen Kapitel aus der tschechischen Geschichte beschäftigt sich Andreas Wiedemann mit den Folgen des Attentats auf Reinhard Heydrich.
beschreibt der Historiker Vojtech Sustek die Lage in den ersten Stunden und Tagen nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich. Von Lautsprecherwagen und im Radio wurden die Namen der Hingerichteten bekannt gegeben, zur Einschüchterung der Bevölkerung und zur Demonstration der Stärke der NS-Besatzer:
"Das tschechische Volk wurde von den tschechischen Politikern der Protektoratsregierung übers Radio und durch die Presse aufgefordert, die Heydrich-Attentäter auszuliefern. Es wurden 20 Millionen Kronen Belohnung für die Ergreifung der Täter ausgesetzt. Die Gestapo wusste anhand der gefundenen Maschinenpistole und Handgranate natürlich sofort, dass es sich bei den Attentätern um Fallschirmspringer aus England handelte. Deshalb beschuldigte die Propaganda sofort die tschechische Exilregierung in England. Die Hinrichtungen, die jeden Tag im Protektorat durchgeführt wurden, wurden ihr angelastet, weil sie die Attentäter geschickt hatte. Präsident Benes wurde als Mörder des tschechischen Volkes dargestellt", so Vojtech Sustek.
Auch der Schulminister der tschechischen Protektoratsregierung, der Kollaborateur Emanuel Moravec, nahm in einer Rede in Brünn am 17. Juni 1942 diese Propagandalinie auf und machte England und Benes für die Hinrichtungen der Tschechen verantwortlich:
"Von der Machtlosigkeit Englands zeugt allein der wahnsinnige Benes und seine jüdischen Horden, die fähig sind zu dem abscheulichsten Geschäft mit tschechischem Blut, das die Geschichte je gesehen hat."Polizei und Gestapo in Prag gerieten unter Druck als die Suche nach den Attentätern erfolglos blieb. Vojtech Sustek:
"Am 9. Juni war Heydrichs Beerdigung in Berlin. Die Lage war angespannt. Der massive Terror, den die Nazis nach dem Attentat entfaltet hatten, hatte noch keine Hinweise auf die Attentäter gebracht. Die Gestapo in Prag wurde kritisiert, dass sie noch nicht die gewünschten Ergebnisse geliefert hatte. Sie musste etwas unternehmen."
Ein Zufall brachte die Gestapo dazu, das Dorf Lidice, 20 km nordwestlich von Prag bei Kladno, ins Visier zu nehmen.
"Am 8. Juni 1942 erhielt Anna Maruscakova, eine Arbeiterin in einer Batteriefabrik in Slany einen Brief. Diesen öffnete zufälligerweise der Fabrikbesitzer. Er las den Brief, der folgenden Inhalt hatte: 'Teure Anna, ich lebe und bin gesund. Ich habe in dieser Nacht irgendwo in dem Dörfchen Cabarna geschlafen. Sehen wir uns noch einmal? Danach werden wird uns nicht mehr wiedersehen'. Der Fabrikbesitzer hatte den Verdacht, dass der Brief etwas mit dem Attentat zu tun haben könnte und wandte sich an die Gendarmerie und die Gestapo in Kladno. Wie sich herausstellte, war der Absender des Briefes ein gewisser Vaclav Riha, ein Arbeiter, der in Kladno arbeitete und verheiratet war. Er hatte eine Liebesaffäre mit Anna Maruscakova und wollte diese irgendwie elegant beenden. Mit dem Attentat hatte er nichts zu tun. Als die Gestapo Anna verhörte, sagte sie aber, dass in dem Brief noch stand: Es grüssen dich die Eltern von Pepik Horak aus Lidice. Josef Horak aus Lidice war Soldat in der tschechoslowakischen Auslandsarmee. Das führte die Gestapo nach Lidice. "
Die Gestapo führte Hausdurchsuchungen in Lidice durch, konnte aber keine heiße Spur zu den Attentätern finden. Aber es gab einen Vorwand und die Gestapo brauchte Ergebnisse. Am 9. Juni wurde Heydrichs Staatssekretär Karl Hermann Frank, der gerade in Berlin weilte, informiert. Dieser erteilte, wahrscheinlich in Absprache mit Himmler und Hitler, den Befehl zur Zerstörung Lidices. Die Nazis hatten gar nicht versucht, die Vernichtung von Lidice zu verheimlichen. Ganz im Gegenteil. Der deutsche Rundfunk im Protektorat meldete am 10. Juni 1942:
"Achtung, Achtung. Amtlich wird bekannt gegeben: Im Zuge der Fahndungen nach den Mördern des SS-Obergruppenführers Heydrich wurden einwandfreie Hinweise dafür gefunden, dass die Bevölkerung der Ortschaft Liditz bei Kladno dem in Frage kommenden Täterkreis Unterstützung und Hilfe leistete. Die betreffenden Beweismittel wurden trotz Befragung ohne Mithilfe der Ortseinwohner erbracht. Die damit bekundete Einstellung zum Attentat wird noch durch weitere reichsfeindliche Handlungen unterstrichen, wie Funde von staatsfeindlichen Druckschriften, Waffen- und Munitionslagern eines illegalen Senders sowie bewirtschafteter Waren im größten Ausmaße, und durch die Tatsache, dass Ortseinwohner sich im aktiven Dienste des Feindes im Ausland befinden. Nachdem die Einwohner dieses Dorfes durch ihre Tätigkeit und durch die Unterstützung der Mörder von SS-Obergruppenführer Heydrich gegen die erlassenen Gesetze schärfstens verstoßen haben, sind die männlichen Erwachsenen erschossen, die Frauen in ein Konzentrationslager überführt und die Kinder einer geeigneten Erziehung zugeführt worden. Die Gebäude des Ortes sind dem Erdboden gleichgemacht und der Name der Gemeinde ist ausgelöscht worden. Soweit dieses Bekanntmachung."
Das Dorf Lidice zählte 102 Häuser mit 503 Einwohnern. Am Abend des 9. Juni umstellten Angehörige der Gestapo, des SD und der Schutzpolizei unter dem Kommando von SS-Offizieren mit Unterstützung der tschechischen Gendarmerie Lidice und blockierten alle Zufahrtswege. In der folgenden Nacht wurden die Dorfbewohner zusammengetrieben. Am 10. Juni wurde Lidice dem Erdboden gleichgemacht, obwohl es keine Verbindung zwischen den Attentätern und Lidice gab. Alle 184 männlichen Einwohner über 16 Jahre wurden erschossen, die 198 Frauen ins Konzentrationslager Ravensbrück gebracht, die 98 Kinder nach Lodz deportiert. 82 Kinder wurden in den Gaskammern von Chelmo / Kulmhof ermordet. 12 Kinder überlebten, weil sie deutschen Familien zur Germanisierung übergeben worden waren. Sie wurden nach dem Krieg in Bayern wieder entdeckt. Zwei Wochen nach der Zerstörung von Lidice erlitt der kleine Ort Leáky bei Pardubice das gleiche Schicksal. Dort starben 33 Menschen.
Das Schicksal von Lidice wurde innerhalb kurzer Zeit in der ganzen Welt bekannt. Lidice wurde zu einem Symbol für den NS-Terror. Mehrere Gemeinden nahmen aus Solidarität den Namen Lidice an. Es gibt bis heute Lidice in Brasilien, Mexiko, Panama und im US-Bundesstaat Illinois.
Nach dem Krieg wurde Lidice 300 m vom alten Ort entfernt neu aufgebaut. An der Stelle des früheren Lidice befinden sich heute eine Gedenkstätte und ein Museum. Am 10. Juni wird in Lidice der 65. Jahrestag der Zerstörung begangen.