Michael Stavaric - österreichische Literatur mit mährischen Wurzeln

Michael Stavaric (Foto: www.lesezeichen.at)

"Terminifera", so heißt der zweite, gerade erschienene Roman des in Wien lebenden Autors Michael Stavaric. Terminifera, das ist der Name einer seltenen Wanderheuschrecke, aber auch ein Hinweis auf den Wert und die Fremdheit der Worte - eine grundlegende Erfahrung für Michael Stavaric. 1971 in Brünn geboren, kam er als Kind mit den Eltern nach Österreich. Heute gilt er als eines der jungen Talente der österreichischen Literatur.

"Es war 1979 - meine Eltern flohen über Jugoslawien nach Österreich und wollten dann eigentlich weiter nach Nordamerika. Aber irgendwie sind die dann aufgrund beruflicher Möglichkeiten in Österreich hängen geblieben. Und das war´s dann für mich."

Sieben Jahre alt war Michael Stavaric damals. Die Familie blieb in Laa an der Thaya, einem kleinen Kurort unmittelbar an der tschechischen Grenze - nur ein paar Dutzend Kilometer vom heimischen Brünn entfernt, und doch vom tschechischen Sprachraum gänzlich abgetrennt. Eine mitteleuropäische Groteske zu Zeiten des eisernen Vorhanges. Der junge Michael musste zum zweiten Mal sprechen lernen:

"Ich war in der österreichischen Schule immer ein schlechter Schüler, ich war lange Zeit im Förderunterricht, und selbst zu der Zeit, als ich schon einigermaßen Deutsch konnte, war meine Herkunft durch den Akzent und grammatische Fehler natürlich offensichtlich. Bis heute muss ich überlegen: Heißt es ´ohne dir´ oder ´ohne dich´ - für mich klingt das gleich. Ich mache den Fehler dann natürlich nicht, aber ich merke schon, dass es nicht meine Muttersprache ist. Auf der anderen Seite empfinde auch Tschechisch nicht als Muttersprache... es ist schwierig."

"Ich habe mich oft gefragt: Was wäre gewesen, wenn ich im tschechischen Kontext geblieben wäre? Hätte ich mich dann ebenfalls mit Literatur, mit Sprache beschäftigt? Vermutlich nicht - ich glaube, das ist durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Deutschen angestoßen. Ich musste mich so sehr mit dieser Sprache beschäftigten, und ich hatte zumindest zeitweise auch den Ehrgeiz, sie ebenso gut zu beherrschen wie die anderen - das alles hat wohl auch der Literatur zugearbeitet."

Im Jahr 2000 erschien in Österreich der erste Gedichtband von Michael Stavaric, im vergangenen Jahr folgte der viel beachtete Romanerstling "stillborn". Jüngste Veröffentlichung: der Roman Terminifera. Brüchige Fabeln, dominiert von Sprache und Rhythmus.

"Die Inhalte sind große Metaphern. In dem letzten Buch geht es um einen Krankenpfleger, der in einem Heim aufgewachsen ist, der in einem Krankenhaus arbeitet und dort letztendlich alltägliche Situationen erlebt. Das ist im Grunde die ganze Geschichte. Aber ich denke, bei meinen Texten ist es nicht substanziell, was alles auf inhaltlicher Ebene passiert, sondern wie es passiert und wie die Form die Geschichte trägt. Es gibt viele Anklänge aus der Musik und der Lyrik - es sind eigentlich konzentrierte narrative Gedichte."

"Kristina ist gelernte Dermatologin. Ich habe danach gefragt, als wir zum wiederholten Mal in der Kantine aufeinander... Die Ärzte saßen prinzipiell beim Eingang - es konnte jeden Moment losgehen - das Personal weit abgeschlagen bei den Toiletten. Kristina setzte sich zu mir. Hauptsache Hautsache! Das Motto der Dermatologen. Dabei verdrehte sie kurz ihre Augen; es sollte witzig sein.

"Ich interessiere mich bei meinen Figuren für Außenseiter, für Menschen und Personen, die in der Schwebe, im Werden sind und die auf irgendeine Art und Weise im positiven Sinne ´krank´ sind."

"Eigentlich wollte sie Pathologin werden, aber ihre Eltern voller falscher Vorstellungen von diesem Berufsstand. Pathologie, das ist so, als würde man eine Wiese mähen. Man beginnt am Rand, arbeitet sich vor, manchmal sägt man Muster ins Gras, irgendwann liegt dann alles danieder, duftet nach Wildblumen, darüber fliegen Schwärme. ´Die Pathologen haben den Menschen neu entdeckt - dagegen war die Reise zum Mond ein Kinderspiel!´ Kristina grinste. Beim Studium, da schlich sie regelmäßig mit Kollegen in den Sezierraum, nach Mitternacht, Leichen schröpfen bei Kerzenschein. Man nimmt ein Skalpell, schält vorsichtig die Haut ab, ohne sie allzu sehr zu verletzen. Pathologen sagen verletzten, niemals beschädigen. Danach stülpt man die Haut einer anderen Leiche über. Das ist wie mit einem Kondom, wenn es gut gemacht ist. Einen kurzen Augenblick lang verstand ich die Bedenken ihrer Mutter voll und ganz."

"Es gab natürlich vor deutschen Büchern für mich schon tschechische, nämlich Kinderbücher: Ferda Mravenec, die Märchen von Karel Jaromir Erben und überhaupt war die tschechische Märchen- und Sagenwelt sehr präsent für mich. Daher hat das Tschechische schon meine deutsche Lektüre beeinflusst, und als ich dann später mit Lyrik begonnen habe, hatte ich auch immer die tschechische Sprachmelodie im Ohr. Überhaupt habe ich immer wieder gerne vergleichen: Was heißt das eine Wort auf Deutsch, das andere auf Tschechisch, was kann man daraus für Geschichten knüpfen. Es war schon so, dass sich die beiden Sprachen in einem kreativen Prozess ergänzt haben."

"Ich interessiere mich in meinen Büchern für die formale Ebene, für Worte, die ich so erst selbst entdecke. Alles in allem muss sich die Sprache, die gelesene, aber auch die gehörte, gut anfühlen - auch im Mund, denn Bücher sind auch zum Vorlesen. Oft sind die Texte und Bücher auch so angelegt, dass sie dann nochmals eine neue Ebene entfalten. Das ist wie mit Songs oder Symphonien. Auch wenn man sich beim Lesen der Partitur den Klang mitdenken kann, ist es etwas anderes, wenn man das dann wirklich hört. Und deswegen denke ich, Sprechen und Lesen gehören zusammen."

Sprechen und Lesen als eine Einheit - ganz besonders gilt das natürlich für Kinderliteratur, an der sich Michael Stavaric auch versucht hat.

"Gunda, eine deutsche Ente, unterrichtet lange. Bald in Rente, bringt sie Küken Sprachen bei - Finnisch, Kurdisch, allerlei. In Deutschland macht man quack quack quack, Rumänisch jedoch mack mack mack. Dänisch kürzer rapp rapp rapp, Tschechisch länger kac kac kac. In Island wieder bra bra bra, in Russland aber kja kja kja. Da soll noch einer sagen Entisch sei einfacher als Kärntnisch. Am schwersten, meint Gunda, versteht man die Esten der Tundra. Die machen preks preks preks. Was die wohl für Enten sind?!"

"Quack quack quack" und "kac kac kac" - in den mehrsprachigen Enten spiegelt sich auch das eigene Herkommen von Michael Stavaric. Was er wohl für ein Autor ist?

"Das ist natürlich eine hybride Geschichte und bleibt für mich immer eine Art Mischung. Negativ definiert fühle ich mich weder ausschließlich als Tscheche noch als Österreicher noch als deutschsprachiger Autor. Zugleich aber bin ich natürlich auch Tscheche, tschechischer Autor, österreichischer Autor und deutscher Autor. Insofern ist es sehr schwierig. Ich schreibe auf Deutsch, und ich hoffe, dass in zwei, drei Jahren auch etwas auf Tschechisch erscheinen wird. Wenn das passiert ist, dann hoffe ich, dass ich mich zu Recht auch als tschechischer Autor bezeichnen darf."