Theaterfestival deutscher Sprache Prag - mit 11. Jahrgang als fixer Punkt des Prager Kulturherbstes bezeichnet

Othello (Foto: www.theater.cz)

Seit dem 3. November läuft sein 11. Jahrgang und man spricht von einem Fixpunkt im Prager Theaterleben. Gemeint ist das Theaterfestival deutscher Sprache. Als es ins Leben gerufen wurde, gab es viele Zweifel an seiner Lebensfähigkeit. Die zurückliegenden zehn Jahre der Existenz dieses Festivals sind bestimmt eine ausreichend lange Zeit, um über den Beitrag des Festivals nicht nur für die tschechische Hauptstadt sprechen zu können. Für den nun folgenden Kultursalon hat sich Jitka Mladkova darüber mit zwei Sachkundigen der Theaterszene unterhalten.

"Liebe Freunde, vor zehn Jahren hätten auf Ihr Projekt vielleicht nur diejenigen gesetzt, die Sie persönlich kannten. Der Versuch jene Kultur nach Prag und in die Tschechische Republik zurückzubringen, die vor einem halben Jahrhundert gemeinsam mit der deutschen Bevölkerung von hier verschwunden war, versprach auf alle möglichen Hindernisse zu stoßen."

Mit diesen Worten beginnt sein Vorwort zum Festivalkatalog Jiri Grusa, Schriftsteller, ehemaliger Botschafter der Tschechischen Republik in Deutschland und Österreich, Präsident des Internationalen PEN-Clubs. Und in der Tat war es so, wie Grusa schreibt. Inzwischen aber trifft dieses jeweils mitten im Herbst stattfindende Spitzenereignis des Prager Kulturgeschehens aber mit jedem Jahr auf eine immer grössere Resonanz - beim Publikum wie auch bei der Fachkritik.

Nach elf Jahrgängen des Festivals, das trotz verschiedener Probleme und Hindernisse aus der Taufe gehoben, kann man also schon von einem Erfolg sprechen. Wäre es eigentlich nicht an der Zeit, auf dem Gipfel des Erfolges aufzuhören? Davon kann für Jiri Pavel Kriz, der das Prager Theaterfestival vom ersten Jahrgang an als Kulturkritiker begleitet, keine Rede sein. Man profitiere doch, sagt er, von den Bühnenpräsentationen klangvoller Namen:

"Vor allem ist es die Gelegenheit, unsere tschechische Produktion an Theaterhäusern zu messen, die europaweit zu den besten gehören. Dank der Festivaldramaturgie können wir auch trotz begrenzter finanzieler Möglichkeiten Spitzenvorstellungen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und in diesem Jahr auch aus Luxemburg sehen. Und das ist meiner Meinung nach ein großer Beitrag."

Diesen Beitrag sieht Kriz vor allem in konkreten Impulsen für das einheimsche Theater. Hier gleich ein konkretes Beispiel:

"Als wir zum ersten Mal ein Stück von Thomas Bernhard zu sehen bekommen haben, war der Autor hierzulande weitgehend unbekannt. Mit einem Schlag erweckte er großes Interesse und es entstand im Laufe der Zeit eine ganze Reihe von guten Insznierungen seiner Stücke. Die werden mittlerweile seit Jahren nicht nur in Prag, sondern auch in regionalen Theaterhäusern gespielt. Und würde man mich nach der besten Inszenierung der letzten zwei Jahrzehnte fragen, dann würde ich ganz bestimmt die Einstudierung des Schauspielhauses Hamburg "Schlachten - Do krve" nennen. Das waren 18 Stunden modernes Theater, ein Shakespeare präsentiert in einer ausgedienten Fabrikhalle im Prager Stadtteil Liben. In den 18 Stunden hat sich niemand gelangweilt. Es war fasinierend, hinreißend, mit anderen Worten kann man es kaum sagen."

Auch diese Shakespeareinszenierung blieb nicht ohne Widerhall in der tschechischen Theaterlandschaft. Inspirierend war sie zum Beispiel für den renommierten Theaterregiesseur Vladimir Moravek, der zunächst drei Stücke des russischen Klassikers Anton Tschechow zu einer neunstündigen Inszenierung verband. Vor kurzem hat seine elf Stunden währende Damatisierung der vier bekanntesten Romane Dostojewskis ihre Premiere in Prag und Brno erlebt. Das Interesse des tschechischen Publikums am deutschen Theater wird Kriz zufolge immer größer:

"Einige Inszenierungen werden an zwei Tagen angesetzt, und wenn es an drei oder fünf Tagen wäre, dann wären sie auch ausverkauft. Das Festival stellt einen festen Bestandteil des Prager Kulturherbstes dar. Gott sei Dank, dass es dieses Theaterfestival gibt, weil es in der Tat höchst inspirativ ist."

Wenn man vom Prager Theaterfestival deutscher Sprache spricht, müsste man eigentlich mehrere Namen derer nennen, die sich um sein Zustandekommen verdient gemacht haben. Allen voran jedoch den international anerkannten tschechischen Drammatiker Pavel Kohout, der bis heute der Festivalleitung angehört. Sowohl im tschechischen als auch im deutschen bzw. österreichischen Theater kann er sich heimisch fühlen. Pavel Kohout baten wir daher um einen Vergleich der beiden nationalen Kunstdomänen:

"Wir haben schon immer grosse Theaterregisseure und Schauspieler gehabt und haben sie auch heute. Das tschechische Theater unterscheidet sich aber wesentlich von der deutschen Theaterkultur. Das deutsche Theater, Hut ab, ist absolut professionell in dem Sinne, dass eine Vorstellung beim 50. Mal immer noch der Premiere gleicht. Das kann man hierzulande überhaupt nicht erleben. Die Improvisationslust im tschechischen Theater ist hingegen etwas, was einem Stück immer wieder ein neues Leben gibt. Beide Theaterauffassungen werden professionell umgesetzt. Beide unterscheiden sich aber sehr voneinander und es tut gut, wenn man sie vergleicht.

Prag selbst ist eine Theaterstadt, ich glaube die einzige in Europa, in der zwei große Kulturen in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nebeneinander lebten. Es gab die Spitzenkultur des deutschsprachigen Theaters, repräsentiert durch das Neue Deutsche Theater, und das tschechische Nationaltheater. Es war ein Phänomen, dass sich zwei Kulturen in einer Stadt einen internationalen Wettbewerb leisten konnten. Das wird sich nie mehr wiederholen, aber wir versuchen es zumindest teilweise durch unser Festival wieder zu beleben."

Pavel Kohout sieht drei Hauptziele dieses Festivals: Im Rahmen eines Querschnitts dem tschechischen Publikum die Highlights der - wie er sagt - Theaterernte des deutschen Sprachraums anzubieten. Punkt zwei: Außerordentliche, wenn auch kontroverse Ereignisse der deutschsprachigen Bühnen hierzulande vorzustellen, und last but not least, dem tschechischen Theater Impulse zu geben. In Prag werden also auch Stücke gezeigt, die von der Fachkritik mit Begeisterung aufgenommen und vom Publikum als skandalös empfunden werden. Und so gibt es schon vor dem Festivalbeginn - wie Kohout sagt - in Anführungsstrichen "Vorwarnungen" für Zuschauer mit "schwächeren Nerven", oder einfacher gesagt für diejenigen, die an das moderne Theater nicht gewöhnt sind. Der erfahrene Theatermann Pavel Kohout erläutert:

"Auf der anderen Seite müssen wir das Recht behalten, auch diese Stücke zu zeigen. Wir sind ein Festival und wir müssen alles zeigen, was vor allem aus der Sicht der Länder, in denen dieses Theater produziert wird, gut ist. Das bedeutet, dass wir unsere Dramaturgie zwar selbst machen, aber natürlich auch die Stimmen der deutschen Kritik zur Kenntnis nehmen und damit natürlich auch das, was von ihnen empfohlen wird. In diesem Jahr ist es zum Beispiel Shakespeares Macbeth. Wir sehen es gleichzeitig als Pflicht, auch klassisches bzw. amüsantes Theater zu präsentieren. Das ist eigentlich die Kunst des Festivals, dass man innerhalb von 14 Tagen alles zeigt, damit alle Interessengruppen zufrieden sind."

Auch vor provokativen Theatereinstudierungen wie dem erwähnten Macbeth des Schauspielhauses Düsseldorf, der von der deutschen Kritik zur Inszenierung des Jahres gekürt wurde, und bei dem einige Zuschauer lieber weggehen, schreckt also die Prager Festivaldramaturgie nicht zurück. Pavel Kohout:

"Das so genannte Provokante gibt es in allen Bereichen des Lebens. Ohne neue Sachen, ohne Experimente, kurzum ohne Sachen, die nicht erprobt wurden, kann die Menschheit überhupt nicht existieren. Es ist also keine Erfindung des Theaters. Ich glaube, unsere Wahl war bis dato eigentlich in dem Sinne erfolgreich, dass sie auf Verständnis in diesem Lande gestoßen ist, und zwar nicht nur beim Publikum sondern auch bei der Kritik. Ich wage es zu sagen, dass die tschechische Fachkritik zu dem Festival steht."