Rechtsextremismus als grenzüberschreitendes Problem

Rechtsextremismus ist längst zum grenzüberschreitenden Problem geworden: tschechische Neonazis marschieren in Deutschland, deutsche fahren nach Tschechien zu Konzerten. Polizisten beider Länder informieren sich gegenseitig über geplante Aufmärsche von Rechtsradikalen. Wie sieht es aber mit der Zusammenarbeit auf (zivil)gesellschaftlicher Ebene aus? Wie gehen Bürgerinitiativen (und Medien) in Tschechien mit dem Problem um, wie in Deutschland? Wo können Sie eventuell voneinander lernen? Silja Schultheis berichtet in einer neuen Ausgabe der Sendereihe "Forum Gesellschaft" von einem tschechisch-deutschen Erfahrungsaustausch zu diesem Thema. Unter dem Motto "Zivilcourage in Medien, Bildung und Politik" diskutierten Ende September in Bautzen Vertreter beider Seiten auf einer Konferenz der Brücke/Most-Stiftung, des Journalistenverbands Sachsen und der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Verbindungen zwischen deutschen und tschechischen Neonazis haben längst keinen zufälligen Charakter mehr und bestehen in viel höherem Maße als etwa zwischen der polnischen und der deutschen rechten Szene. Gleichwohl wird das Problem Rechtsextremismus auf deutscher und tschechischer Seite sehr unterschiedlich wahrgenommen. Während Deutschland nach den jüngsten Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern erneut aufschrie, weil ein weiteres Mal eine rechtsextremistische Partei in einen Landtag einzog, betrachtet man in Tschechien die Situation wesentlich entspannter - eben weil Rechtsradikale noch nicht zum politischen Problem geworden sind und bislang verschwindend geringe Chancen haben, die Fünfprozenthürde zu überspringen. Dennoch, warnt Gisela Kallenbach, Europa-Abgeordnete der deutschen Grünen, sollte man nicht darauf warten, bis rechte Gruppierungen zum handfesten politischen Problem geworden sind. Die Tschechen sollten nicht denselben Fehler machen wie die Deutschen und sich auf die Zersplitterung der rechten Szene verlassen:

"Wenn diese Gruppierungen ihre Strategie von heute auf morgen ändern, sind sie ganz schnell über der Fünfprozent-Hürde. Das ist ja auch in Ostdeutschland geschehen: Zuerst sind die NPD, DVU und andere rechtsradikale Gruppierungen gegen einander angetreten. Das haben sie bei den Landtagswahlen in Sachen und Mecklenburg-Vorpommern bereits nicht mehr gemacht. Also, sich darauf zu verlassen, dass das ja alles nicht so schlimm ist, das ist gefährlich."

Aber nicht nur in politischer Hinsicht gibt es einen großen Unterschied zwischen Deutschland und Tschechien, was die Anfälligkeit für rechtsextreme Ideologien anbelangt, beobachtet Ondrej Cakl von der Prager Bürgerinitiative "Tolerance" ("Toleranz"). Tschechische Jugendliche fühlten sich nämlich von Politik eher grundsätzlich abgestoßen und wollen damit in ihrer Freizeit nichts zu tun haben. Für ihn, so Cakl, sei es überhaupt nicht nachvollziehbar, warum besonders junge Menschen in Ostdeutschland so empfänglich für rechtsextreme Ideologien seien:

"Ich habe darüber auch mit Bekannten aus Polen und der Slowakei gesprochen. Und auch sie sind überrascht über die jetzige Situation in Deutschland. Bislang war Deutschland immer ein Vorbild, wenn es um die Bekämpfung von Rechtsextremismus ging. Und wir haben hier viele deutsche Initiativen kopiert. Deshalb überrascht es mich, dass die NPD es jetzt schafft, so viele junge Menschen für sich zu vereinnahmen. Unter denen muss eine große Frustration herrschen. Ich verstehe das einfach nicht, mir kommt das sehr sonderbar vor."

Um wirksamer gegen Rechtsextremismus vorgehen zu können, wünschen sich viele tschechische wie deutsche Bürgerinitiativen eine bessere Zusammenarbeit mit den Medien. Bislang, so bemängeln viele, berichten Journalisten hauptsächlich über Negativbeispiele, über Fälle von rechtsradikaler Gewalt - und viel zu wenig von Aktionen dagegen. Und transportieren dabei vielfach längst überholte Klischees meint Bernd Stracke von der Bürgerinitiative "Augen auf - Initiative gegen rechts" in Löbau/Zittau:

"Also, die meisten Bilder, die man in der Presse über Rechtsextremismus findet, sind Stiefel mit weißen Schnürsenkeln und Baseballschläger. So sieht das schon lange nicht mehr aus, das ist ein völlig ignoranter Zugang. Wichtig ist wirklich, hintergründig und genau zu recherchieren und mit Fachleuten aus der Zivilgesellschaft zu sprechen, die vor Ort arbeiten, und bei ihnen nachzufragen, wie die Strukturen in der rechten Szene aussehen. Also richtig ernsthaft recherchieren."

Ernsthaft recherchieren - das stellt sich gerade beim Thema Rechtsextremismus aber häufig gar nicht so einfach dar. Andreas Speit, Autor eines Buches über die Rolle der Freien Kameradschaften in der rechten Szene, ist zu Recherchezwecken jahrelang durch ganz Deutschland gefahren und weiß, wovon er spricht:

"Gerade das Spektrum der Freien Kameradschaften ist äußerst schwer zu recherchieren, weil die sich nicht offiziell treffen. Man muss wissen, wo sie sich treffen. Man muss sie sehr lange beobachten, um die Strukturen zu erkennen, um zu wissen, wer da was zu sagen hat. Denn die wählen ja nicht einen Vorstand und machen Parteitage, wo man sich als Journalist anmelden und dann hingehen kann. Hier muss man wirklich investigativ recherchieren."

Ein weiteres Problem, so äußerten Vertreter tschechischer und deutscher Bürgerinitiativen gegen Rechts, bestehe darin, dass Vernetzung bislang hauptsächlich unter den Neonazis stattfände, weniger unter den Initiativen dagegen. Eine engere Zusammenarbeit von tschechischen und deutschen Bürgerinitiativen sei daher äußerst wünschenswert, meint Ondrej Cakl:

"Das würde die Arbeit der Bürgerinitiativen auf beiden Seiten erleichtern, denn wir könnten uns mit unseren Erfahrungen gegenseitig bereichern. Unsere Organisation beobachtet z.B. seit langem die Verbindungen zwischen tschechischen und deutschen Neonazis in der Musikszene. Darüber könnten wir den deutschen Bürgerinitiativen viel Auskunft geben. Und die tschechische Gesellschaft sollte sich umgekehrt mit den öffentlichen Protesten und Demonstrationen gegen Rechtsextremismus in Deutschland beschäftigen und sich die Maßnahmen anschauen, die hier an Schulen und in anderen Bereichen getroffen werden. In dieser Hinsicht sollten wir uns Deutschland zum Vorbild nehmen."

Insgesamt werde die Bedeutung von zivilgesellschaftlichem Engagement immer noch zu sehr unterschätzt, meint Professor Roland Eckert von der Universität Trier. Dabei sei das Problem eben hier zu packen:

"Ich glaube, diese ganze Netzwerkarbeit, die hier auch vorgestellt wurde, ist eine sehr vernünftige Geschichte. Ich glaube, dass die dezentrale Aktivierung von Menschen, nicht unmittelbar vom Staat, aber staatlich gefördert, die einzige Chance ist, die wir haben. Eine andere Chance gibt es nicht. Die Parteien müssen endlich aufhören so zu tun, als ob jeweils sie die Probleme lösen könnten. Die Probleme sind weltwirtschaftlicher Art und die kann keine Partei in den nächsten Jahren lösen."

An die Tschechen appelliert Eckert, die Zeit zu nutzen, bevor rechtsextreme Gruppierungen zu einem handfesten politischen und gesellschaftlichen Problem werden wie in Deutschland. Hier sollten sich die Tschechen lieber kein Beispiel am deutschen Nachbarn nehmen:

"Wir haben in Deutschland sehr viel Zeit verloren, mit Grundsatzdiskussionen und so weiter. Und sind eigentlich erst seit fünf Jahren voll auf der Schiene, dass wir diese zivilgesellschaftliche Gegenwehr aufbauen."

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