Schikane oder Fortschritt? Punkteführerschein kommt nun auch in Tschechien

"Es drohen uns Schikanen" titelt das tschechische Wochenmagazin Tyden in seiner aktuellen Ausgabe. Fast könnte man angesichts dieser Schlagzeile meinen, Tyden sei eine Autozeitschrift. Denn "wir", das sind die Autofahrer, und voller "Schikanen" ist angeblich das neue Straßenverkehrsgesetz, das am 1. Juli, also diesen Samstag, in Kraft tritt. Sein Herzstück: Ein System von Strafpunkten, ähnlich dem, das im deutschen Flensburg verwaltet wird. Auch wenige Tage, bevor vermutlich die ersten Punkte vergeben werden, wird in Tschechien leidenschaftlich über das Gesetz diskutiert.

Rund um die Straßenmusiker auf der Prager Karlsbrücke und in den engen Gassen von Altstadt und Kleinseite stauen sich höchstens die Touristen. Vom täglichen Autostau in der tschechischen Hauptstadt bekommen die Gäste meist nur recht wenig mit. Aber Prag hat unter allen europäischen Metropolen die dritthöchste Verkehrsdichte. Auf jeden Prager im erwerbsfähigen Alter entfallen im Schnitt zwei Autos. Und auch in anderen Teilen Tschechiens scheint zu gelten: Wer in der kommunistischen Zeit jahrelang für seinen Skoda sparen und dann weitere Jahre auf seinen Skoda warten musste, für den ist das Auto heute oft ein Symbol des steigenden Wohlstands und der persönlichen Freiheit.

Was allerdings die Vorschriften rund ums Autofahren betrifft, so soll so mancher "Freiheit" nun bald ein Ende gesetzt werden. Am 1. Juli nämlich tritt ein neues Straßenverkehrsgesetz in Kraft. Wichtigste Neuerung: In Tschechien wird der Punkteführerschein eingeführt. Seine Zukunft jedoch ist ungewiss. Die Demokratische Bürgerpartei (ODS), die vor drei Wochen die Wahl gewonnen und gerade ihre Wunschregierung zusammengestellt hat, orientiert sich wohl eher am Prinzip "Freie Fahrt für freie Bürger". Ivan Langer, ODS-Innenminister in spe:

Ivan Langer  (ODS)
"Wir waren gegen dieses Gesetz, weil es aus unserer Sicht unangemessen hart ist. Daher wollten wir bei den jüngsten Koalitionsverhandlungen auch durchsetzen, dass es wieder aufgehoben wird. Schließlich haben wir aber respektiert, dass das für die Christdemokraten, die ja an der Entstehung des Gesetzes beteiligt waren, nicht in Frage kommt. Wir haben deshalb folgende Abmachung getroffen: Ein Jahr lang wird überprüft, wie sich das Gesetz auswirkt. Danach gibt es eine gründliche Analyse. Sollte diese Analyse zeigen, dass das Gesetz unnötig hart und mit einem extrem hohen bürokratischen Aufwand verbunden ist, und dass es statt denen, die auf den Straßen Menschen töten, Falschparker zur Verantwortung zieht, dann bin ich überzeugt, dass das Gesetz wieder geändert werden muss", so Langer am Sonntag in einer Diskussionssendung des Tschechischen Fernsehens.

Eine Änderung des Gesetzes wäre aber wohl recht schwierig. Denn neben den genannten Christdemokraten müsste die ODS auch ihren zweiten Koalitionspartner, nämlich die Grünen, für diesen Plan gewinnen - vorausgesetzt, das Kabinett erhält überhaupt das Vertrauen des Abgeordnetenhauses.

Für falsches Parken, wie Langer behauptet hatte, gibt es übrigens keine Strafpunkte, sagt Zdenek Bambas, der Chef der tschechischen Verkehrspolizei. Dennoch enthält das Gesetz eine lange Liste von Regelverstößen, die im Rahmen des neuen Systems geahndet werden sollen. Die Höchstzahl, nämlich sieben Punkte, gibt es etwa für die Verweigerung eines Alkotests oder für die fahrlässige Verschuldung eines Unfalls, bei dem Menschen getötet oder schwer verletzt werden. Wer Fußgänger auf dem Zebrastreifen nicht sicher die Straße überqueren lässt - eine weit verbreitete Unsitte vor allem in Prag - der bekommt vier Punkte auf sein Negativ-Konto. Einen Punkt gibt es zum Beispiel fürs Fahren auf der Busspur. Bei 12 Punkten ist der Schein weg, wer ihn wiederhaben will, muss erneut eine Prüfung ablegen.

Dass die nächste Regierung vielleicht bald versuchen wird, das neue Gesetz wieder abzuschwächen, sieht der derzeit amtierende Innenminister Frantisek Bublan einstweilen noch gelassen:

"Das ist ja das Schicksal jedes Gesetzes, dass es zunächst in der Praxis geprüft wird, und dass man dann eventuell nach Verbesserungsmöglichkeiten sucht. Es gab aber bereits im Vorfeld viele Diskussionen darüber, ob dieses Gesetz nun zu hart ist, oder umgekehrt vielleicht sogar zu weich. Und wir sind eben zu dem Schluss gekommen, dass ein rasanter Schritt erforderlich ist. Wenn etwa immer wieder Kinder auf Fußgängerübergängen sterben, dann muss für dieses Problem einfach eine Lösung gesucht werden."

Innenminister Frantisek Bublan

Kritiker sind allerdings der Ansicht, dass der Ermessensspielraum der Polizeibeamten in vielen Fällen zu hoch ist. Bleiben wir beim Beispiel Zebrastreifen: Viele Prager Fußgänger bleiben auch dort artig stehen, wo sie eigentlich Vorrang hätten, und warten, bis kein Auto mehr in Sicht ist - so sehr haben sie sich daran gewöhnt, dass Zebrastreifen meist ohnehin nur als Zierde gelten. Die Folge: Unübersichtliche Situationen, die nicht nur zu gefährlichen Missverständnissen führen können, sondern auch den Polizisten entsprechendes Fingerspitzengefühl abverlangen. Es werde vermutlich "von der subjektiven Bewertung des jeweiligen Beamten abhängen, ob ein Autofahrer diese vier Punkte bekommt oder nicht", meint Roman Jemnicek, der Direktor des Prager Autoklubs, der nicht gerade zu den Freunden des Punkteführerscheins zählt.

Für Verkehrspolizeichef Zdenek Bambas sind solche Überlegungen aber Schwarzmalerei:

"Die Sache ist doch ganz einfach: Es reicht, die Vorschriften einzuhalten! Die meisten Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung werden ja ganz bewusst begangen. Und der Sinn dieses Gesetzes besteht eben darin, die Autofahrer abzuschrecken, damit sie etwa nicht mit sinnlos überhöhter Geschwindigkeit fahren."

ODS-Mann Ivan Langer, der bald selbst Innenminister sein könnte, lässt sich von diesem Argument nicht überzeugen:

"Wir alle stimmen darin überein, dass man gegen die wirklichen Raser strenger vorgehen muss. Gleichzeitig gilt aber auch: Wenn ein Gesetz in der Praxis funktionieren soll, dann muss es eine gesellschaftliche Akzeptanz der Sanktionen geben. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass die verhängten Sanktionen gerecht und dem Vergehen angemessen sind", so Langer.

Fragt sich nur, was das Wort "angemessen" letztlich bedeutet. Zdenek Bambas, der Direktor der tschechischen Verkehrspolizei, will jedenfalls auch andere Maßstäbe anlegen als die der eigenen Gewohnheiten:

"Das Gesetz ist sehr streng im Vergleich zu dem, das heute in Tschechien gilt - aber sicher nicht im Vergleich zu ähnlichen Gesetzen in anderen europäischen Ländern."