Wahlempfehlungen tschechischer Zeitungen: Geht wählen!
Der Wahlkampf in Tschechien bleibt bis zum letzten Moment spannend. Eine entscheidende Rolle werden letztlich die bislang noch unentschiedenen Wähler spielen. Um sie zum Urnengang zu motivieren, wandten sich auch die führenden Zeitungen des Landes in direkten Appellen an ihre Leser.
"Nach der außerordentlich hässlichen Endphase des Wahlkampfs voller Affären und persönlicher Angriffe stellen sich viele von Ihnen sicherlich die Frage: Und solche Politiker soll ich wählen? Auch wenn es Ihnen vielleicht sonderbar vorkommt, aber die Antwort ist Ja! Wenn Sie nicht gehen, entscheiden die anderen für Sie. Und dann können Sie sich weitere vier Jahre lang wundern, wer mit der Regierung beauftragt wurde und wer die Bedingungen bestimmt, unter denen wir in Tschechien leben. Wenn Sie zuhause bleiben, müssen Sie automatisch damit rechnen, dass etwa ein Fünftel Ihrer Stimme an die Kommunisten geht. Also: gehen Sie lieber selber wählen!"
Auch die Zeitung Lidove noviny versucht ihre Leser am Freitag zum Wählen gehen zu motivieren. Der Chefredakteur des Blattes, Veselin Vackov, erklärt eingangs, warum er diesen Appell für wichtig hält und inwiefern sich das Verhalten der tschechischen Tageszeitungen unmittelbar vor Parlamentswahlen von der in anderen Ländern unterscheidet:
"Tschechische Zeitungen geben keine kategorischen Wahlempfehlungen, wie sie etwa die britischen Leser am Wahltag von ihrer Zeitung erwarten. Die hiesigen Redaktionen beschränken sich auf Warnungen. Sie raten den Lesern nicht, wen sie wählen sollen, sondern warnen vor denen, die gefährlich für die Entwicklung des Landes sein könnten. Eigentlich ein logisches Verhalten von Zeitungen, deren Leser häufig nur das kleinere Übel wählen."Auch die Lidove noviny, so Vackov weiter, hätten bislang vor Wahlen im Wesentlichen zwei Botschaften an die Leser gerichtet. Erstens: Wählen zu gehen. Und zweitens: Nicht die Kommunisten zu wählen. Diesmal jedoch habe seine Redaktion aus aktuellem Anlass noch eine dritte Warnung hinzugefügt:
"Es ist auch gefährlich, eine Partei zu wählen, die mit den Kommunisten gemeinsam regieren will. Die diesjährigen Wahlen sind de facto ein Referendum über die Gültigkeit einer Entscheidung der tschechischen Wähler aus dem Jahr 1990: zu verhindern, dass die Kommunisten mitregieren. Bislang hat niemand gewagt, diese Entscheidung anzuzweifeln. Bis Jiri Paroubek kam und alles auf eine Karte setzte: eine Minderheitsregierung unter Duldung der Kommunisten aufzustellen. Bereits jetzt ist klar, womit er den Kommunisten dafür bezahlen muss: mit Parlamentsposten und Einfluss in staatlichen Betrieben sowie den öffentlich-rechtlichen Medien. Und später dann mit einer Aufhebung des Lustrationsgesetzes."
Die Zeitung Hospodarske noviny beschränkt sich nicht auf die Warnung vor den Kommunisten und auf den Appell, wählen zu gehen. Sie spricht sich eindeutig für einen Regierungswechsel aus. Petr Simunek, der Chefredakteur des Blattes, schreibt dazu:"Für eine Demokratie ist es gesund, wenn sich die Regierungen ablösen, wenn das Establishment die Unsicherheit im Nacken spürt. An den Korruptionsaffären der letzten Zeit sehen wir deutlich, wohin die Selbstsicherheit der gegenwärtigen Regierung führt. Nach acht Jahren, in denen die Regierung Kurs auf einen immer stärkeren Wohlfahrtsstaat nimmt, hat Tschechien einen Kurswechsel verdient. Größere Entscheidungsfreiheit für die Bürger, minimale Eingriffe des Staates in die Wirtschaft unter Respektierung der europäischen Sozialtraditionen: diese Werte repräsentieren in der Tschechischen Republik des Jahres 2006 eher konservative und liberale Parteien als die gegenwärtige Regierungspartei."
Hören Sie abschließend noch einen Auszug aus der Zeitschrift Respekt, die sich in ihrer letzten Ausgabe vor den Wahlen für die beiden kleinen Parteien stark macht, die den Umfragen zufolge Chancen haben, ins Parlament einzuziehen: die Grünen und die Christdemokraten:
"Die kleinen Parteien sind die größte Unbekannte dieser Wahlen. Die Umfragen weisen so starke Schwankungen auf, dass unklar ist, ob Christdemokraten und Grüne oder keine von ihnen ins Parlament einziehen. Ohne die kleinen Parteien wird es keine antikommunistische Regierung geben, wenn man von einer großen Koalition absieht. Die kleinen Parteien haben die Chance, die Schwächen der großen Parteien abzufedern: die antieuropäische Haltung und fehlende soziale Sensibilität der ODS und den Paternalismus der Sozialdemokraten. Außerdem könnte der Einzug der Grünen ins Parlament ein Impuls sein, um das Vertrauen der unzufriedenen Wähler in die Politik wiederherzustellen. Die Grünen und die Christdemokraten brauchen also am meisten Stimmen. Im Moment sind sie es, die die größte Garantie bieten, alt eingefahrene Wege zu verlassen."