Who is who im tschechischen Wahlkampf?
Am Freitag und Samstag wählen die Bürger Tschechiens ein neues Abgeordnetenhaus. Radio Prag berichtet laufend über den Wahlkampf und darüber, welche Themen die Menschen kurz vor dem Urnengang am meisten bewegen. Nun wollen wir noch einmal einen Blick auf die Ausgangslage werfen: Welche sind die wichtigsten Parteien, die gegeneinander antreten? Inwiefern sind sie mit Parteien in Deutschland oder Österreich eigentlich vergleichbar? Und wie hat sich die politische Landschaft Tschechiens seit der Wende des Jahres 1989 entwickelt? Gerald Schubert und der letzte "Schauplatz" vor der Wahl 2006.
Ähnlich spannend könnte es am Samstag in Tschechien werden. Die oppositionelle Demokratische Bürgerpartei (ODS) liegt zwar seit vielen Monaten in den Umfragen vorn, die regierenden Sozialdemokraten (CSSD) aber konnten den Abstand zuletzt immer weiter verkleinern. Verteidigen die Wahlsieger von 2002 also doch noch ihren Platz als stärkste Partei im Land?
Die CSSD, deren Wurzeln bis in die Zeit der Habsburgermonarchie zurückreichen, wurde 1948, also nach der kommunistischen Machtergreifung, vom neuen Regime sozusagen zwangsintegriert. Mehr als 40 Jahre lang, bis zur Samtenen Revolution, blieb sie von der politischen Landkarte verschwunden. Die Chance zum Neubeginn wurde dann rasch genutzt, erklärt Jan Bures, Politikwissenschaftler an der Karlsuniversität Prag:
"Nach 1989 wurde die Sozialdemokratie als völlig neue, unabhängige Partei wiedergegründet, und zwar großteils von Leuten, die zuvor keine längerfristigen Verbindungen zu den Kommunisten hatten. Sie ist somit die größte linksorientierte Partei Mittel- und Osteuropas, die nicht aus der Regierungspartei eines früheren, nichtdemokratischen Regimes hervorgegangen ist."
Heute ist die CSSD eine Partei des sozialdemokratischen Mainstreams, proeuropäisch, und mit guten Verbindungen zu ihren Schwesterparteien in der EU. Anders als diese ist sie aber in der politischen Landschaft noch nicht besonders tief verankert, sagt Bures:
"Die Sozialdemokratische Partei hat keine sehr stabile Wählerschaft. Das hängt vor allem damit zusammen, dass nach dem Jahr 1989 in der hiesigen Bevölkerung keine große Begeisterung für linksgerichtete Parteien jedweder Art herrschte. Die Mehrheit der Stimmen konnten unmittelbar nach der Samtenen Revolution die rechtsgerichteten Parteien auf sich vereinen. Diese hatten also mehr Zeit, sich einen stabilen Kern an Stammwählern aufzubauen."Anders die kommunistische Partei (KSCM): Sie gilt als die mit den eingefleischtesten, aber auch ältesten Stammwählern. Vielfach handelt es sich dabei um Menschen, die mit der raschen Transformation des Landes nicht Schritt halten konnten und somit zu den klassischen Modernisierungsverlierern zählen. Im europäischen Vergleich gilt die KSCM als eher unreformiert, eine Koalition mit ihr schließen derzeit alle maßgeblichen Parteien kategorisch aus. Das hat wohl auch damit zu tun, dass die KSCM die Wendefreudigkeit vieler ausländischer Schwesterparteien nicht mittragen musste - das rasche Wiedererstehen der Sozialdemokraten war der Entwicklung sozusagen zuvor gekommen.
Im Gegensatz zu Sozialdemokraten und Kommunisten ist die Demokratische Bürgerpartei (ODS) eine sehr junge Partei. Derzeit ist sie die größte oppositionelle Gruppierung im tschechischen Abgeordnetenhaus.
"Die Demokratische Bürgerpartei ging 1991 aus dem zerfallenden Bürgerforum hervor. Dort hatten sich zuvor immer stärker zwei Hauptströmungen herauskristallisiert. Die eine bestand vor allem aus seinen ursprünglichen Gründern, also aus Leuten rund um den damaligen Präsidenten Vaclav Havel. Sie wollten das Bürgerforum als eine Art überparteiliche politische Bewegung erhalten. Liberal und tolerant sollte sie sein, aber ideologisch und personell ohne streng ausgeprägtes Profil. Dieses Konzept war aber nicht erfolgreich, man konnte sich kaum auf konkrete Reformschritte einigen. Ende 1990 wurde dann Vaclav Klaus zum Vorsitzenden gewählt. Er nahm die Umwandlung des Bürgerforums in eine klassische politische Partei in Angriff, mit einer sehr klar profilierten Ideologie aus liberal-konservativen Ansichten und einer festen Mitgliederbasis, wie dies auch in den klassischen politischen Parteien Westeuropas üblich ist." Die ODS, die dann von Klaus und seinen Gefolgsleuten gegründet wurde, ist die rechtsorientierte Massenpartei in Tschechien. Im Gegensatz zur deutschen CDU/CSU oder zur österreichischen ÖVP hat sie aber überhaupt keine religiösen Wurzeln. Ihr wirtschaftsliberales Programm, etwa die Forderung nach einem einheitlichen Steuersatz von 15 Prozent, zieht vor allem Unternehmer und besser verdienende Großstädter an.Eine Christdemokratische Partei gibt es in Tschechien aber auch. Die KDU-CSL, die derzeit mit drei Ministern in der Regierung vertreten ist, hatte in den letzten Jahren einen ziemlich stabilen Wähleranteil von 10 Prozent. In den aktuellen Umfragen erreicht sie diesen Wert aber nicht. Jan Bures, Politologe an der Karlsuniversität Prag:
"Ihr Wählerpotential ist heute vor allem regional konzentriert, und zwar in Südmähren, in Teilen Ostböhmens und auch noch in Südböhmen. Heutzutage kann man aber eigentlich nicht mehr sagen, dass diese Partei besonders konfessionell geprägt ist. Natürlich besteht der größte Teil der Wähler aus Menschen, die sich als praktizierende Katholiken bezeichnen. Vor allem trifft das auf die Wähler in Südmähren zu. Aber die Politik der KDU-CSL und ihrer Führung ist mit dem Katholizismus nicht besonders stark verbunden. Die Partei macht eher eine pragmatisch-konservative Politik. Diese stützt sich auch auf die Einsicht, dass sie keine politische Führungsrolle im Land übernehmen kann, aber für die jeweiligen Wahlsieger als Koalitionspartner in Frage kommt."
Die kleinste Regierungspartei, die liberale Freiheitsunion (US-DEU) spielt in den Umfragen schon seit längerer Zeit keine nennenswerte Rolle. Mittlerweile hat das sogar dazu geführt, dass ihre Vertreter kaum mehr zu den Vorwahl-Diskussionssendungen des Fernsehens eingeladen werden. An ihrer Stelle könnte jedoch abermals eine fünfte Partei ins Abgeordnetenhaus einziehen - die Grünen. Politologe Jan Bures:
"Aus soziologischen Untersuchungen geht hervor, dass über 50 Prozent derer, die heute Grün wählen wollen, frühere Nichtwähler sind. Die Grünen spielen aber in der tschechischen Politik auch noch eine andere Rolle, und zwar als Sammelbecken einer bestimmten Gruppe von Bürgern, etwa 10 Prozent der Wähler, die mit der Parteienhierarchie als solcher nicht einverstanden sind. Sie unterstützen bereits seit 1990 kleinere, liberale Parteien, die keine allzu festen Strukturen und Hierarchien aufweisen. Diese Leute sind Freidenker, die viel über Politik diskutieren - zum Beispiel Leute, die nach dem Zerfall des Bürgerforums die Politik von Vaclav Havel unterstützten. Es ist durchaus möglich, dass ein bestimmter Teil dieser Wähler sich nun für die Grünen entscheidet."
So wie übrigens auch Vaclav Havel selbst, der sich jüngst in einem Zeitungsinterview als Neo-Grüner geoutet hat.