Europäischer Patriotismus in Europas Mitte

Jihlava (Foto: CzechTourism)

Die Iglauer Gespräche sind aus dem imaginären Veranstaltungskalender der tschechisch-deutschen Beziehungen nicht mehr wegzudenken. Vom 7. bis zum 9. April ging bereits der 15. Jahrgang über die Bühne. Die Organisatoren der Konferenz in Jihlava / Iglau, die Bernard-Bolzano-Gesellschaft und die katholische Ackermann-Gemeinde, legen den Schwerpunkt der Gespräche nun nicht mehr ausschließlich auf die bilateralen Beziehungen, sondern richten ihren Fokus immer stärker auf das gesamte mitteleuropäische Gebiet. Über das diesjährige Thema "Patriotismus in Mitteleuropa" hat Bara Prochazkova mit den Referenten gesprochen.

Jihlava  (Foto: CzechTourism)
Es gibt Patriotismus in Mitteleuropa - aber nicht nur einen. Da waren sich die Referenten bei den diesjährigen Iglauer Gesprächen einig. Patriotismus gehört zur persönlichen Identität, meint der EU-Abgeordnete Bernd Posselt. Patriotismus gibt es ausschließlich in Verbindung mit einem Staat, sagte dagegen Martin Schulze Wessel, Professor an der Universität München:

"Patriotismus verstehe ich als ein emotional aufgeladenes Zugehörigkeitsgefühl zu einem Land."

Patriotismus hängt zwar geschichtlich mit Nationen und mit Ländern zusammen, birgt aber auch Verpflichtungen für die Menschen, führt die Präsidentin der Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, Gesine Schwan, die Definition des Begriffes weiter:

"Zugehörigkeitsgefühl, eine Verantwortung für die Menschen und die Region, auch eine gewisse Neigung dafür, aber dies alles mit einer Selbstkritik verbunden."

Für die Länder aus dem ehemaligen Ostblock ist Patriotismus ein neues Phänomen. Oft werde er mit Nationalismus verwechselt, sagte das Mitglied der Europäischen wirtschaftlichen und sozialen Kommission, Juraj Stern aus der Slowakei. Auch in Tschechien habe der Patriotismus eine besondere Form angenommen, die Tschechen sind stolz auf die Erfolge der vergangenen Jahre, erklärte der Vorsitzende der Organisation Europlatform, Petr Greger:

"Der tschechische Patriotismus ist der Stolz darauf, was wir erreicht haben und dass wir Mitglied in der Europäischen Union sind. Es ist der Stolz darauf, dass wir nach 15 Jahren angefangen haben, uns aus dem Kessel der Probleme zu befreien, die die 40 Jahre Kommunismus gebracht haben, und wir ein normales Land in der Europäischen Union sind, so wie wir es uns vor der Samtenen Revolution vorgestellt haben."

Aus diesen regionalen Patriotismusgefühlen setzt sich der europäische Patriotismus zusammen. Genauso ist es mit der Identität, meint der EU-Abgeordnete Bernd Posselt. Identität besteht nach der Definition von Posselt nämlich aus der Herkunft oder aus persönlichen Erlebnissen:

"Ich selbst bin sudetendeutscher Herkunft und habe kulturell und von der Lebensart her viel mehr mit einem Tschechen zu tun als mit einem Menschen aus Hamburg. Ich fühle mich in Iglau zu Hause, in Hamburg bin ich ein Ausländer."

Nicht lokal, sondern international versteht dagegen Gesine Schwan den europäischen Patriotismus. Europäische Union sei ein Reichtum an Vielfalt, und davon müssten alle Europäer überzeugt werden, sagt Schwan:

"Die Gesellschaft muss die Vielfalt verkraften können oder sogar als Reichtum betrachten. Zu sagen: erst kommen die Deutschen, dann kommen die Polen, dann kommen die Franzosen und dann die Italiener, das ist vollkommen absurd in Europa."

Auch wenn Europa eine Region mit Schattenseiten in ihrer Geschichte ist, sollte diese Vielfalt weiterhin unterstützt werden, meint sie:

"Natürlich gibt es innerhalb Europas Konflikte, aber Patriotismus heißt nicht Homogenität und nicht Identität im Sinne einer unterschiedslosen Gleichheit. Identität heißt Komplexität - bei Menschen und bei Gesellschaften."

Nicht jeder Referent bei der Konferenz in Jihlava war so optimistisch wie die Koordinatorin für die deutsch-polnischen Beziehungen, Gesine Schwan. Die nationalen Gefühle seien nach wie vor stärker als der europäische Gedanke, sagte Professor Martin Schulze Wessel:

"Es könnte einen europäischen Nationalismus geben. Aber bislang sind die Zugehörigkeiten zu den einzelnen Nationalstaaten für die Menschen wichtiger, obwohl auf der europäischen Ebene viele Probleme verhandelt werden, die für uns bedeutend sind."

Foto: Europäische Kommission
Eine ähnliche Meinung teilt auch der Vorsitzende der Deutsch-slowakischen Gesellschaft, Juraj Stern:

"Ich würde noch nicht von einem europäischen Patriotismus sprechen, sondern von einem europäischen Bewusstsein und einer Identifikation mit Europa als einem neuen Phänomen, das den Bewohnern des Kontinents etwas geben kann."

Juraj Stern sieht jedoch die Hoffnung für die Zukunft in der jungen Generation. Optimistisch zeigte sich auch Walter Reichel, der bei der diesjährigen Konferenz in Jihlava die österreichische Seite vertreten hat:

"Ich bin der Meinung, dass wir auf dem Weg sind, so einen europäischen Patriotismus herauszuarbeiten. Neben einem Lokalpatriotismus gibt es dann eine Verhaftetheit zur Heimat, zur Umgebung der Herkunft, zu Menschen, mit denen man sich verbunden fühlt. Das ist eine Metaebene, diese würde ich als die europäische Ebene bezeichnen."

Patriotismus hängt stark mit den Beziehungen zwischen den Staaten zusammen. Oft könnte er bilaterale Beziehungen auch beeinflussen, wie im Falle des deutsch-polnischen Verhältnisses, gab die Journalistin Gabriele Lesser an, die in Iglau den Eröffnungsvortrag zum Thema "europäischer Patriotismus" gehalten hat:

Foto: Lenka Zizkova
"Die Polen wissen im Moment nicht so richtig, wer sie sind und wo ihre eigene Identität liegt. Sie sind intensiv auf der Suche nach dieser neuen Identität in der Europäischen Union, wo sie gerne eine wichtige Rolle spielen möchten. Aber sie wissen nicht so richtig, wie sie das tun sollen."

Um eine europäische Identität annehmen zu können, müsse Polen einen wichtigen Schritt machen, sagt die Polen-Korrespondentin Gabriele Lesser:

"Wenn man andere lieben will, muss man sich selbst lieben. Tatsächlich müssten die Polen sich selbst, eine gute eigene Identität, wieder finden. Dann wären sie in der Lage, auch andere zu lieben und den Nationalismus wieder loszuwerden."

Während die polnischen Beziehungen zu Deutschland von der persönlichen Identität Polens beeinflusst werden, haben andere Staaten ein klares Verhältnis zu Deutschland, sagte der Universitätsdozent Petr Greger. Früher hatten etwa die Tschechen Angst vor seinem mächtigen Nachbarn, heute hätte sich die Situation gewandelt:

"Die heutige junge Generation der 40-jährigen in Tschechien hat vor Deutschland keine Angst. Aber diese Generation in Deutschland hat Angst vor den neuen EU-Mitgliedsstaaten. Davor, dass die Menschen dort konkurrenzfähiger sind und gewohnt, sich auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen. Davor, dass die Deutschen keine Arbeit haben werden. Es ist also alles auf die andere Seite gedreht, und das könnte den europäischen Integrationsprozess gefährden."

Die slowakische Seite schaut einstweilen unbekümmert zu, meint Juraj Stern:

"Die deutsch-slowakischen Beziehungen sind nicht mit Problemen aus der Vergangenheit belastet, die zwischen Tschechen und Deutschen eine Rolle spielen. In der Slowakei hatte man zwar Schwierigkeiten mit Karpatendeutschen, aber nicht in so großem Maße. Auch heute sind die Karpatendeutschen eine Minderheit, die vom slowakischen Staat vor allem im Kulturbereich unterstützt wird. Mit der Akzeptanz der Deutschen in der Slowakei gibt es keine Probleme. Das beste Beispiel ist, dass der ehemalige slowakische Präsident ein Karpatendeutscher war."