Europa für Herz und Magen

Bernd Posselt (Foto: Martina Schneibergová)
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Bernd Posselt ist Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe und war jahrelang Abgeordneter des Europäischen Parlaments. In seinem neuen Buch geht der Politiker und Publizist auf die Wurzeln Europas ein und porträtiert führende Persönlichkeiten des Kontinents, darunter auch Tschechiens Ex-Präsidenten Václav Havel. Er blickt in seinem Werk jedoch nicht nur in die Vergangenheit, sondern bietet darin auch eine Vision für die Zukunft Europas ohne die heutigen Zerwürfnisse. Am Dienstag hat Bernd Posselt sein Buch in der Prager Václav-Havel-Bibliothek vorgestellt. Nach der Präsentation hat Martina Schneibergová ihn vors Mikrophon gebeten.

Bernd Posselt  (links). Foto: Martina Schneibergová
Herr Posselt, Sie haben soeben hier in Prag Ihr Buch „Bernd Posselt erzählt Europa“ vorgestellt. Was hat Sie dazu gebracht, dieses Buchprojekt in Angriff zu nehmen?

„Ich wollte damit klarmachen, dass Europa nicht nur ein Projekt von Wirtschaft, Bürokratie und Politik ist, sondern etwas Ganzheitliches. Europa – das ist unser Leben, unsere Identität, unsere Kultur, die sich aus vielen nationalen und regionalen Kulturen zusammensetzt. Mein Buch befasst sich natürlich auch politisch mit Europa, aber ebenso historisch, kulturell, kulinarisch, religiös und philosophisch. Ich versuche ein Gesamtbild von Europa zu entwerfen – ein Europa, das man lieben kann.“

In welche Bereiche gliedert sich Ihr Buch?

„Václav Havel ist für mich einer der ganz großen Europäer, ohne die der Kontinent heute nicht das wäre, was er heute ist.“

„Das Buch besteht aus vier großen Abschnitten, die wiederum in zehn bis zwölf Kapitel unterteilt sind. Der erste Teil heißt ,Ausgangspunkte‘. Da geht es um die europäische Identität, um die Geschichte unseres Kontinents, aber auch um aktuelle Probleme wie die Kontrolle der Außen- und die Öffnung der Binnengrenzen sowie Falschmeldungen, in denen die EU als Sündenbock für die nationale Politik verwendet wird. Der zweite Abschnitt heißt dann ,Personen und Kräfte‘. Darin stelle ich Persönlichkeiten der europäischen Einigung vor: von dem aus Böhmen stammenden Richard Coudenhove-Kalergi über Adenauer und viele anderen bis hin zu den Gründervätern im Osten. Die haben mindestens genauso viel für die europäische Einigung geleistet wie die im Westen, wie ich schreibe. Darunter sind Johannes Paul II. und Lech Wałęsa. Václav Havel ist dabei für mich einer der ganz großen Europäer, ohne die der Kontinent heute nicht das wäre, was er heute ist. ,Mehr als ein Markt‘ heißt der dritte Abschnitt, in dem ich mich gegen ein materialistisches Europa-Bild wende. Ich beschreibe die Grundideen Europas im Heiligen Römischen Reich, dann die republikanischen Visionen in den USA, das Christentum als Sauerteig Europas und den Liberalismus. Dann wird das europäische Lebensmodell dargestellt. Im Unterkapitel Europa als Bauchgefühl behandle ich das Essen. Als böhmischer Mensch finde ich das Essen wichtig als Grundlage für die europäische Kultur und Vielfalt. Der vierte und letzte Punkt schließlich entwickelt Visionen für das künftige Europa, befasst sich mit Minderheitenrecht und Regionalismus. Ich beschreibe die Idee einer supranationalen Demokratie und stelle provokativ die Frage: ,Muss Demokratie national sein?‘ und sage klar: ,Nein‘.“

Foto: Verlag Friedrich Pustet
Unterscheidet sich der Nationalismus von heute vom Nationalismus des 19. Jahrhunderts?

„Nein, er ist nur vielleicht in zwei Punkten etwas anders. Erstens haben wir inzwischen schlechte Erfahrungen mit dem Nationalismus gesammelt. Diese kannte das 19. Jahrhundert noch nicht. Deshalb haben wir heute keine Entschuldigung mehr, wenn wir nicht gegen den Nationalismus kämpfen. Das Zweite ist, dass der Nationalismus heute ein Zerstörungspotential hat, das noch ärger ist als im 19. Jahrhundert. Kriege werden heute noch schlimmer, sie könnten sogar das Ende der Menschheit bedeuten. Wenn die Medien heute Hass und Nationalismus nutzen, haben sie eine viel destruktivere Wirkung als im 19. Jahrhundert. Der Nationalismus könnte im 21. Jahrhundert das Ende Europas und vielleicht der Menschheit bedeuten.“

Haben Sie vor, ein weiteres Buch über Europa oder nur über Böhmen zu schreiben?

„Derzeit arbeite ich am Wahlkampf für die Europawahl, aber innerlich bereite ich schon mein nächstes Buch vor. Es soll ein Gespräch über mein Verhältnis zu Böhmen sein. Das übernächste Buch soll dann die Fortsetzung meines aktuellen Werks sein, weil ich da höchstens die Hälfte davon untergebracht habe, was ich erzählen wollte. Vielleicht werde ich nächstes Jahr die Möglichkeit haben, weiterzuerzählen.“

„Der Nationalismus hat heute ein Zerstörungspotential, das noch ärger ist als im 19. Jahrhundert. Er könnte im 21. Jahrhundert das Ende Europas und vielleicht der Menschheit bedeuten.“

Wollen Sie „Bernd Posselt erzählt Europa“ noch in weiteren Städten Tschechiens vorstellen?

„Wir haben schon an vielen Orten in Deutschland Lesungen veranstaltet – und auch in Pilsen zusammen mit Fürst Schwarzenberg. In Wien habe ich das Buch mit dem früheren österreichischen Bundeskanzler Schüssel vorgestellt. Soeben wurde es in der Václav-Havel-Bibliothek präsentiert, was ich aus der Verbundenheit mit dem großen Europäer Václav Havel heraus als eine große Ehre empfinde. Wir werden das Buch zudem in Straßburg, Preßburg, Budapest und Zagreb vorstellen. Und in Kroatien wird das Buch in die Landessprache übersetzt.“

Wie wäre es mit einer Übersetzung ins Tschechische?

„Wenn ein Verlag daran interessiert wäre, würde mich das sehr freuen.“