Historischer Nachbarschaftsbesuch: Bayerns Ministerpräsident Seehofer in Prag
Es ist ein historischer Moment: Als erster bayerischer Ministerpräsident weilt Horst Seehofer zu einem offiziellen Besuch in Prag. Mit der Visite soll das jahrzehntelange Schweigen gebrochen werden. Wie beide Seiten im Vorfeld erklärt haben, sollen endlich auch auf politischer Ebene die guten bis intensiven nachbarschaftlichen Beziehungen bestätigt werden. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs war ein Besuch immer am Streit um die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei gescheitert. Die bayerische Landesregierung, die sich als Schutzpatron der Sudetendeutschen sieht, forderte eine Rücknahme der Beneš-Dekrete, die die Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg sanktioniert hatten. Darauf beharrt nun Seehofer nicht mehr. Die tschechische Seite verstand die Beneš-Dekrete als sakrosankt. Noch vor dem Besuch von Seehofer sagte ein Sprecher von Ministerpräsident Nečas, dass man über die Dekrete überhaupt nicht sprechen wolle. Am Montag nun sind Premier Nečas und der bayerische Ministerpräsident Seehofer in Prag zu Gesprächen zusammgetroffen.
Das war so ziemlich alles, was Seehofer nach dem Treffen mit Nečas zum Streitthema Beneš-Dekrete zu sagen hatte. Auch der tschechische Ministerpräsident blieb vorsichtig:
„Natürlich konnten wir den unterschiedlichen Auffassungen in der Betrachtung unserer Vergangenheit nicht ausweichen. Dennoch herrscht hier der klare Wille vor, unsere Zusammenarbeit vor allem in die Zukunft zu richten.“
Das Wort Beneš-Dekrete nahmen weder Nečas, noch Seehofer in den Mund. Es blieb tabu, obwohl auch er Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt, mit Seehofer nach Prag gereist ist. Doch bei der Unterredung im tschechischen Regierungsamt war Posselt nicht zugegen, sie fand nur unter vier Augen statt.Ob mit oder ohne Beneš-Dekrete: Das Treffen ist historisch. Nečas hatte Seehofer sehr herzlich in Empfang genommen, weltanschaulich haben beide einiges gemeinsam: beide sind katholisch und beide sind konservativ. Und mit der Zusammenkunft erreicht wurde praktisch, dass die bayerische Seite nun eindeutig auch auf der Höhe der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997 angekommen ist. In einer gemeinsamen, fast dreiseitigen Erklärung wurden 16 Felder der Zusammenarbeit festegelegt: zum Beispiel die Energiewirtschaft, die Pflege des deutsch-tschechischen Kulturerbes, der Naturschutz im Rahmen der Nationalparks. Konkret wurde es bei der Verkehrsinfrastruktur:
„Dazu nenne ich einige Projekte wie die Modernisierung der Bahnlinie Pilsen – Regensburg – Nürnberg und die Elektrifizierung der Bahnverbindung zwischen Nürnberg und Marktredwitz“, so Petr Nečas.Doch es gab auch noch ein weiteres Streitthema. Und darüber haben sich beide Seiten – anders als bei den Beneš-Dekreten –anscheinend intensiv unterhalten: die Polizeikontrollen in Bayern im Rahmen der Schleierfahndung, die tschechische Autofahrer zum Teil als gezielt und diskriminierend empfinden. Dazu Seehofer:
„Ich habe angeboten, dass wir solche Polizeikontrollen im grenznahen Bereich vielleicht dadurch auch mit mehr Transparenz und Vertrauen ausstatten, indem wir gemischte Besetzungen der Polizeikontrollen – also tschechisch-bayerisch – vorbereiten. Das bedeutet natürlich im sprachlichen Bereich auch entsprechende Maßnahmen.“
Vereinbart wurde, dass der tschechische Innenminister und der bayerische möglichst bald zusammentreffen und weitere Details aushandeln.Der Besuch von Horst Seehofer in Prag soll der Auftakt sein, die Beziehungen zwischen Tschechien und Bayern zu normalisieren. Und er soll schon demnächst eine Fortsetzung finden:
„Ich habe Herrn Ministerpräsidenten Nečas zu einem Besuch nach Bayern eingeladen. Und ich freue mich heute bereits auf unser nächstes Treffen. Ich denke, sofern es der Terminkalender erlaubt, wird er ohnehin an der Sicherheitskonferenz in München teilnehmen. Aber natürlich soll es darüber hinaus zu regelmäßigen Begegnungen zwischen München und Prag kommen.“
Zu Seehofers in Prag gehören unter anderem noch Treffen mit Wirtschaftsvertretern sowie mit dem Prager Erzbischof Dominik Duka und auch mit Vertretern der jüdischen Gemeinde in Prag.