Wahlen in Weißrussland - Gespräch mit Jan Maksymiuk (Radio Free Europe)
82,6 Prozent für Präsident Lukaschenko, 6 Prozent für Oppositionskandidat Milinkewitsch - so das offizielle Ergebnis der Präsidentenwahl in Weißrussland vom vergangenen Sonntag. Einer Wahl, so sind sich Regimegegner im Land und außenstehende Beobachter einig, die alles andere als demokratisch verlaufen ist. Dennoch: auch unabhängige Umfragen bestätigen, dass Lukaschenko ohne Wahlmanipulation zwar wesentlich weniger Stimmen bekommen, die Wahlen aber dennoch gewonnen hätte. Über die Gründe für die nach wie vor anhaltende Popularität Lukaschenkos, über die Chancen der Opposition und die wichtige Rolle der Medien hat sich Silja Schultheis mit Jan Maksymiuk unterhalten, Weißrussland-Spezialist beim Sender Radio Free Europe/Radio Liberty in Prag.
"Milinkewitsch ist ganz einfach zu spät auf der politischen Szene erschienen, die Opposition hat ihn erst im Oktober 2005 zu ihrem Hauptkandidaten erklärt. Dadurch, dass Lukaschenko den Wahltermin um einige Monate vorverlegt hat, hatte die Opposition nur wenig Zeit, sich auf die Wahlen vorzubereiten. Und das zweite ist, dass Lukaschenko in Weißrussland tatsächlich ein sehr populärer Politiker ist. Dem Durchschnittsweißrussen geht es wirtschaftlich vergleichsweise gut und das ist für mindestens die Hälfte der Bevölkerung wichtiger als Menschenrechte, Pressefreiheit und so fort."
Durch die massiven Behinderungen regimekritischer Journalisten, auch aus dem Ausland, ist es der weißrussischen Opposition letztlich nur mühsam gelungen, der Öffentlichkeit überhaupt ihr Programm vorzustellen. Unabhängige Medien scheiterten oft an ganz existenziellen Problemen, berichtet Jan Maksymiuk:"Keine der staatlichen Druckereien in Weißrussland hat zum Beispiel die unabhängigen Zeitungen der Opposition gedruckt. Und so mussten diese sich Drucker in Russland suchen, in Smolensk. Und dieser Drucker in Smolensk hat vor den Wahlen das Drucken der drei wichtigsten unabhängigen Zeitungen abgelehnt. Die Opposition hat wirklich enorme Probleme mit der Kommunikation, sie kann die Wähler nur ganz schwer erreichen."
Die Folge: regimekritische Gruppen bleiben isoliert, eine Vernetzung untereinander gelingt nur mühsam. Und die Mehrheit der Bevölkerung macht lieber einen weiten Bogen um die Demonstranten, die seit Sonntagabend im Zentrum von Minsk eine Wiederholung der Wahlen fordern:
"Ich nehme an, alle in Minsk wissen, dass auf dem Oktoberplatz Menschen demonstrieren und was sie wollen. Aber die Menschen in Weißrussland sind irgendwie nicht solidarisch. Die Gesellschaft ist noch in solchem Maße sowjetisiert, dass sich diese Solidarität erst langsam zu entwickeln beginnt. Die Menschen sind noch in einem atomisierten Stadium, wo sie Angst haben, auf die Straße zu gehen und sich solidarisch zu zeigen - selbst wenn sie im Geiste die Anliegen der Demonstranten unterstützen."
Die Isolation aufzuheben und den Weißrussen breitgefächerte Informationen aus ihrem eigenen Land zu bringen, ist Hauptanliegen der weißrussischen Sendungen von Radio Free Europe/Radio Liberty, die die Demonstranten auf dem Minsker Oktoberplatz über Lautsprecher öffentlich anhören. Jan Maksymiuk ist einer der Redakteure:"Ein wichtiger Bestandteil unserer Sendungen sind Telefonate - Weißrussen rufen uns an und sagen ihre Meinung zur Situation im Land. Und so erfahren die Menschen in Weißrussland, was ihre Mitbürger eigentlich denken. Das wissen sie nämlich gar nicht. Die Leute kennen nur das Bild, das ihnen die Regierungspropaganda vermittelt."
Unter den ausländischen Journalisten, die bei der Wahlberichterstattung aus Weißrussland behindert wurden, war auch der tschechische Redakteur Jan Rybar von der Tageszeitung Mlada fronta dnes. Er wurde am Sonntagabend in Minsk brutal zusammengeschlagen und ausgeraubt, Rybar selbst sowie die tschechische Botschaft in Minsk gehen davon aus, dass der weißrussische Geheimdienst hinter dem Überfall steht. Ein Rachemotiv wäre angesichts der tschechischen Haltung zum weißrussischen Regime durchaus naheliegend, meint auch Jan Maksymiuk:
"Lukaschenko hat dafür persönliche Motive: Die Tschechische Republik hat ihm 2002 die Teilnahme am NATO-Gipfel in Prag verweigert. Und so etwas vergisst Lukaschenko nicht. Und zweitens ist Tschechien auf internationaler Ebene zum Verteidiger der weißrussischen Opposition geworden, im Europaparlament etwa. Und es gibt in Tschechien viele Organisationen, die weißrussische Regimegegner unterstützen. Hier spielt Tschechien mit eine Schlüsselrolle - gemeinsam mit Polen, der Slowakei und Litauen."Insgesamt kann der Westen aber kaum effektive Schritte gegen das autoritäre Lukaschenko-Regime unternehmen, meint Jan Maksymiuk:
"Es ist so, dass der Westen im Grunde nicht viel machen kann, um Druck auf Lukaschenko auszuüben. Politische Instrumente hat er nicht, denn Lukaschenko will sein Land nicht in westliche Strukturen integrieren, weder in die NATO noch in die EU. Und mit Wirtschaftssanktionen würde man Lukaschenko nur ein weiteres Argument dafür liefern, dass Weißrussland in Europa nicht willkommen ist - genau das Gegenteil von dem, was die Opposition sagt. Der Westen kann natürlich der weißrussischen Führung Einreisevisa verweigern. Aber auch das ist nicht effektiv, denn die Regierung reist schon seit langem nicht mehr nach Europa. Lukaschenko war dort zuletzt auf Einladung des französischen Präsidenten vor zehn Jahren und seitdem nicht mehr!"
Wie geht es weiter in Weißrussland? Zu Neuwahlen werden die jetzigen Proteste in Weißrussland sicherlich nicht führen; einen entscheidenden Sieg hat die Opposition aber dennoch errungen:
"Ich denke, die Opposition wird am Samstag noch wie geplant eine größere Kundgebung in Minsk organisieren. Und danach, vermute ich, werden sich die Proteste zerlaufen. Aber: In Zukunft wird es wesentlich häufiger ähnliche Kundgebungen geben. Denn die Opposition hat eine wichtige Erfahrung gemacht: Sie hat es geschafft, der Gesellschaft zu zeigen, dass man auf die Straße gehen und seine Meinung sagen kann. Und zumindest ein Teil der Weißrussen hat die Angst davor überwunden."