Tschechische Roma ein Jahr nach dem EU-Beitritt
Seit gut einem Jahr ist die Tschechische Republik Mitglied der Europäischen Union. Im Vorfeld des Beitritts hatte die EU insbesondere in einem Bereich immer wieder Verbesserungen angemahnt: in der Minderheitenpolitik. Und das bedeutete konkret: im Umgang mit den Roma, der zahlenmäßig stärksten Minderheit Tschechiens. Mit dem EU-Beitritt ist diese Kritik nicht verstummt, der Europarat hält die Situation der Roma-Minderheit in Tschechien nach wie vor nicht für zufriedenstellend. Unter den Roma selber herrschen heute geteilte Meinungen, ob der EU-Beitritt einen Fortschritt für sie gebracht hat. Silja Schultheis berichtet in einer neuen Ausgabe der Sendereihe "Forum Gesellschaft"über die Stimmung in der tschechischen Roma-Gemeinde ein Jahr nach dem EU-Beitritt.
"Die Lage der Roma-Minderheit in Tschechien ist buchstäblich jämmerlich im Vergleich etwa mit der Situation vor zehn Jahren. Heute befinden sich die meisten Roma in diesem Land sozial am Abgrund. Es hat eine Reihe von Entwicklungen gegeben, die eindeutig negative Auswirkungen auf die einfachen Bürger hatten: Die Preise haben sich erhöht, die Arbeitslosigkeit ist gestiegen. Kurz: Die EU-Mitgliedschaft ist für die Roma ganz einfach nicht von Vorteil."
Statt größeren Chancen, die den Roma im Zusammenhang mit dem Beitritt versprochen worden waren, erlebe man heute dasselbe wie während des Kommunismus, meint Vesely: eine enorme Kluft zwischen den Worten und den Taten der Politiker. Denn viele EU-Fördermittel, die eigentlich zur Unterstützung von Roma-Organisationen bestimmt sind, seien für diese de facto nicht zugänglich. Konkretes Beispiel: das Programm des Europarats zur Unterstützung von Roma-Bürgerrechts-Organisationen:
"Die Kriterien für dieses Programm sind so aufgestellt, dass eine normale Roma-Organisationen keinerlei Chancen hat, Fördermittel zu bekommen, ja sich noch nicht einmal überhaupt an dem Wettbewerb darum zu beteiligen. Die Gelder gehen nicht an Roma-Organisationen in den jeweiligen Ländern, sondern an Pro-Roma-Organisationen, d.h. an Organisationen von Nicht-Roma, die sich für Roma-Belange einsetzen, meistens in Brüssel oder Straßburg. Was will ich damit sagen? Die Fördermittelpolitik der EU erreicht weder die eigentliche Zielgruppe noch löst sie deren Probleme. "
Nicht alle Roma-Vertreter ziehen ein ähnlich negatives Fazit von einem Jahr EU-Beitritt wie der Dzeno-Vorsitzende Ivan Vesely. Es gibt auch wesentlich optimistischere Stimmen. Die von Karel Holomek etwa, dem Chefredakteur der Zeitschrift Romano hangos (Roma-Stimme):"Ich nehme die EU-Mitgliedschaft bei allen Vorbehalten, die wir dagegen haben können, als absolut riesige Hoffnung für die Roma wahr. Und dafür gibt es auch Beispiele. Ich will nur an eines aus der jüngsten Zeit erinnern: Seit zwölf Jahren wird in Tschechien bereits über die Schweinefarm auf dem Gelände des ehemaligen Roma-KZ in Lety diskutiert. Und wenn das Europaparlament unsere Politiker jetzt nicht in den Hintern getreten hätte, würden wir noch Jahre lang weiter darüber diskutieren."
Doch nicht nur mit den europäischen Politikern verbindet Holomek seine Hoffnung auf eine verbesserte Situation der tschechischen Roma im Rahmen der Europäischen Union. In der EU werde einfach generell ganz anders mit der Problematik von Minderheiten umgegangen:
"Die Menschen dort betrachten die Dinge anders. Und das ist eine riesige Unterstützung und Chance für uns. Das lässt sich einfach nicht wegdiskutieren. Und das ist auch eine Garantie dafür, dass wenn sich die Dinge hier in eine bedenkliche Richtung entwickeln, es jemanden gibt, der sagt: Vorsicht, so geht es nicht."
Auch Ondrej Gina, Vorsitzender der regionalen Roma-Vertreter, betrachtet es als enormen Fortschritt, dass die Roma in den einzelnen Ländern ihre Probleme nicht mehr isoliert lösen, sondern dass durch internationale Roma-Institutionen wie das Europäische Roma-Forum oder das Europäische Roma-Informationsbüro die Chance zur Vernetzung besteht. Und hier sollten sich seiner Meinung nach die tschechischen Roma durchaus auch einmal an die eigene Nase fassen und fragen, ob sie die neuen Chancen, die die EU-Mitgliedschaft ihnen geboten hat, überhaupt genutzt haben. Er selbst beantwortet diese Frage recht negativ:
"Die Nichtregierungsorganisationen der Roma haben keine klar definierten Vorstellungen, Ziele und Interessen. Unklar ist auch, zu welchen Aktivitäten wir überhaupt imstande sind, wie unsere personellen Kapazitäten aussehen. Diese Aspekte sollten wir auch berücksichtigen. Denn das, was hier in den letzten Jahren passiert ist, war einfach keine systematische Arbeit."Statt immer nur die Initiativen der Regierung und der Europäischen Union zu kritisieren, ansonsten aber passiv zu bleiben, sollten die Roma-Organisationen viel häufiger selbst die Initiative ergreifen und sich aktiv in den gesellschaftlichen Transformationsprozess einschalten, meint Gina:
"Nehmen wir als konkretes Beispiel die Regierungs-Konzeption zur Integration der Roma in die Gesellschaft. Dagegen gibt es zu Recht eine Reihe von Einwänden, das ist sicherlich kein ideales Konzept und ließe sich sicherlich verbessern. Aber die Roma-Organisationen hier sind nicht in der Lage, sich hier qualifiziert einzuschalten und Veränderungen herbeizuführen. Und darin besteht genau das Problem. Denn wenn wir das nicht machen, dann macht es jemand anders und verdrängt uns aus diesem Bereich."