Der Rundfunk im Protektorat I
Im Mai haben wir wiederholt über die Rolle des tschechischen Rundfunks während des Prager Aufstands vor 60 Jahren berichtet. Wie aber sah es mit dem Rundfunk während des Protektorats aus? Dieser Frage geht Katrin Bock im heutigen und folgenden Kapiteln aus der tschechischen Geschichte nach.
Am 14.März 1938 war der tschechoslowakische Präsident Emil Hacha zu Besprechungen nach Berlin gefahren. Noch in der Nacht unterlag er Hitlers Druck und legte das Schicksal seines Volkes in die Hände des deutschen Führers. Ab 4 Uhr morgens sendete der Tschecho-Slowakische Rundfunk am 15. März Nachrichten über den Vormarsch deutscher Wehrmachttruppen nach Böhmen und Mähren. Um 9 Uhr morgens erreichte ein deutscher Vortrupp Prag, um 19 Uhr 45 traf Hitler persönlich auf der Prager Burg ein. Am folgenden Tag, dem 16.März 1939, verkündete sein Außenminister Joachim von Ribbentrop die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren im Rundfunk:
"Artikel drei: Das Protektorat Böhmen und Mähren ist autonom und verwaltet sich selbst."
Rick Pinard "Am Anfang des Protektorats nach dieser Besetzung hat sich zunächst wenig geändert im Programm des tschechischen Rundfunks, also in den ersten sechs Monate, obwohl die deutsche Zensur begann - ich glaube, die Tschechen haben zuerst gedacht und die Nazis haben es zuerst auch so gemacht, dass sie sich nicht so einmischten in den Programmbetrieb, weil das Protektorat als kulturell unabhängiges Wesen dargestellt werden sollte - international. Das war ja auch ein Teil des Erlasses von Hitler über die Entstehung des Protektorats Böhmen und Mähren, das es unabhängig ist und autonom ist und sich selbst verwaltet. Aber mit Beginn des Zweiten Weltkriegs kamen schon stärkere Zensurmaßnahmen und stärkere Einmischungen in das Programm."
Die bisherigen Angestellten des Rundfunks standen nach der Okkupation ihres Landes vor einer schwierigen Frage: sollten sie unter den neuen Umständen weiter im Radio tätig sein? Sollten sie sich den neuen Machthabern anpassen oder versuchen einen gewissen Widerstand zu leisten? Oder sollten sie kündigen? Wie verhielten sich die tschechischen Angestellten - dazu Rick Pinard:"Ich würde sagen, die meisten sind geblieben, wenn sie nicht gegangen worden sind, also wenn sie nicht heraus geworfen worden sind. Natürlich es gab die Entlassungen aus rassischen Gründen, aber nach meinen Recherchen, was ich bisher gesehen habe, sind sehr viele geblieben und viele haben auch Kariere gemacht, vielleicht auch wenn es auch gegen ihren Geschmack war, aber einige haben weiter gemacht und sind weiter gekommen in ihrer Arbeit."
Nicht nur in der Bevölkerung, auch unter den Rundfunkmitarbeitern gab es grob gesagt drei Gruppen: die einen passten sich den neuen Verhältnissen an und profitierten, die anderen machten stillschweigend weiter und die dritten schließlich wollten sich mit den Veränderungen nicht abfinden. Zur letzten Gruppe gehörte der Reporter Frantisek Kocourek. Von ihm stammt die berühmte Reportage über den Einzug der Wehrmacht auf den Prager Wenzelsplatz im März 1939:
"Erlauben Sie mir, dass ich eine kleine, nicht militärische Begebenheit erwähne. Von irgendwo aus der Ferne kam eine große schwarze Krähe angeflogen, die vom Nationalmuseum über die Gewehre und Kanonen der deutschen Wehrmacht hinunter zum Mustek segelte. Bestimmt wunderte sie sich über den Lärm und das, was sie alles unter sich sah."
Auch in weiteren Reportagen arbeitete Kocourek mit Wortspielen und Andeutungen, was den deutschen Zensoren nicht unbemerkt blieb. Kocourek wurde entlassen und 1941 verhaftet, ein Jahr später kam er in Auschwitz ums Leben. Zur Gruppe derjenigen, die einfach weitermachten gehörte Josef Cincibus, der seit 1935 im Radiojournal arbeitete. Von 1941 bis 1945 leitete er die Abteilung Aktualitäten. Sei es der 70.Geburtstag von Protektoratpräsident Emil Hacha oder die Ankunft des neuen stellvertretenden Reichsprotektors Reinhard Heydrichs in Prag im September 1941, stets kommentierte Josef Cincibus."Auf der Prager Burg findet heute, am 28. September eine Feier zu Ehren des neuen stellvertretenden Reichsprotektors, SS-Obergruppenführer General Reinhard Heydrich statt. In diesem Moment betritt der stellvertretende Reichsprotektor die Prager Burg und nimmt die Ehrengarde ab...."
Nach Kriegsende hatten Josef Cincibus und andere bekannte "Radiostimmen" des Protektorats eine Zeit Auftrittsverbot. Viele Reporter und Sprecher der Protektoratszeit wurden dann Anfang der 1950er Jahre entlassen. Zu ihrer eigenen Verteidigung hatten sie im Mai 1945 eine Erklärung herausgegeben, in der es u.a. hieß:
"Wir tschechischen Sprecher waren gezwungen, unsere Stimmen schädlicher Arbeit zu leihen, zur Verkündung von Nachrichten und politischen Überlegungen, die wir stets mit Abscheu gelesen haben."
Zu jenen abscheulichen Texten aus der Zeit des Protektorats gehören vor allem die mit antisemitischem Inhalt. Die Verfasser jener Texte gehörten zu der Gruppe von Tschechen, die mit den Deutschen kollaborierten. So wurden die die tschechischen Hörer zum Beispiel über den Beginn des Zweiten Weltkriegs wie folgt informiert:
"Deutschland konnte nicht mehr länger der Ermordung von Angehörigen seines Volkes tatenlos zusehen und auf eine Vermittlung der westlichen Mächte warten, die überflüssiges Blutvergießen nicht zu vermeiden versuchten, da sie im Dienste des Weltjudentums stehen."
Im tschechischen Rundfunk war Alois Kriz der bekannteste Kollaborateur:
"In dieser Abteilung für politische Vorträge war ein tschechischer Faschist an der Stelle namens Alois Kriz. Und der war ein wichtiger Mitarbeiter der so genannten Vlajka. Das waren tschechische Faschisten, die mit den Nazis zunächst sehr eng kollaborierten. Und der hatte einfach eine absolut nazistische Gesinnung. Von ihm war nichts zu erwarten, was den Nazis irgendwie Ärger gemacht hätte."
Alois Kriz suchte sich für seine Sendungen die passenden Mitarbeiter aus.
"Es waren einige tschechische Angestellte hier, die dann in die Vlajka eingetreten sind, es waren aber nicht sehr viele. Wenn ich mich recht erinnere, die Liste würde etwa 15 Namen umfassen. Aber der Alois Kriz, der brauchte nicht viel auf Leute aus den eigenen Reihen hier im Rundfunk selbst zurückzugreifen. Er kam aus der faschistischen Verlagswelt und der hat dann einfach Kollegen aus diesen scheußlichen Zeitungen wie "Arijsky boj", das war die tschechische Ausgabe vom "Stürmer" und andere Redakteure aus dieser Zeitschrift mitgebracht und sie hier eingesetzt ."Aber es gab auch Nischen, in denen die Politik nicht zu Worte kam, wie bei der folgenden Führung durch das Schloss in Mnichovo Hradiste.
"Also das tschechische Programm fing an, sich sehr auf Heimatsendungen zu konzentrieren - es gab ja diese berühmten Rundfunkbilder aus den verschiedenen Städten und Dörfern des Protektorats, die hatte schon vor dem Protektorat gegeben, aber es wurde mehr davon gesendet. Sie haben versucht, schon einiges vom bisherigen Programmwesen bei zu behalten. Ja das sind viele verschiedene normale Sendungen, diese Heimatsendungen, natürlich auch Musiksendungen mit Betonung der tschechischen Musik und der tschechischen Kultur. Da gab es Bücherrevuen und das neue tschechische Buch. Ich glaube sie haben wirklich in dieser eingeschränkten ehemaligen Republik versucht, soviel von ihrer eigenen Kultur zu erhalten und neu auch zu beleben wie möglich."
In jenen Jahren war insbesondere die klassische Musik für das tschechische Nationalbewusstsein von großer Bedeutung. So dienten der 120. Geburtstag und 60. Todestag von Berdrich Smetana 1944 als Anlass für zahlreiche Ausstrahlungen seiner Kompositionen.
Mit diesen Klängen von Bedrich Smetana beenden wir das heutige Kapitel aus der tschechischen Rundfunkgeschichte.