Varnsdorf wurde einst "Klein Manchester" genannt

Museum in Varnsdorf (Foto: Autorin)

Das einst größte Dorf in der k. u. k. Monarchie verwandelte sich binnen kurzer Zeit in ein Zentrum der Textilindustrie der Region. Die traditionelle Produktion wird dort auch heute aufrechterhalten. Die Rede ist von der nordböhmischen Grenzstadt Varnsdorf. Mehrere Erinnerungen an die ruhmreiche Ära der Stadt kann man im dortigen Museum finden. Und dahin laden Sie Martina Schneibergova und Thomas Kirschner in der heutigen Ausgabe des Reiselands Tschechien ein.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Ort dank der aufblühenden Textilindustrie auch "Klein Manchester" genannt. Die Kunert-Strumpfwerke waren sicherlich das bekannteste Unternehmen in Varnsdorf. Die Stadt ist jedoch nicht nur als ein Textilindustriezentrum bekannt geworden. Nach dem ersten Vatikanischen Konzil wurde Varnsdorf auch zu einem Zentrum der neu entstehenden altkatholischen Kirche, 1872 wurde dort die erste altkatholische Gemeinde in der Monarchie gegründet. In der vergangenen Ausgabe der Rubrik "Reiseland Tschechien" berichteten wir über die Geschichte sowie die gegenwärtige Tätigkeit des Varnsdorfer Museums, das für die Stadt eine wichtige Bildungsinstitution darstellt. Durch das Museum und die jetzige Ausstellung über den Lebensstil der Untertanen und Bürger im 17.-19. Jahrhundert führte mich Museumsleiter Josef Zbihlej:

"Die Ausstellung trägt den Titel ´Damen und Herren´ und präsentiert den Damen- und den Herrensalon des 19. Jahrhunderts. Im Damensalon kann man die Schönheit der Spitzen und der Bekleidung im Allgemeinen besichtigen. Daneben gibt es hier auch weniger poetische Sachen, wie z. B. die Küche mit Geschirr. Die Ära des Zinngeschirrs geht zu Ende, es wird durch Porzellan und Glas ersetzt. Da Nordböhmen die Region der Glasmacher war, haben wir hier auch einige einzigartige Stücke von der Firma Egermann, es handelt sich um Rubinglas, das mit Blattgold verziert ist. Außerdem stellen wir hier das sehr zerbrechliche und dünne Spiegelglas aus, das an das Innere der Thermosflaschen erinnert."

Josef Zbihlej  (Foto: Autorin)
Die Ausstellung ist durch einige Damenportraits ergänzt, und in der Ecke des Raumes verbirgt sich eine Kuriosität, auf die der Museumsdirektor sehr stolz ist:

"Es handelt sich um eine spezielle Uhr - die so genannte ´Sägeuhr´. Dank dem eigenen Gewicht sinkt die Uhr auf der Säge allmählich und damit wird sie in Betrieb gesetzt. Die Uhr hat weder eine Feder noch eine Batterie, aber sie ist ganz präzise. Ursprünglich ging die Uhr nicht, aber wir hatten Glück, dass es gelang sie zu reparieren. Denn es gibt viele ähnliche Uhren, die aber nicht mehr gehen."

Im Eingangsraum des Museums erwecken einige großen Portraits die Aufmerksamkeit des Besuchers. Es handelt sich um die Besitzer der Varnsdorfer Textilfirma Fröhlich:

"Im Jahre 1777 entsteht die erste Manufaktur für die Bearbeitung der Baumwolle. Sie fingen hier an, Florgewebe herzustellen. Dies wird noch heute von der Firma Velveta Varnsdorf produziert. Die Gemälde stammen aus Fröhlichs Sammlungen. Der Familie Fröhlich gehörte eine Villa, dort ist heute die Bank Komercni banka untergebracht. Zu Besuch ins Museum kamen vor einer Zeit auch Nachkommen der Familie Fröhlich. Sie waren angenehm überrascht, dass die Sachen aus ihrer Galerie nicht verloren gegangen sind und sie heute im Museum von vielen Menschen bewundert werden können."

Ein weiterer Raum ist wie ein Herrensalon eingerichtet. Josef Zbihlej dazu:

 Museum in Varnsdorf  (Foto: Autorin)
"Das 19. Jahrhundert brachte die Rückkehr zum Sport mit sich. Wir haben da ein herrliches historisches Fahrrad aus dem Jahr 1882, aber fahren kann ich damit nicht. Beliebt war damals der Schießsport - ausgestellt sind hier zwei bemalte Scheiben. Auf der einen ist noch das alte Schützenhaus dargestellt, auf dem anderen Gemälde, das ein Jahr jünger ist, sieht man schon das damals soeben eröffnete neue Schützenhaus. Dieses Gebäude wird zwar heute noch so genannt, es wird aber für verschiedene gesellschaftliche Veranstaltungen genutzt. Einige Exponate erinnern an die einst reiche Vereinstätigkeit. In Varnsdorf waren während der k. u. k. Monarchie mehr als 150 Vereine tätig."

Im 19. Jahrhundert verbreitete sich nicht nur die Begeisterung für verschiedene Sportarten, sondern auch die für das Rauchen. Im Herrensalon durfte ein Rauchertisch nicht fehlen. Im Museum ist ein orientalischer Tisch zu sehen.

St. Peter und Paul-Kirche  in Varnsdorf  (Foto: Autorin)
In den Sammlungen des Varnsdorfer Museums befindet sich Josef Zbihlej zufolge auch die schönste Weihnachtskrippe der Region. Sie wird jedoch leider in einem Raum aufbewahrt, der aus technischen Gründen vorübergehend geschlossen ist. Die Weihnachtskrippe wurde von Dominik Rudolf geschnitzt, der Bildhauerei in München studierte. Er wirkte damals als eine Art Methodiker und beriet die anderen Holzschnitzer in der Region. Die Museumsmitarbeiter entdeckten in ihrer Bibliothek ein Dokument aus dem Jahr 1942, in dem sich der Verfasser bemühte, ein Verzeichnis aller Weihnachtskrippen in der Region zusammenzustellen. Das deutsch geschriebene Buch wurde ins Tschechische übersetzt.

Im Foyer im ersten Stock kann man die großen Pferde-Skulpturen besichtigen, die von Bildhauer Vinzenz Pilz stammen:

"Vinzenz Pilz wurde 1801 hier geboren. Auch wenn er aus einer armen Weberfamilie stammte, gelang es ihm, an der Bildhauerakademie in Wien zu studieren. In der altkatholischen Kirche in Varnsdorf befindet sich seine Statue Christi, die Pilz aus Carrara-Marmor schuf. Im Foyer stehen zwei Plastiken der Pferde. Die beiden Gipskopien schenkte Pilz 1890 der Stadt Varnsdorf, da die Originalplastiken auf dem Parlamentsgebäude in Wien stehen."

Einmal im Vierteljahr trifft der Museumsleiter mit seinen deutschen und polnischen Kollegen aus den Nachbarregionen zusammen, um zu überlegen, was sie für ihre Museen machen könnten. Gemeinsam gaben sie inzwischen eine dreisprachige Broschüre heraus, in der alle Museen der Region präsentiert wurden. Dank Fördergeldern vom Staat kann das Varnsdorfer Museum sein diesjähriges Jahrbuch "Mandava" zweisprachig - tschechisch-deutsch herausgeben. Über Mangel an Beiträgen von den beiden Seiten der Grenze, die veröffentlich werden sollen, kann der Varnsdorfer Museumsleiter nicht klagen.

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