Tschechiens Leichtathleten starteten in Kladno in die verkürzte Saison

Barbora Špotáková (Foto: ČTK / Vít Šimánek)

Die Coronavirus-Pandemie hat den Sport nicht nur weltweit ausgebremst, sondern auch dafür gesorgt, dass manche Sportler bereits vor den Scherben der diesjährigen Saison standen, noch bevor diese überhaupt begonnen hat. Gerade die Königin unter den Sommersportarten, die Leichtathletik, trifft es besonders hart. Nach der Absage der Olympischen Spiele in Tokio, den Europameisterschaften in Paris und mehreren Veranstaltungen der Diamond League müssen sich die Athleten in diesem Jahr mit einem stark ausgedünnten Programm begnügen.

Barbora Špotáková  (Foto: ČTK / Vít Šimánek)

Barbora Špotáková  (Foto: ČTK / Vít Šimánek)
Kein Training im Stadion, keine Reise zu Wettkämpfen im Ausland und auch keine Höhepunkt am Horizont – so trist stellte sich für die tschechischen Leichtathleten die Lage Mitte März da, kaum dass zur Abwendung der Pandemie der Notstand im Land ausgerufen war. Besonders die Ungewissheit darüber, wie lange dieser Zustand wohl dauern könnte, nagte an der Psyche so manches Athleten. Auch Barbora Špotáková, die zweifache Olympiasiegerin im Speerwerfen der Frauen, erlebte das nervige Szenario. Kurz vor dem Saisonstart schilderte sie es so:

„Auf einmal gibt es nichts mehr, wofür man trainieren könnte. Dann trainiert man wieder 14 Tage am Stück, ohne zu wissen, ob man überhaupt einen Wettkampf bestreiten wird. Das ist psychisch belastend, und im Kopf beginnt es zu rattern. Der Körper meldet sich, die Muskeln beginnen zu schmerzen. Man fühlt sich müde und will urplötzlich nicht mehr so viel trainieren. Und das nur deshalb, weil man kein Ziel vor Augen hat.“

Barbora Špotáková: „Meine Motivation ist immer noch dieselbe: Ich will noch einmal an den Olympischen Spielen teilnehmen. Das hat sich jetzt um ein Jahr verschoben, von daher muss ich mir im Kopf klar machen, dass ich noch ein Jahr lang durchhalten muss. Ansonsten hat sich für mich nichts geändert.“

Dieses Ziel verschwand am 24. März. Da wurde das Highlight des Sportjahres abgesagt – die Sommerspiele in Tokio. Schon eine Woche später aber wurde bekanntgegeben, dass Olympia nur um ein Jahr verschoben wird: auf den gleichen Termin im Jahr 2021. Das beflügelte auch die bereits 38-jährige Špotáková:

„Ich kann einfach nicht aufhören, denn ansonsten würde ich nicht mehr in Schwung kommen. Meine Motivation ist immer noch dieselbe: Ich will noch einmal an den Olympischen Spielen teilnehmen. Das hat sich jetzt um ein Jahr verschoben, von daher muss ich mir im Kopf klar machen, dass ich noch ein Jahr lang durchhalten muss. Ansonsten hat sich für mich nichts geändert.“

Kurzstreckenläufer Pavel Maslák ist neun Jahre jünger als seine Mitstreiterin im tschechischen Nationalteam. Doch auch der dreifache Welt- und Europameister in der Halle bestätigt, dass man in seinem Sport nicht einrosten darf, wenn man sich in der Weltspitze behaupten will:

Pavel Maslák  (ganz links). Foto: ČTK / Vít Šimánek
„Bei mir ist es ähnlich wie bei Barbora. In der Leichtathletik gehöre auch ich schon zu den älteren Semestern. Wenn ich jetzt also ein Jahr Pause einlegen würde vom Laufen, dann wäre es eigentlich schon vorbei, denn ich würde kaum noch im Form kommen.“

Für die Höhepunkte der Saison, die nun ausbleiben, hatte sich Speerwurf-Weltrekordinhaberin Barbora Špotáková so einiges vorgenommen. Dazu hatte sie im Winter extra den Trainer gewechselt. Seit Anfang Januar wird sie von Jan Tylč betreut, dem früheren Coach von Kugelstoßer Tomáš Staněk. Mittlerweile kann sie der auf Schmalkost geschrumpften Saison sogar etwas Positives abringen:

„Letztlich ist es so, dass ich seit einem halben Jahr unter Jan Tylč trainiere, unsere gemeinsame Zusammenarbeit aber quasi immer noch am Anfang steht. Daher können wir in dieser Saison einige Dinge ausprobieren. Bei Olympia im kommenden Jahr werden wir aber nicht mehr nur mit Wasser kochen. Diese Saison ist also für mich wie ein Probejahr, und das ist echt positiv.“

Pavel Maslák: „Bei mir ist es ähnlich wie bei Barbora. In der Leichtathletik gehöre auch ich schon zu den älteren Semestern. Wenn ich jetzt also ein Jahr Pause einlegen würde vom Laufen, dann wäre es eigentlich schon vorbei, denn ich würde kaum noch im Form kommen.“

Damit die Leichtathleten des Landes überhaupt einen Anreiz haben, für die laufende Saison entsprechend hart zu trainieren, hat der tschechische Leichtathletik-Verband ein Projekt ins Leben gerufen. Es heißt „Spolu na startu“ (Gemeinsam an den Start). Dabei sollen zahlreiche Meetings in Tschechien veranstaltet werden, um den Athleten Wettkampfmöglichkeiten zu bieten. Der Startschuss des Projekts und der gleichzeitige Saisonauftakt erfolgten am vergangenen Montag. Dabei nahmen nahezu 17.000 Athleten aller Altersklassen landesweit an 173 Meetings teil. Die Spitzenathleten gaben sich im mittelböhmischen Kladno ein Stelldichein. Bei dieser Veranstaltung glänzten einmal mehr die Speerwerfer. Barbora Špotáková gewann die Konkurrenz der Frauen mit der Siegerweite von 63,69 Meter und Jakub Vadlejch den Wettbewerb der Männer mit 84,31 Meter. Mit Nikola Ogrodníková übertraf noch eine zweite Athletin die 60-Meter-Marke, die Vize-Europameisterin von 2018 kam auf die Weite von 62,92 Meter. Für Špotáková war der Zweikampf mit Ogrodníková ein zusätzlicher Ansporn, der sie dann auch zu dem guten Resultat trieb:

Barbora Špotáková  (Foto: ČTK / Vít Šimánek)
„Mit der Leistung bin ich zufrieden, denn ich hatte mir vorgenommen, über 60 Meter zu werfen. Gewiss war diese Vorgabe auch ein Alibi, denn ich wusste, dass ich ganz gut in Form bin. Von daher bin ich froh, gezeigt zu haben, dass ich wirklich für Olympia trainiert habe. Schade ist nur, dass es letztlich nicht noch weiter ging, denn schon beim Einwerfen habe ich die 60 Meter locker geschafft. Im Wettkampf aber habe ich den Abwurf nicht optimal getroffen. Dies zeigt mir, dass ich noch Reserven habe, und das freut mich schließlich sogar noch etwas mehr.“

Wie alle Sportwettkämpfe der Gegenwart musste auch das Meeting in Kladno aus Vorsicht ohne Zuschauer stattfinden. Trotzdem fanden sich hinter dem Zaun des Stadions mehrere Kiebitze ein und bejubelten jede gute Vorstellung der Athleten. Das erfreute auch die Doppel-Olympiasiegerin:

„Zunächst habe ich überhaupt nicht mit Zuschauern gerechnet. Doch allmählich habe ich gemerkt, wie von einem Kinderspielplatz, der sich ganz in der Nähe befindet, immer mehr Menschen in Richtung Stadion kamen. Da habe ich schon geahnt, dass einige Eltern mit ihren Kindern vor Ort sein könnten. Sie kamen tatsächlich und haben uns angefeuert. Das war großartig.“

Für Tschechiens Spitzenathleten stehen nun noch zwei weitere Wettkämpfe zu Hause an. Der nächste davon schon am kommenden Montag, wenn in Prag das traditionelle Josef-Odložil-Memorial ausgetragen wird. Für die zweite Saisonhälfte hoffen die Besten von ihnen, dann auch wieder an den internationalen Wettbewerben der in diesem Jahr verkürzten Diamond League teilnehmen zu können. Den Auftakt der Meeting-Reihe soll am 14. August der Event in Monaco machen, die Serie läuft dieses Mal bis zum 17. Oktober.


Železný stellte bestehenden Fabel-Weltrekord vor 24 Jahren in Jena auf

Nikola Ogrodníková  (Foto: ČTK / Vít Šimánek)
Zu den Leichtathletinnen, die im vergangenen Winter ihren Trainer gewechselt haben, gehört auch Špotákovás heimische Konkurrentin Nikola Ogrodníková. Sie wird nun von keinem Geringeren als dem dreifachen Olympiasieger und Weltmeister in dieser Disziplin, ihrem Landsmann Jan Železný trainiert. Und der 53-Jährige ist neben der ehemaligen 800-Meter-Läuferin Jarmila Kratochvílová der zweite Athlet aus Tschechien, der noch einen Weltrekord hält. Während Kratochvílovás Methusalem-Bestwert auf der doppelten Stadionrunde schon nahezu 37 Jahre Bestand hat, kann sich Železný auch bereits 24 Jahre Weltrekordler im Speerwerfen nennen. Seit dem 25. Mai 1996 steht die in Jena aufgestellte Bestmarke bei 98,48 Meter. An den Wettkampf in der thüringischen Saalestadt erinnert er sich noch gut:

Jan Železný in Jena  (Foto: YouTube)
„Das war ein tolles Erlebnis in Jena. Ich wollte unbedingt zu diesem Wettkampf, denn ich habe mich in einer super in Form gefühlt. Deshalb haben wir dieses kleine Meeting gefunden, um die Form zu nutzen. Mir ist der Weltrekordwurf im dritten Versuch gelungen. Ich war danach völlig aus dem Häuschen, denn solch eine Weite hatte ich nicht erwartet.“

Trotz dieser Fabelweite betrachtet er seinen Rekordversuch selbst heute nicht als den perfekten Wurf. In technisch besserer Form habe er sich beispielsweise 1993 in Sheffield gefühlt, als ihm mit 95,66 Meter der vierte seiner insgesamt fünf Weltrekordwürfe gelang:

„Mir schien es gar nicht so, als wenn ich in Jena einen außergewöhnlich guten Wurf vollbracht hätte. Wenn ich nur daran denke, wie ich drei Jahre zuvor in Sheffield zwei blitzsaubere Würfe über 95 Meter hingelegt habe, gepaart mit der Kraft, die man zu Saisonbeginn noch hat, dann hätte der Speer noch viel weiter fliegen müssen.“

Jan Želený  (Foto: Chell Hill,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)
In seiner großartigen Karriere hat Železný die 90-Meter-Marke nicht weniger als 34 Mal übertroffen. Dreimal warf er über 95 Meter, und von den sechs besten Weiten aller Zeiten gehen allein fünf auf sein Konto. Lediglich der Deutsche Johannes Vetter ist in seine Phalanx eingedrungen, als er den Speer vor drei Jahren auf 94,44 Meter schleuderte. Diese Weite ist aber noch über vier Meter von seinem Bestwert entfernt. Dennoch gibt es für den gebürtigen Mittelböhmen aus Mladá Boleslav / Jungbunzlau noch andere Höchstleistungen, die er für wertvoller hält:

„Es gibt noch ganz andere Weltrekorde, die zum Teil noch viel länger gehalten haben als meiner. Da ist zuerst Jarmila Kratochvílová mit ihrer Fabelzeit über 800 Meter und schließlich der letzte Weltrekord, den Usain Bolt aufgestellt hat, und zwar über 200 Meter. An dieser Top-Leistung schätze ich besonders, dass sie Bolt bei Olympia erzielt hat, wo er vor dem Finale noch Vor- und Zwischenläufe bestreiten musste. In dieser Disziplin habe ich absolut nicht damit gerechnet, denn er hat einen bis dahin schon sagenhaften Rekord noch einmal getoppt. Diese Bestzeit wurde gehalten von Michael Johnson, und ich hatte geglaubt, dass sie noch sehr lange Bestand haben würde.“

Michael Johnson stellte seinen spektakulären Weltrekord 1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta auf. Er lief die 200 Meter in 19,32 Sekunden. Der Jamaikaner Usain Bolt entthronte ihn zunächst 2008 bei den Sommerspielen in Peking mit der Zeit von 19,30 Sekunden. Ein Jahr später, bei der WM in Berlin, steigerte sich Bolt sogar noch auf den aktuellen Rekord von 19,19 Sekunden.

Autor: Lothar Martin
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