„Wie bei Tatort“ – Journalistin und Fotografin dokumentieren deutsche Gräber in Tschechien
Mehrere Hunderttausend deutschsprachige Gräber gibt es noch in Tschechien. Auch sie erinnern an die frühere sudetendeutsche Besiedlung besonders der Grenzregionen. Heute lebt hierzulande nur noch eine kleine deutsche Minderheit. Die Journalistin Lucie Römer hat gemeinsam mit der Fotografin Michaela Danelová dokumentiert, wie es um die Gräber steht und ob sie noch zu retten sind. Veröffentlicht wurde die Dokumentation in einer, bisher leider nur tschechischsprachigen, Broschüre. Und auch eine Ausstellung in Prag zeigt Fotografien.
„In Výsluní (auf Deutsch: Sonnenberg, Anm. d. Red.), in der Nähe von Chomutov (auf Deutsch: Komotau, Anm. d. Red.) gibt es einen wunderschönen Friedhof, der aber total verfallen ist. Wir hatten tatsächlich Angst, in die Gräber zu fallen, weil man die Löcher unter den Blättern gar nicht gesehen hat. In ein Grab konnte man sogar hineinschauen und menschliche Knochen sehen. Wir waren wirklich schockiert vom Zustand des Friedhofs. Später haben wir das noch öfter gesehen, aber gerade das erste Mal hat es uns erschrocken.“
Lucie Römer ist Journalistin, sechs Monate lang sie gemeinsam mit der Fotografin Michaela Danelová deutsche Gräber in Tschechien dokumentiert. Der Schwerpunkt lag auf den Kreisen Karlovy Vary / Karlsbad und Ústi nad Labem / Aussig im Nordwesten beziehungsweise Norden des Landes.
„Ich interessiere mich bereits lange für das Thema. Mein Mann und ich besuchen schon seit langer Zeit immer wieder Friedhöfe. Ich habe mir immer gedacht, dass es doch interessant wäre, in dem Bereich ein Projekt zu machen. Wir hatten ursprünglich nur eine kleine Ausstellung vorgeschlagen. Gleichzeitig hat die tschechische Regierung ein Förderprogramm für eine größere Dokumentation an Gräbern von Minderheiten ausgeschrieben. Das kam also zusammen, und es wurde ein größeres Projekt daraus.“
Der Umfang des Projektes ist also einem glücklichen Zufall zu verdanken. Römer hält es sogar durchaus für möglich, dass die Dokumentation weitergeht. Zunächst war sie aber auf zwei der 14 tschechischen Kreise beschränkt.
„Wir haben die Kreise Aussig und Karlsbad ausgewählt. Dort haben wir die größten und die historisch wichtigsten Friedhöfe ausgesucht und die deutschen Gräber gezählt. Dann haben wir die wichtigen Persönlichkeiten aufgeschrieben, und Michaela Danelová hat die Gräber fotografiert. Auch den Zustand der Gräber haben wir dokumentiert“, so Römer.
Knochen hinter der Friedhofsmauer
Von der beliebten deutschen Krimiserie „Tatort“ bis zu Ähnlichkeiten mit Gustav Klimt – Römer und Danelová nehmen zahlreiche Eindrücke mit. Und die Journalistin schildert:
„In Mikulovice (auf Deutsch: Niklasdorf, Anm. d. Red.) hat jemand die Knochen aus den Gräbern hinter die Friedhofsmauer gelegt. Sie sind schon mit Moos bedeckt, liegen da also schon sehr lange. Das war wie bei Tatort“, erzählt sie.
Doch nicht nur schaurig ging es auf den Friedhöfen zu. Vor allem die Schönheit der alten Gräber hat Römer immer wieder überrascht:
„Ich habe nicht erwartet, dass in Vejprty (auf Deutsch: Weipert, Anm. d. Red.), direkt an der Grenze, solch ein schöner Friedhof ist. Das war früher eine große Stadt mit vielen Fabriken. Dort wurden Gewehre und Elektroartikel hergestellt. Heute ist es ein eher kleines Dorf. Wir haben also nichts Besonderes erwartet. Auf dem Friedhof gab es dann aber Dutzende schöne Grabsteine mit vielen Statuen. Also eigentlich Kunstwerke. Das war ein besonderer Moment.“
Auch eine Grabstätte in Krásná Lípa / Schönlinde hat Römer sehr beeindruckt. Diese habe sie sogar an einen der bekanntesten Vertreter des Wiener Jugendstils erinnert:
„Ganz außergewöhnlich war auch die Gruft der Familie Dietrich in Schönlinde (auf Tschechisch: Krásná Lípa, Anm. d. Red.). Ich war vorher in Wien und habe mir dort ein Kunstwerk von Klimt angeschaut: ein großes Mosaik. Ich wusste nicht, dass es etwas Ähnliches in Tschechien gibt. Doch in der Gruft in Schönlinde bilden Tausende kleine Gold- und Glasscheiben zusammen ein großes Mosaik. Es ist leider sehr zerstört. Der Verband Omnium bemüht sich nun aber, es zu rekonstruieren. Es war sehr überraschend, wie hübsch es aussieht.“
Debatte anregen
Von der heutigen deutschen Minderheit in Tschechien haben die beiden Frauen viel Zuspruch bekommen. Gerne hätten Römer und Danelová auch mit den Einheimischen gesprochen, dazu kam es aber eher weniger.
Aufgrund der beginnenden Corona-Beschränkungen waren die Dokumentaristinnen fast immer alleine auf den Begräbnisstätten.
„Ein großer Teil der Zeit, in der wir die Gräber dokumentiert haben, fiel mit der Corona-Pandemie zusammen. Deshalb haben wir nicht so viele Leute getroffen. Ich habe aber mit Mitgliedern der Minderheit gesprochen, und sie haben sich sehr über das Vorhaben gefreut“, sagt Römer.
Das Projekt wurde vom Rat der Minderheiten bei der tschechischen Regierung und dem deutschen Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gemeinsam finanziert. Und das sei genau der richtige Weg. Denn die Frage, wie in Zukunft mit den deutschen Gräbern umgegangen werde, müssten die Nachbarländer gemeinsam beantworten, findet Römer. Ziel ist vor allem, das Thema wieder in die tschechische Gesellschaft zu tragen und eine Debatte anzuregen. Das sei ganz im Sinne der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien:
„Die Landesversammlung bemüht sich schon länger um eine Verstärkung der Debatte, was mit den Gräber passieren soll. Wir befinden uns nun an einem Punkt, an dem sich die Gesellschaft entscheiden muss. Die deutsche Minderheit ist nicht mehr so stark, dass sie sich um alle Gräber kümmern kann. Gleichzeitig zerfallen die Materialien. Wenn wir die Gräber also erhalten wollen, dann müssen wir an dem System etwas ändern.“
Vielerorts hat sich die Natur bereits die alten Friedhöfe zurückgeholt. Die Dokumentation soll nun auch die Gesellschaft wieder auf den Plan rufen. Und bis dahin sind die Friedhöfe trotzdem nicht gänzlich ohne Besucher, erzählt Römer noch…
„Wir sind auch vielen Tieren begegnet. Die Friedhöfe werden zwar oft nicht gepflegt, leben aber natürlich trotzdem weiter. Wir haben viele Rehe und Hasen gesehen.“
Besuchen lässt sich die Ausstellung noch bis zum 7. Oktober, und zwar im Veranstaltungszentrum „Sněmovní 7“ in Prag, das einfach nach der Adresse benannt wurde. Die Ausstellung ist täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Die erwähnte Broschüre lässt sich auch online abrufen, über den Link: landesversammlung.cz/de/deutsche-graeber.