Sichere Fahrt in die Zukunft anstatt im Zug nach Nirgendwo
Der Revolution Train ist auf den Schienen des Landes unterwegs, damit junge Menschen nicht aus der Bahn geraten. Mit einem außergewöhnlichen Projekt wird Aufklärungsarbeit gegen Drogenmissbrauch betrieben. Quer durch Tschechien und sogar über seine Landesgrenzen hinaus besuchen Jugendliche die interaktive Ausstellung in einem Zug, der derzeit wieder auf Tour ist.
Es fährt ein silberner Zug durch’s Land. Er trägt die Aufschrift „Revolution Train“, und drinnen werden Kinder und Jugendliche über Drogenmissbrauch aufgeklärt. Der Stiftungsfond „Nové Česko“ (zu Deutsch: „Neues Tschechien“) hat das Präventionsprojekt ins Rollen gebracht, und Initiator Pavel Tůma hat die Waggons eigenhändig silbern angestrichen. Der funktionstüchtige Eisenbahnzug ist derzeit wieder auf Tour durch die Republik, geplant sind Stopps in 31 Städten.
„Wir machen Halt in dem jeweiligen Bahnhof. Unsere Zielgruppe sind Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren. Wir laden also die Schulen der Stadt ein, den Zug zu besichtigen. Bei uns informieren wir über wahre Geschichten von Betroffenen. Dabei kommen wir mit den Besuchern ins Gespräch. Wir fragen sie, wie sie ihre Freizeit verbringen, zum Beispiel mit Sport oder eher mit Computerspielen. Außerdem geht es darum, ob sie selbst schon Erfahrungen mit Zigaretten, Alkohol oder Marihuana gemacht haben.“
so die Projektkoordinatorin Martina Matuštíková. „Prävention 2.0“ nennt sie das, was in den sechs Waggons geboten wird – ein interaktives Informationsprogramm nämlich, das mit reichlich Anschauungsmaterial alle Arten von Drogen, ihre Wirkung und die Folgen einer Abhängigkeit thematisiert. Die Schulgruppen werden durch realistisch und aufwändig gestaltete Szenerien geführt. Diese erzählen in vier Etappen eine zusammenhängende Geschichte. Eine Gruppe von Freunden geht feiern und macht dabei unterschiedlich intensive Drogenerfahrungen.
Durch das Geschehen führt ein mehrteiliger Film. An seine Sequenzen knüpft sich die Diskussion mit den Besuchern an. Ihre direkte Einbeziehung und ihre Reflektionen zum Erlebten seien für das Erlebnis im Revolution Train wichtig, erläutert Jörg von Daake. Der Deutsche ist kriminologischer Berater im Projektteam:
„Die Kinder und Jugendlichen haben während dieser ganzen Szenarien immer wieder die Möglichkeit, sich zu entscheiden. Und zwar an den Stellen, an denen die Protagonisten im Film für sich eine Entscheidung treffen, ob sie ein Suchtmittel nehmen.“
Dabei befinden sich die Besucher in den zugehörigen Kulissen, wie etwa einer Nachtbar, einer Ausnüchterungszelle oder einem verwahrlosten Schlaflager. Alles ist eher dunkel und in Neonbeleuchtung gehalten. Martina Matuštíková:
„Wenn der Film endet, hebt sich die Leinwand und zeigt die gleiche Umgebung in der Realität. Die Filmszene endet also zum Beispiel in einer Bar, in der Alkohol getrunken und Zigaretten geraucht werden. Wenn sich die Leinwand hebt, kommt auch eine echte Bar zum Vorschein, in die wir die Zuschauer einladen. Dort diskutieren wir mit ihnen, was sie von Zigaretten halten, und etwa die Frage, wieviel Geld ein Raucher im Jahr für Zigaretten ausgibt.“
Da kommen bei einer Schachtel pro Tag leicht 36.000 Kronen (etwa 1325 Euro) im Jahr zusammen. Das kann Jugendliche, die mit einem schmalen Taschengeld haushalten, ziemlich sicher schocken. Zumal Tabak neben Alkohol das Suchtmittel ist, das am leichtesten und nichtsdestotrotz relativ billig für Jugendliche zugänglich ist. Seine Attraktivität geht aber in Tschechien leicht zurück. Jarmila Vedralová ist die Koordinatorin für Drogenpolitik im Regierungsamt in Prag:
„Studien zeigen uns, dass es zu einem Rückgang des Drogenkonsums von Jugendlichen kommt. Der Trend geht zurück – sowohl bei Tabak und Alkohol, als auch bei anderen Suchtmitteln. Beim Erstkontakt mit Tabak und Alkohol verschiebt sich außerdem die Altersgrenze nach hinten.“
Kommunikation an erster Stelle
Für die Altersgruppe, auf die auch der Revolution Train abzielt, müsse eine erfolgreiche Präventionsarbeit das Gespräch mit den Kindern und Jugendlichen suchen, so Vedralová weiter:
„Das Wichtigste ist eine objektive Kommunikation mit den Kindern. Sie sollten wahrheitsgemäß darüber informiert werden, was die Folgen sein können. Das Grundprinzip der primären Prävention bei Schülern ist eine Erziehung, die einem Risikoverhalten vorbeugt. Also eine Erziehung zu einem gesunden Lebensstil und zu einem positiven sozialen Verhalten. Dazu müssen die sozialen Bindungen gestärkt werden. Entscheidend ist die Fähigkeit, in kritischen Situationen zu bestehen.“
Damit decken sich Vedralovás Erfahrungen mit dem kommunikativen und gruppendynamischen Ansatz im Revolution Train. Jörg von Daake:
„Wir wollen erreichen, dass die Kinder und Jugendlichen, wenn sie im Zug diese Geschichte miterleben, ihre eigene Position erarbeiten. Sie sollen sich ihre eigenen Gedanken machen. Wir wollen ihnen nicht etwas vorgeben.“
Es geht beim Besuch im Revolution Train also viel um die eigenen Erfahrungen beziehungsweise den Erlebnishorizont der jungen Besucher. Dabei wird zunächst bei legalen Suchtmitteln wie Alkohol, Zigaretten, aber auch Koffein, Zucker oder Medikamenten angesetzt.
„Oft stellen die Jugendlichen fest, dass sie abhängig sind von sozialen Medien, dem Internet oder Computerspielen. Hinzu kommt ungesundes Essen“,
so Martina Matuštíková. Mit dem Gang durch die Waggons geht es thematisch über zu Marihuana, Ecstasy, Metamphetamine und Heroin. Die Koordinatorin verweist stolz auf die 5D-Technik, mit der gearbeitet wird. Explizite Filmsequenzen, spontane Theaterszenen, in die die Besucher eingespannt werden, Nachbildungen von Lebensräumen bis hin zur Stimulation des Geruchssinnes – das alles ist integraler Bestandteil des Programms. Jörg von Daake hat oft die Wirkung auf die Besucher beobachtet:
„Ich habe es bei den Vorführungen, die ich mit Schülern und Kindern gemacht habe, bisher noch nie erlebt, dass die Kinder sich dieser Geschichte entziehen konnten. Das Programm emotionalisiert. Es geht unter die Haut und bleibt im Kopf.“
Kooperation vor Ort
In den jeweiligen Städten, in denen der Zug Halt macht, arbeitet sein Team nicht nur mit den ansässigen Schulen, sondern auch mit zivilgesellschaftlichen Partnern, Verwaltungen und Ämtern zusammen. Martina Matuštíková:
„Bei unseren Aufenthalten präsentieren wir auch lokal ansässige Organisationen wie das Rote Kreuz oder Polizeieinrichtungen, die Menschen mit Drogenproblemen helfen können. Wenn die Jugendlichen Bedarf haben, bekommen sie bei uns den Kontakt zu solchen Anlaufstellen. Und diese kümmern sich dann um ihr Problem.“
Neben der Aufklärungsarbeit ist das Sammeln von anonymen Daten eine wichtige Aufgabe des Revolution Train. Jeder Besucher füllt zu Beginn seiner Tour ohne Angaben zur eigenen Person einen Fragebogen aus. Die Informationen über Drogenzugänglichkeit und Drogenerfahrungen werden zu Grafiken ausgewertet und der jeweiligen Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt. Damit lasse sich herausfinden, ob das Projekt auch langfristig Wirkung zeigt, erklärt Koordinatorin Matuštíková. Zwei bis drei Monate nach dem Stopp in einer Stadt tritt das Folgeprogramm mit der lokalen Polizei in Kraft. Die Beamten besuchen die gleichen Jugendlichen in ihrer Schule und bringen das gewonnene Wissen über die Gesetzeslage in Erfahrung. Auch diese Informationen werden dann anonymisiert vom Zug-Team ausgewertet.
„Der tschechischen Polizei ist dieses Projekt sehr wichtig, denn es ist das einzige Programm, das in der gesamten Republik gleichermaßen durchgeführt wird. Es ist eine gute Arbeitsgrundlage für sie.“
Seit seinen ersten Fahrten durch Tschechien im Jahr 2015 hat der Revolution Train inzwischen schon die Landesgrenzen gekreuzt. Bei seinen Aufenthalten im Grenzgebiet zur Slowakei und auch zu Deutschland sind Experten, die sich dort für Drogenprävention einsetzen, auf ihn aufmerksam geworden. Jörg von Daake erklärt, warum das Projekt international funktioniert:
„Grundsätzlich muss man dazu sagen, dass Drogen und die Gefahren, die von ihnen ausgehen, sich nicht an Grenzen halten. Das Konzept, dass sich Pavel Tůma ausgedacht und realisiert hat, ist nicht nur auf ein Land begrenzt. Die Situation haben wir wiederholend in anderen Ländern auch.“
Matuštíková erklärt sich das Interesse auf deutscher Seite so:
„An der tschechisch-deutschen Grenze gibt es ein großes Problem mit Crystal Meth, also mit Methamphetamin. Darum haben uns auch deutsche Städte eingeladen, und unser Projekt hat ihnen gefallen. Wir waren sogar im Bundestag, auf Einladung des Innenministers.“
Dank entsprechender Sprachkenntnisse der Teammitglieder im Revolution Train und der Hinzuziehung von deutschen Kollegen wie etwa Jörg von Daake klappt die Vermittlung problemlos. Und auch in den Nachbarländern wird auf eine langfristige Wirkung des Projekts geachtet, so von Daake:
„Das Team aus Tschechien kommt in der Regel immer mit nach Deutschland. Es sind allerdings auch deutsche, lokale Präventionsmitarbeiter vor Ort. Das ist immer Voraussetzung für uns. Die Moderatoren aus diesem Ort, die vorher ausgebildet wurden, führen ihre Schüler, ihre Jugendlichen durch den Zug. Das hat den Vorteil, dass wir eine Kombination aus Teammitgliedern vom Revolution Train vor Ort haben. Andererseits sind auch die lokalen Präventionsarbeiter für Ihre Jugendlichen weiter greifbar.“
Am 11. November absolviert das Team mit dem Revolution Train im slowakischen Čadca seinen letzten Stopp auf der diesjährigen Tour. Für den Winter kehrt der Zug in seinen Heimatbahnhof im Prager Stadtteil Dejvice zurück. Auch dort ist ein Besuch nach Anmeldung möglich. Im Frühjahr nimmt der silberne Zug dann erneut seine Fahrt durch Tschechien auf.