Deutsch-tschechische Zusammenarbeit zwischen digitalen Begegnungen und dichten Grenzen
Seit 30 Jahren wird daran gearbeitet, die tschechisch-deutschen Beziehungen zu verbessern und zu intensivieren. Plötzlich kam aber das Coronavirus, und alles geriet ins Schwanken. Denn es braucht regelmäßige Kontakte, damit sich die Menschen dies- und jenseits der Grenze näherkommen können. Um nicht mühsam Aufgebautes zu verlieren, hat der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds als wichtigste Förderinstitution in diesem Jahr Sonderprogramme aufgelegt. Und diese müssen wohl auch erst einmal weitergeführt werden.
Vor zwei Jahren feierte der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds noch ausgelassen seinen 20. Geburtstag mit einem Fest auf der Mánes-Brücke in Prag. Doch wegen Corona dürfen die Menschen derzeit nicht mehr so eng zusammenkommen, Social distancing ist angesagt. Außerdem kam es im Frühling in den Beziehungen der beiden Nachbarstaaten zu etwas, das wohl niemand für möglich gehalten hatte: Die Grenzen wurden geschlossen. Aktuell sieht es auch nicht sehr viel besser aus, und tschechisch-deutsche Begegnungen sind erneut nur schwer umzusetzen. Dabei hatte es im Sommer eine kurze Phase der Normalität in den Beziehungen gegeben, sagt Tomáš Jelínek. Er ist einer der beiden Geschäftsführer des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. Und weiter führt er aus:
„Als der Herbst kam, und damit die neue Welle der Pandemie, standen wir vor derselben Frage wie im Frühjahr: Wie unterstützen wir die Netzwerke und die Akteure, die sich im deutsch-tschechischen Austausch engagieren, in dieser weiteren Corona-Welle?“
Dabei haben sich einige Bereiche durchaus als Corona-resistent erwiesen. So zum Beispiel die Restaurierungsarbeiten an historischen Bauten in den ehemaligen deutschsprachigen Siedlungsgebieten des heutigen Tschechiens. Allgemein seien die Kontakte zwischen Einheimischen und Vertriebenen weiter sehr lebhaft, sagt Jelínek und ergänzt:
„Wir haben gerade jetzt im Dezember wieder eine Reihe von interessanten und überzeugenden Projekten zu Baudenkmal-Restaurierungen bewilligt. Gleichzeitig laufen zum Beispiel Publikationsvorhaben nach wie vor sehr gut. Aber der Austausch im Jugendbereich und die Kulturprojekte sind stark betroffen. Und darüber haben wir uns Gedanken gemacht.“
Gefährdete Netzwerke
Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds wurde 1998 ins Leben gerufen. Über ihn investieren die Regierungen in Berlin und Prag regelmäßig beträchtliche Summen, damit auf möglichst vielen Ebenen eine gute Nachbarschaft entsteht. Insgesamt 11.000 Projekte konnten so bereits umgesetzt werden. Und zahlreiche Institutionen entstanden, die sich um all die Vorhaben kümmern – angefangen bei Tandem, also dem Koordinierungszentrum Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch, über die Brücke/Most-Stiftung, das Centrum Bavaria Bohemia, bis etwa zur Deutsch-Tschechischen Fußballschule.
Da sich derzeit die Menschen nicht treffen sollen, um eine Ansteckung mit dem Coronavirus zu vermeiden, können diese Institutionen nicht mehr ihr gängiges Programm anbieten. Und das gefährdet Netzwerke und Arbeitsplätze, befürchtet man beim Zukunftsfonds...
„Es gibt viele, die im Sommer den Mut hatten, trotz Corona weitere Projekte zu planen. Das muss jetzt aber wieder alles storniert werden. In dieser Situation wollen wir ein Signal senden, dass wir solche Tätigkeit wertvoll finden“, so Jelínek.
Deswegen wurde wie im Frühjahr noch einmal eine Sonderausschreibung aufgelegt. Nun kann der Zukunftsfonds aber nur projektbezogen fördern und nicht Institutionen einfach so am Leben halten. Folglich wurde ein Kompromiss gefunden:
„Es gibt zum Teil eine Art Kompensation in dieser Sonderausschreibung. Das richtet sich an diejenigen, die etwas geplant haben, dies aber nicht realisieren konnten. Zugleich besteht ein zukunftsorientiertes Prinzip. Wir wollen motivieren, sich Gedanken zu machen, was anders gemacht werden kann, um dann vorbereitet zu sein, wenn alles wieder normal läuft.“
Aber nicht nur das: Es geht auch darum, die Begegnungen über die Grenze hinweg nachhaltig in andere Dimensionen zu heben. Ein schwieriges Unterfangen, wie Jelínek weiß…
„Es ist nicht einfach, einen einwöchigen Schulaustausch plötzlich zu digitalisieren. Es braucht noch Zeit, solche Module zu entwickeln, da ein Austausch nicht einfach wie der Unterricht ins Netz verschoben werden kann. Aber es gibt schon die ersten Schwalben, die mit einem grundsätzlich neuen Online-Zugang kommen.“
So etwa das Projekt Online-Challenge. Dahinter steht der Kinder- und Jugendbildungsverein Prostor pro rozvoj (Raum für Entwicklung), der erst im März dieses Jahres entstanden ist – also genau zu Beginn der Corona-Pandemie. Mitgründerin Kristýna Šoukalová hat die Online-Challenge entwickelt. Der erste Jahrgang lief von Mai bis Oktober. Šoukalová sagt, man habe Online-Begegnung mit Weiterbildung vereint, so dass letztlich in drei Gruppen unterschiedliche Themen bearbeitet wurden:
„Eine Gruppe hat sich mit Sport und Ernährung beschäftigt, eine weitere mit den Gründern Europas und die dritte mit dem Deutsch-Abitur in Tschechien. Diese Gruppen haben von uns Projekt-Trainer bekommen, die auch als Moderatoren tätig waren. In den Gruppen wurden die Treffen dann unterschiedlich gehandhabt. Eine hat ein Online-Café veranstaltet und ist jede zweite Woche zusammengekommen, eine andere hat sich zum Beispiel immer sonntags um 18 Uhr für zwei Stunden auf unterschiedlichen Konferenz-Plattformen getroffen.“
Erste deutsch-tschechische Online-Konferenz
Einige Teilnehmer gehörten zu einer Projektpartnerschaft zwischen dem Jugendwerk aus Wittmund, dem Verein „Prostor pro rozvoj“ sowie der Jugend-Kulturorganisation Jukon aus Prag, die dem Landesverband der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien angeschlossen ist. Anmelden konnten sich aber auch weitere Jugendliche im Alter zwischen 13 und 26 Jahren. Und das seien ziemlich viele gewesen, sagt Kristýna Šoukalová. Im Oktober wurden die Gruppen dann in der ersten deutsch-tschechischen Online-Konferenz zusammengeführt. Weil dies erfolgreich verlief und auch zahlreiche Zuschauer von außerhalb den entsprechenden Youtube-Kanal eingeschaltet hatten, wird die Online-Challenge im kommenden Jahr weitergeführt.
„Wir haben uns überlegt, dass wir diesmal jedoch ein Thema vorgeben. Es ist die Online-Challenge Eco Edition. Da geht es nicht so sehr um die Ausarbeitung eines Projekts, sondern eher um die Praxis. Wir reden also darüber, was Nachhaltigkeit überhaupt bedeutet. Wie handle ich in meinem Leben, wie ist mein Lebensstil? Und wie kann ich dies auch umsetzen, was ich im Rahmen des Projekts erfahren habe?“, so Kristýna Šoukalová.
Während der Jugendbildungsverein „Prostor pro rozvoj“ also bereits das Netz gekapert hat, sieht Zukunftsfonds-Geschäftsführer Jelínek im Allgemeinen aber keinen Digitalisierungsschub in den grenzüberschreitenden Begegnungen. Dennoch oder gerade deswegen lautet das Jahresthema 2021: „Neue Zeiten? Neue Wege!“ Dabei möchte man auch Online-Projekte fördern, die sich „mit gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Pandemie beschäftigen“. Allerdings, so Tomáš Jelínek, gebe es diese bisher nicht:
„Eigentlich bestehen bisher vor allem Projekte, die im Praktischen auf die Pandemie reagiert haben. Bei denen also Wege gesucht wurden, sich trotzdem zu begegnen und auszutauschen. Aber Projekte, die sich entweder auf der Expertenebene oder im Bereich des Jugendaustauschs systematischer mit dem Problem beschäftigen, hatten wir noch nicht. Wir haben auch darüber diskutiert, ob es für ein solches Jahresthema nicht zu früh ist, weil wir noch mitten in der Pandemie stecken. Auf der anderen Seite haben wir schon fast ein Jahr Erfahrung mit dem Virus. Und gerade deshalb halten wir es jetzt für den richtigen Zeitpunkt, sich auch damit zu beschäftigen.“
Soweit also das neue Jahresthema. Doch wie lautete noch einmal das Jahresthema 2020? „Die Zukunft ist jetzt – gemeinsam nachhaltig handeln“, so der Titel. Zahlreiche Institutionen wollten eigentlich dazu Projekte entwickeln, allerdings machte ihnen Corona dann einen Strich durch die Rechnung. Tomáš Jelínek:
„Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, dieses Jahresthema in 2021 weiterzuführen. Es ist also eine Sondersituation: Man kann sich für beide Jahresthemen bewerben. ‚Die Zukunft ist jetzt‘ und ‚Neue Zeiten? Neue Wege!‘ laufen parallel.“
Und besonders ist ebenso, dass man sich für das neue Jahresthema bereits seit der Veröffentlichung im Dezember bewerben kann. Das bedeutet, dass es keine Fristen gibt wie sonst – denn der Zukunftsfonds möchte sofort helfen können.