Philosoph und Präsidentschaftskandidat Jan Sokol mit 84 Jahren gestorben
Im Alter von 84 Jahren ist am Dienstag der Philosoph, Pädagoge und ehemalige Politiker, Jan Sokol, gestorben.
Jan Sokol wurde 1936 in Prag geboren. Sein Vater war Architekt, die Mutter Kunsthistorikerin. Sokol war gelernter Goldschmied. In den 1960er Jahren studierte er zudem Mathematik an der Karlsuniversität. Er arbeitete als Programmierer und später als Wissenschaftler, befasste sich aber auch mit Philosophie. Zu ihr hatten ihn das Studium der Bibelkunde geführt sowie die Begegnung mit dem namhaften tschechischen Philosophen Jan Patočka, der sein Schwiegervater wurde. Sokol beteiligte sich an der ökumenischen Bibelübersetzung. Unter dem kommunistischen Regime, in den 1970er Jahren, organisierte er verschiedene „Wohnungsseminare“. Er war einer der ersten Unterzeichner der Charta 77.
Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes fungierte Sokol zwei Jahre lang als Abgeordneter, gewählt wurde er für das Bürgerforum. Es war für ihn nicht einfach, in die Politik zu gehen. Es gäbe Situationen, so räumte er ein, in denen man sich sagen müsse, dass es eine Art Verpflichtung gegenüber dem Staat sei. 1998 war Sokol Bildungsminister. 2003 kandidierte er für die Nachfolge von Václav Havel als Staatspräsidenten. Er wurde damals in der letzten Runde knapp von Václav Klaus geschlagen.
An Jan Sokol erinnern sich in diesen Tagen in den Medien viele seiner Freunde, Mitarbeiter sowie Politiker. Sie würdigen Sokols feste politische Haltungen, seine Ethik, Menschlichkeit und seinen Mut. Der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Pavel Rychetský, machte darauf aufmerksam, dass sein verstorbener Freund ein „Friedensengel“ genannt wurde, wegen seiner Fähigkeit nämlich, Menschen verschiedener Meinungen miteinander zu verbinden. Der Vorsitzende der Partei der Bürgermeister und Unabhängigen (Stan), Vít Rakušan, schrieb via Twitter, dass Tschechien heutzutage anders aussehen würde, wäre Sokol 2003 zum Staatsoberhaupt gewählt worden. Sokol selbst war ein Gegner der Direktwahl des Staatspräsidenten, die 2013 eingeführt wurde. Im Gespräch für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks sagte er im Sommer vergangenen Jahres:
„Meine Befürchtungen haben sich erfüllt. Zum direkt gewählten Staatspräsidenten kann nur jemand werden, der darum ungeheuer kämpft. Der alles dafür gibt und darum bereit ist, fast alles dafür zu versprechen.“
Als ein gutes Beispiel für die Ausübung eines Präsidentenamts nannte Sokol vor knapp einem Jahr Deutschland:
„Der Staatspräsident ist nicht allzu präsent, er zwingt sich nicht auf und macht der Regierung keine Probleme. Aber wenn die Zeiten schwierig sind, meldet er sich zu Wort. Und diese Stimme hat für die Gesellschaft einen großen Wert. Dazu sind tschechische Staatspräsidenten leider nicht imstande, weil sie sich ständig in etwas einmischen und jeden Tag auf dem Titelbild sein wollen.“
Radio Prag International hat in der Vergangenheit mehrmals aus verschiedenen Anlässen mit Jan Sokol gesprochen. Er galt als die Stimme der tschechisch-deutschen Aussöhnung. Sokol war schon vor 26 Jahren einer der Signatare des Aufrufs tschechischer Intellektuellen, die tschechisch-deutschen Beziehungen effektiver zu gestalten. In einem Interview von 2005 sagte er über die Nachbarn unter anderem:
„Unter Nachbarn sind die Beziehungen immer etwas schwieriger. Wir werden etwa nie Probleme mit Kolumbien haben. Auch der Größenunterschied spielt eine Rolle. Die Tschechen haben manchmal das Gefühl, dass die deutschsprachige Umgebung so groß und übermächtig ist, dass man lieber etwas auf der Hut sein sollte. Ansonsten aber scheint mir, dass die Beziehungen heute ganz gut verlaufen. Man darf nicht alles, was in der Zeitung steht, so genau nehmen.“
So Jan Sokol im Jahre 2005. Vor mehr als fünf Jahren war der Philosophieprofessor einer derjenigen, die während der Flüchtlingskrise den Aufruf der Wissenschaftler gegen Angst und Gleichgültigkeit unterzeichneten. Es sagte damals, es gehe ihm nicht darum, pauschal die tschechischen Politiker zu kritisieren:
„Uns geht es um den politischen Auftrag des staatlichen Apparates. Und selbstverständlich wollen wir vor der Überlagerung des realen Problems der Flucht mit xenophoben Phantasien warnen. Der Mensch ist von Natur aus einigermaßen xenophob. Wir sind auch zum Teil Tiere, also territoriale Lebewesen. Aber dagegen muss man sich wehren. Und gerade der Missbrauch dieses ernsthaften Problems für kurzfristige Zwecke erscheint uns gefährlich.“
2014 waren 25 Jahre seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes vergangen. Jan Sokol wurde damals nach den Feiern zur Samtenen Revolution gefragt. Er sagte, es sei gut, sich in Erinnerung zu bringen und öffentlich zu sagen, dass eben die Freiheit wichtig sei:
„Sie ist vielleicht sogar wichtiger als Reichtum oder Macht. Es geht zudem auch um eine gewisse Gleichheit. Die Ideale der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – sind weiterhin von Bedeutung. Selbstverständlich können die Menschen nie alle gleich sein. Aber als Ideal muss das in einer anständigen Gesellschaft gelten. Und es ist gut, sich das immer wieder in Erinnerung zu rufen.“
Jan Sokol lehrte an der Karlsuniversität Philosophie, Anthropologie und Religionswissenschaft. In den Jahren 2000 bis 2007 war er Dekan der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Karlsuniversität. Er wirkte auch an Universitäten im Ausland, darunter an der Universität in Heidelberg und an der Harvard University. Jan Sokol war in den letzten Jahren ein aktiver Wikipedianer. Im Jahr 2007 wurde er von Frankreich als Offizier der Ehrenlegion ausgezeichnet.