Buch-Neuerscheinung geplant: Präsident Václav Havel und der Dalai Lama
Am 1. Januar 1990 lud Václav Havel als ein neu gewählter tschechoslowakischer Staatspräsident außer Papst Johannes Paul II. und den Rolling Stones auch das spirituelle Oberhaupt des tibetischen Volkes, den Dalai Lama, nach Prag ein. Den frisch gekürten Friedensnobelpreisträger zu empfangen, war damals eine bedeutende Geste. Er lebte damals schon seit 30 Jahren im Exil. Der Prag-Besuch sowie die Beziehungen zwischen Václav Havel und dem Dalai Lama sind das Thema eines Bildbands, der von einem Team von Autorinnen und Autoren zusammengestellt wurde und im Herbst erscheinen soll
Seine Heiligkeit der Dalai Lama kam Anfang Februar 1990 zu seinem ersten Besuch in die Tschechoslowakei. Er traf damals nicht nur mit seinem Gastgeber, Präsident Václav Havel, zusammen, sondern auch mit dem damaligen Oberhaupt der katholischen Kirche, Kardinal František Tomášek. Die Visite weckte großes Interesse in der Öffentlichkeit. Einige Jahre später erinnerte sich der Dalai Lama in den tschechischen Medien an den Besuch von 1990:
„Sobald ihr frei und unabhängig geworden seid, erhielt ich eine Einladung von Präsident Havel. Er ist ein phantastischer, ungewöhnlicher Präsident oder politischer Leader – ich weiß nicht, wie ich das nennen soll.“
Es folgten, wie der Dalai Lama betonte, weitere Besuche. Mehrmals nahm er an den Jahreskonferenzen des „Forums 2000“ teil, bei denen es um demokratische Werte, die Einhaltung von Menschenrechten und die Stärkung religiöser und ethnischer Toleranz geht.
Kateřina Procházková ist Sinologin und Journalistin, sie hat sich am Projekt Sinopsis der Prager Karlsuniversität beteiligt. Procházková ist Co-Autorin des neuen Bildbands über die Besuche des Dalai Lama in Prag. Es habe gleich mehrere Gründe für das Buch gegeben, denn jeder der Verfasser habe seinen eigenen gehabt, sagt sie.
„Ich meine, dass es ein hochinteressantes Thema ist und eine übergeordnete Bedeutung hat. Das Buch dokumentiert nicht nur den ersten Besuch in Prag, sondern auch weitere Begegnungen des Dalai Lama mit Präsident Havel. Zudem beschreibt es die Auswirkungen des Besuchs auf die tschechoslowakische beziehungsweise tschechische Außenpolitik sowie die Lage des tibetischen Volkes. Wir sind auf inspirierende Momente und Gedanken gestoßen, die uns einige der Zeitzeugen vermittelt haben. Ich glaube, dass es notwendig ist, an diese Gedanken zu erinnern. Dies war mein Beweggrund für das Buch.“
Václav Havel erklärte bereits in seiner ersten Neujahrsansprache, er wolle seine Heiligkeit, den Dalai Lama, und Papst Johannes Paul II. zu einem Besuch einladen. Der Grund sei interessant gewesen, erzählt die Expertin:
„Es ging nicht nur darum, dass der Präsident den beiden bekannten Persönlichkeiten begegnen wollte, sondern auch um die spirituelle Dimension der Besuche. Havel spürte, dass in der Tschechoslowakei nach 40 Jahren Kommunismus diese Dimension des Lebens fehlte. Damals gab es hierzulande nicht die üblichen religiösen Institutionen und auch keinen Glauben an den Glauben. Deshalb knüpfte Václav Havel einen Dialog an mit führenden Vertretern unterschiedlicher Religionen.“
Havel öffnete Dalai Lama die Tür nach Westeuropa
Der Dalai Lama war der Sinologin zufolge damals in der Tschechoslowakei, aber auch in vielen anderen Ländern nur wenig bekannt. Allerdings galt Václav Havel in der westlichen Welt als bedeutende Persönlichkeit.
„Heutzutage erinnern sich nur wenige Menschen daran. Vielleicht haben viele das vergessen, und manche unterliegen den massiven Desinformationen über Václav Havel. Und er selbst kann sich auch nicht mehr dagegen wehren. Aber Havel war eben derjenige, der dem Dalai Lama die Tür zu mehreren führenden Politikern in Westeuropa und in den USA geöffnet hat – ob es nun in Paris oder Washington war. Der Besuch war für beide Seiten von Nutzen – sowohl für Tschechien, als auch für Seine Heiligkeit und die tibetische Exil-Regierung.“
Der erste Besuch des Dalai Lama in Prag war der Sinologin zufolge ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der tschechisch-tibetischen Beziehungen. Viele Initiativen wurden ins Leben gerufen. Regelmäßig kam das spirituelle Oberhaupt der Tibeter zu den Konferenzen des „Forums 2000“.
„Hierzulande sind verschiedene Plattformen und Vereine entstanden, die Tibet unterstützen. Sie sind sehr aktiv. Die Initiative ,Flagge zeigen für Tibet‘ ist hierzulande weit verbreitet. Zudem entfesselte sich bald eine Diskussion über die Demokratie und Einhaltung der Menschenrechte. Immer wenn der tibetische Exilpremier Lobsang Sangay in den vergangenen Jahren hier zu Besuch war, zog er Parallelen zwischen Tschechien und Tibet. Beide Länder haben die Besetzung durch eine fremde Macht erlebt oder leiden immer noch darunter. Sangay erinnerte an Jan Palach, der sich aus Protest gegen die Okkupation selbst verbrannt hat. In Tibet haben schon fast 200 Mönche dasselbe getan, um gegen die Unterdrückung ihres Landes durch China zu protestieren. Ich glaube, dass es zu einer großen Annäherung zwischen beiden Ländern gekommen ist, die sich hoffentlich weiterentwickeln wird.“
Wie ein Treffen alter Freunde
Der Dalai Lama schätzte Präsident Havel sehr. Sie standen sich beide sehr nahe, wie auch aus der Korrespondenz hervorgeht. Diese werde Bestandteil des neuen Buchs sein, merkt Kateřina Procházková an.
„Sie standen sich vom ersten Augenblick an nahe. Einige sagen sogar, es schien, als ob sie sich aus ihren vergangenen Leben gekannt hätten. Es sei damals wie ein Treffen alter Freunde gewesen. Wir haben nach Informationen darüber gesucht, wie die erste Einladung überhaupt zustande kam. Die Recherchen waren wirklich spannend. Wir haben herausgefunden, dass Ende 1989, wie einige Zeitzeugen erzählten, ein geheimnisvoller Inder die Vertreter des kurz zuvor entstanden Bürgerforums besuchte. Er übermittelte Václav Havel die Unterstützung Seiner Heiligkeit. Es zeigte sich, dass es Professor Sondhi war. Wir haben Kontakt zu seinen Verwandten in Indien aufgenommen und weitere Details erfahren. Ich möchte eigentlich nicht alles verraten, denn in dem Buch schreiben wir ja gerade darüber. Sehr nützlich für uns Autoren waren auch Gespräche mit Persönlichkeiten wie Monsignore Halík und Václav Havels Bruder Ivan. Zudem haben wir uns mit ausländischen Journalisten und Experten unterhalten. Es war sehr inspirierend, in den Erinnerungen zu wühlen und sie zu bearbeiten.“
Václav Havel und der Dalai Lama hatten laut Procházková noch etwas Besonderes gemein: ihren Sinn für Humor. Die positive Energie beider strahlt ihren Worten zufolge aus den zahlreichen Fotos, die für das Buch ausgewählt wurden.
Chinesische Regierung schwächt Identität der Tibeter
Der Dalai Lama lebt seit 1959 im Exil in Indien. Immer am 10. März wird in vielen Ländern der Welt mit der Initiative „Flagge zeigen für Tibet“ an die blutige Niederschlagung des dortigen Volksaufstands durch die chinesische Armee erinnert. Wie sieht es heute – 62 Jahre später – in Tibet mit den Menschenrechten aus?
„Die Lage in Tibet ist nicht besser geworden, im Gegenteil. Die chinesische Regierung betreibt sehr systematisch und durchdacht Propaganda. Diese richtet sich nicht nur an die tibetische Bevölkerung, sondern die ganze Welt. Peking spricht von einer ,friedlichen Befreiung‘ und ,Rettung’ Tibets. Dieses Narrativ über Tibet, das unter Staatschef Xi Jinping wieder aufblüht, wird leider von einem Teil der westlichen Beobachter und Journalisten übernommen. Das Gegenteil entspricht jedoch der Wahrheit. In Tibet erfolgt eine massive Sinisierung, und das betrifft die Religion sowie das gesamte gesellschaftliche Leben. Dadurch wird die religiöse, kulturelle und ethnische Identität der Tibeter geschwächt. Die chinesische Assimilierungspolitik betrifft allerdings nicht nur die Tibeter, sondern auch die Uiguren. Leider übernimmt der Westen manchmal die chinesische Propaganda und informiert nicht darüber, was in Tibet oder in Xinjiang wirklich passiert.“
Wie Kateřina Procházková und ihre Mitarbeiter hoffen, soll das neue Buch über den Dalai Lama und Václav Havel bewirken, dass wieder mehr über Tibet diskutiert wird.
Der Bildband mit dem Titel „Gemeinsam: der Dalai Lama, Václav Havel und ihre Freundschaft für die Welt“ soll im Herbst beim Verlag Vyšehrad erscheinen. Das Buch kommt zunächst in tschechischer und englischer Fassung heraus. An der Entstehung beteiligt sind ausländische Experten, die Stiftung Forum 2000, die Václav-Havel-Bibliothek, die Stiftung Vize 97 und das Projekt Sinopsis. Näheres über das Buch erfahren Sie unter https://cesitibetpodporuji.cz/#aktuality.