Internet und Handy: Tschechische Ärzte sollen Suchtverhalten von Kindern besser erkennen können
Die Ärzte in Tschechien schlagen Alarm. Ihren Eindrücken nach hat sich bei Kindern und Jugendlichen während des Corona-Lockdowns suchtartiges Verhalten verstärkt. Beim Missbrauch von Alkohol, Tabak und Marihuana durch Minderjährige gehört Tschechien ohnehin zur Spitze in Europa. Doch ersten Erkenntnissen nach haben in den zurückliegenden anderthalb Jahren die Abhängigkeiten vor allem von Internet, Handy oder Social Media zugenommen. Deswegen sollen Kinderärzte nun in Kursen geschult werden, um solche Verhaltenssüchte zu erkennen.
Nichtsubstanzgebundene Abhängigkeiten – so nennen die Fachleute unter anderem das übermäßige Surfen im Internet, Spielen auf dem Handy oder Posten auf Social Media. Dass dieses Verhalten bei zahlreichen Kindern und Jugendlichen bereits bedenkliche Ausmaße angenommen hat, schließen die Experten aus dem allgemeinen Ansturm auf Kinderarztpraxen und Jugendpsychiatrien in den vergangenen Wochen und Monaten. Michal Miovský ist Chefarzt an der Klinik für Adiktologie – also für Suchtbekämpfung – in Prag:
„Da die Nachfrage so groß ist, dürften unsere Befürchtungen hinsichtlich des Suchtverhaltens nicht übertrieben sein. Die konkrete Diagnose ist zwar erst nach einer entsprechenden fachärztlichen Untersuchung möglich. Doch allgemein müssen wir das Problem lösen – und das wird einige Zeit in Anspruch nehmen, weil Ärzte, Psychologen und Psychiater für Kinder hierzulande fehlen.“
Dass dringend etwas unternommen werden muss, kann Alena Šebková bestätigen. Sie leitet die Fachgesellschaft der praktischen Kinderärzte in Tschechien:
„Ich sehe bei mir in der Praxis, dass sich die Abhängigkeit von Handys, Tablets und dem Internet stark erhöht hat. Natürlich ist die Frage, ob es sich jeweils bereits um ein Suchtverhalten handelt. Ganz deutlich aber haben die Kinder mehr Zeit mit diesen Geräten verbracht als früher und auch als gesund ist.“
Laut Šebková sind während des Lockdowns in einigen Familien die früheren Grenzen gefallen beim Umgang der Kinder mit Handys, Tablets und Co. Damit ihre Kollegen erkennen können, wann eingegriffen werden muss, sollen diese künftig geschult werden. Bis kommendes Jahr wollen die Fachgesellschaft der praktischen Kinderärzte und die Klinik für Adiktologie entsprechende Kurse entwickeln. Sie sollen die gängigen Fragen zu Alkohol, Zigaretten, Marihuana oder harten Drogen ergänzen.
„Derzeit befragen wir die Heranwachsenden im Alter von 13 Jahren im Rahmen der Prävention zu diesen gängigen Dingen, damit wir herausfinden können, ob etwa eine Abhängigkeit am Entstehen ist. Da wollen wir wissen, wie es in der Schule ist, wie die Kinder ihre Freizeit verbringen oder ob sie bereits Erfahrungen gemacht haben mit dem einen oder anderen Suchtmittel. Dafür bestehen bereits Anleitungen. In diesen steht ebenso, wie wir weiter verfahren sollen, wenn uns etwas verdächtig vorkommt. Auf dieselbe Weise sollten uns auch die nichtsubstanzgebundenen Abhängigkeiten interessieren. Das mag vielleicht nicht ganz so einfach sein, aber wir müssen uns dringend damit beschäftigen“, so die Kinderärztin.
Und der Adiktologe Michal Miovský ergänzt:
„Wir möchten für die Kinderärzte und Praxishilfen Kurse nach Maß entwerfen. Diese sollen dabei helfen, Kinder bei Vorsorgeuntersuchungen auf clevere Weise zu befragen, die Antworten hinsichtlich der Schwere des Problems zu bewerten und Eltern dazu zu motivieren, mit dem Nachwuchs darüber zu reden. Ebenso sollte erkannt werden, wenn das Kind eine spezielle Behandlung braucht.“
Kinderärztin und Verbandschefin Alena Šebková wünscht sich in diesem Zusammenhang zudem gesetzliche Änderungen. So sollten ihrer Ansicht nach Kinder und Jugendliche in Tschechien jedes Jahr zur Vorsorgeuntersuchung kommen müssen:
„Leider ist dies bisher nur alle zwei Jahre nötig. Wir bemühen uns aber darum, das Intervall zu verkürzen. Denn das Jugendalter ist unter mehreren Gesichtspunkten sehr risikoreich.“