Tschechien evakuiert Botschaftsmitarbeiter aus Afghanistan
In Prag ist am Montagmorgen ein Spezialflugzeug gelandet, das die ersten Botschaftsangehörigen aus Kabul evakuiert hat. Unter ihnen sind vermutlich auch afghanische Mitarbeiter. Unklar ist, wie viele von ihnen noch im Land sind und Hilfe brauchen.
Der Krieg in Afghanistan sei zu Ende. So verkündeten es die Taliban, als sie am Sonntagabend in Kabul einzogen. Präsident Aschraf Ghani floh ins Ausland, und das Gleiche versuchen nun Tausende von Menschen vom Kabuler Flughafen aus. Zahlreiche Botschaften evakuieren ihre Mitarbeiter in die Heimatländer. Auch eine Maschine der tschechischen Armee hat Kabul in der Nacht verlassen und eine erste Gruppe nach Prag ausgeflogen.
Matyáš Zrno war 2010 Leiter eines Teams von tschechischen Zivilexperten in der afghanischen Provinz Lugar. Er meint, dass die aktuelle Evakuierung durchaus eher hätte beginnen können und führte in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks am Montagmorgen aus:
„Die Geschwindigkeit, mit der die Taliban vorgerückt sind, hat wohl alle überrascht, einschließlich der Kämpfer selbst. Als Folge sehen wir nun Bilder, die der amerikanische Präsident Joe Biden eigentlich ausgeschlossen hatte und die auffällig an die Evakuierung der amerikanischen Botschaft in Saigon 1985 erinnern.“
Ein deutlicher Unterschied würde allerdings darin bestehen, dass es sich damals um einen Angriff gehandelt habe, so Zrno. Jetzt fänden hingegen keine Kämpfe statt, und die Taliban ließen die Diplomaten in Ruhe.
Trotzdem fliegen mehrere Länder ihre Mitarbeiter aus. Wer genau an Bord der tschechischen Militärmaschine war, unterliegt der Geheimhaltung. Premier Andrej Babiš (Partei Ano) schrieb am späten Sonntagabend auf Twitter, dass der Airbus 46 Passagiere transportiere. Dabei handle es sich um Tschechen, ihre örtlichen Mitarbeiter sowie deren Familien.
Die genaue Zahl der Einheimischen, die mit den tschechischen Diplomaten und Soldaten in den vergangenen Jahren zusammengearbeitet haben, sei schwer zu beziffern, sagt Zrno. Äußerungen der tschechischen Regierung, wem nun Hilfe zukomme, seien eher irritierend gewesen:
„Daraus wurde nicht wirklich klar, welche Übersetzer genau Anspruch darauf haben. Ob dies Personen sind, mit denen noch Verträge laufen, oder auch solche, die vor zehn Jahren für uns gearbeitet haben. Auf jeden Fall könnte sich die Zahl der Dolmetscher, die unseren Soldaten oder auch zivilen Mitarbeitern während der gesamten Zeit des Einsatzes in Afghanistan geholfen haben, auf fast 100 belaufen.“
Zählt man noch die engsten Familienangehörigen hinzu, käme man letztlich auf mehrere Hundert Menschen, die auf Hilfe aus Tschechien angewiesen sind.
Schwer einzuschätzen ist momentan auch, wie vielen Afghanen nun die Ausreise gelingt. Es gibt keine Nachrichten darüber, dass die Taliban den Kabuler Flughafen blockieren würden. Allerdings hat die radikalislamische Bewegung am Montagmittag bekanntgegeben, dass sie den internationalen Flughafen in Kandahar kontrolliere.
Zudem herrschte auf dem Flughafen der Hauptstadt in der Nacht zum Montag Chaos. Die amerikanische Armee hat bestätigt, dass ihre Soldaten Schüsse in die Luft abgegeben hätten, um die Menschen davon abzuhalten, auf die Startbahn zu laufen. Der tschechische Innenminister Jan Hamáček (Sozialdemokraten) bezeichnete es dann auch als ein Wunder, dass die tschechische Militärmaschine ohne Probleme losfliegen konnte.
Welche reale Hoffnung auf Amnestie bestehe, oder auch welche Gefahr den einheimischen Helfern der tschechischen Armee nun drohe, stelle eine weitere Unbekannte dar, meint Zrno:
„Die Taliban und ihr Sprecher treten überraschend moderat und entgegenkommend auf. Zudem gibt es in Afghanistan die Tradition, dass dem Gegner verziehen wird, wenn er sein früheres Verhalten bereut. Andererseits sind die Taliban keine zentralisierte und perfekt funktionierende Organisation. Eine Sache ist, was die Führung oben verkündet, eine andere, was unten ausgeführt wird von jungen Mitgliedern, die nach langen Jahren des Kampfes vom Lande in die Stadt kommen.“
Der tschechische Außenminister Jakub Kulhánek (Sozialdemokraten) teilte mit, dass die Evakuierungen fortgesetzt werden. Am Montagvormittag ist ein weiterer Airbus von Prag in Richtung Kabul abgeflogen. Tschechien bringt zwei Diplomaten, darunter den Botschafter Jiří Baloun, außer Landes, zudem Einheiten der Militärpolizei und afghanische Ortskräfte, vor allem Dolmetscher. Kulhánek hat zur weiteren Verfolgung der Lage in Afghanistan außerdem einen speziellen Krisenstab zusammengestellt, der erstmals am Montagvormittag tagte.