Gedenkakt in Theresienstadt – Holocaust als Mahnung zum Umgang mit Flüchtlingen
In der Gedenkstätte Terezín / Theresienstadt wird jedes Jahr der Opfer des Holocaust gedacht. Der Gedenkakt findet in der Regel im Mai statt, wegen der Corona-Pandemie wurde er dieses Mal aber um einige Monate verschoben. An der Gedenkveranstaltung am Sonntag nahmen mehrere Hundert Menschen teil, darunter auch Politiker und Zeitzeugen. Einer von ihnen, Hanuš Hron, erinnerte sich an die Befreiung des KZ vor mehr als 76 Jahren:
„Ein russischer Soldat zeigte damals mit der Hand auf meine zerfallenen Schuhe und gleichzeitig auf einen Gefangenen. Dieser hatte ein Paar abgenutzter Stiefel um den Hals hängen. Für mich waren das aber Traumschuhe. Ich atmete tief ein und brüllte: ,Gib die Schuhe her!‘ Trotz aller Verzweiflung und Trauer begriffen wir, dass wir dank dem Sieg der Verbündeten auch noch morgen, übermorgen und vielleicht auch in entfernter Zukunft am Leben bleiben würden.“
Hanuš Hron ist 96 Jahre alt. Viele seiner Mitgefangenen starben. Rund 155.000 Juden wurden in den Jahren 1941 bis 1945 aus ganz Europa ins KZ Theresienstadt verschleppt. 117.000 von ihnen erlebten das Kriegsende nicht.
Zu den Rednern bei der Gedenkveranstaltung gehörte auch der Vorsitzende des tschechischen Verfassungsgerichts, Pavel Rychetský. Er ermahnte, dass die heutige Gesellschaft von den damaligen Gräueltaten lernen müsste. Dabei könne sie sich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 stützen, so Rychetský:
„Wir sollten darüber nachdenken, ob wir das gemeinsame Ziel auch wirklich teilen und erreichen können. Viele Tausend Flüchtlinge kommen nach Europa. Es sind Menschen, die nach Schutz vor neuen Gräueltaten suchen. Diese werden zwar relativ weit von uns entfernt verübt, aber erneut aufgrund von abartigen Ideologien und Hass.“
Rychetský warnte in seiner Rede davor, dass Begriffe wie Solidarität und Humanität scheinbar in Vergessenheit geraten seien. Der Anblick von Flüchtlingskindern, deren Leichname an Mittelmeerstrände gespült würden, sei eine beschämende Mahnung an unsere Zivilisation, so der Vorsitzende des Verfassungsgerichts.
Viele Teilnehmer des Gedenkaktes kommen jedes Jahr nach Terezín. Zu ihnen gehört auch Miluše:
„Ich halte es für wichtig, das Andenken derjenigen zu ehren, die gestorben sind und keine Gräber haben. In den letzten Jahren nehme ich auch meine Enkelin immer mit.“
Und was würde der Holocaust-Überlebende Hanuš Hron den jüngeren Generationen ans Herz legen?
„Die Menschheit rast irgendwohin. Das macht mir Sorgen. Denn ich habe 15 Großenkel. Ich werde aber vermutlich nichts beeinflussen können, alles wird sich unberechenbar abspielen. So sehe ich das wenigstens.“
Befreit wurde das Lager Anfang Mai 1945. Die ersten Truppen der Roten Armee, die auf dem Weg in Richtung Prag waren, fuhren am 8. Mai durch Theresienstadt. Schon vier Tage zuvor jedoch organisierten Ärzte aus Prag die sogenannte „Tschechische Hilfsaktion“ und kamen nach Theresienstadt, um die KZ-Häftlinge vor einer Typhus-Epidemie zu retten.