Corona-Krise hat Staatshaushalt aufgebläht – wie kommt man davon wieder runter?
Das Haushaltsdefizit in Tschechien lag im vergangenen Jahr auf Rekordhöhe. Allgemein bekannt ist, dass die Corona-Krise und die Hilfen für Beschäftigte und Firmen der Grund dafür waren. Ähnlich wird es auch in diesem Jahr sein. Doch wie können die aufgeblähten Finanzen wieder auf ein normales Niveau zurückgeführt werden?
Eigentlich sollte das Haushaltsdefizit noch höher sein. Finanzministerin Alena Schillerová (parteilos) war für das vergangene Jahr sogar von einem Minus von 500 Milliarden Kronen ausgegangen. Letztlich lag dieses bei 367 Milliarden Kronen (13,6 Milliarden Euro). Grund für das bessere Ergebnis waren vor allem höhere Einnahmen an Steuern und mehr Zuwendungen aus Brüssel.
Auch der Haushalt in diesem Jahr strebt auf ein ähnliches Ergebnis zu. 2022 dürften den Plänen der aktuellen Regierung nach aber keine Corona-Hilfen mehr die Finanzen belasten. Dennoch plant Schillerová nicht nur Rekordausgaben, sondern auch ein Rekorddefizit von 390 Milliarden Kronen (15 Milliarden Euro). In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks erläuterte die Ministerin, sie sehe keine Möglichkeiten, dies zu verhindern – und das obwohl die Steuereinnahmen in diesem Jahr um gut 60 Milliarden Kronen (2,3 Milliarden Euro) über den Prognosen liegen dürften…
„Es ist wirklich nicht möglich, den Staatshaushalt um mehrere Dutzend Milliarden Kronen zu senken. Wer das behauptet, versteht entweder nichts von der Sache oder sagt bewusst die Unwahrheit. Ich habe in den knapp vier Jahren meiner Tätigkeit als Finanzministerin sieben Staatshaushalte durchgesetzt. Bei aller Demut wage ich zu sagen, dass wohl kein anderer Finanzminister vor mir solche Erfahrungen gemacht hat“, so Schillerová.
Finanzministerin sieht keinen Spielraum
Außerdem verwies die Finanzministerin auf zahlreiche Beschlüsse, die das Abgeordnetenhaus erst nach dem ersten Haushaltsentwurf vom Frühling dieses Jahres getroffen hat und die die Kosten haben steigen lassen. Sie betrafen sowohl soziale Belange, als auch etwa die Förderung von Forschung und Wissenschaft.
Allerdings wird das Abgeordnetenhaus erst nach den Wahlen den Haushalt verabschieden. Denn schon am zweiten Oktoberwochenende werden die tschechischen Bürger zu den Urnen gerufen. Im Endeffekt könnte das bedeuten, dass eine neue Regierungskoalition dann die Ausgaben und Einnahmen noch einmal beurteilen muss. Großen Spielraum für Änderungen sieht Schillerová jedoch nicht:
„Eine ganze Reihe an Ausgaben ist gesetzlich festgeschrieben. Das betrifft vor allem das Ministerium für Arbeit und Soziales. Diese müssen natürlich im Haushalt bleiben. Zudem denke ich, dass keine neue Regierung und kein neues Abgeordnetenhaus in die Investitionen eingreifen will. Beides sind die größten Bereiche im Haushalt. Jenseits dessen sind keine Veränderungen im Umfang von mehreren Dutzend Milliarden Kronen möglich. Ich denke, in seinen Grundlagen wird sich der Haushalt nicht mehr ändern.“
Genau deswegen verstehen einige Ökonomen nicht, warum nicht wenigstens bei ungeplanten Mehreinnahmen das Defizit reduziert werden könnte. Und diese dürften wahrscheinlich kommen. Denn laut den Prognosen des Finanzministeriums soll die tschechische Wirtschaft in diesem Jahr stärker wachsen als ursprünglich vermutet: nämlich um einen Zehntelprozentpunkt mehr, konkret um insgesamt 3,2 Prozent. Das würde die erwähnten Steuermehreinnahmen von 60 Milliarden Kronen (2,4 Milliarden Euro) bedeuten.
In den vergangenen Wochen hat unter anderem der sogenannte Nationale Haushaltsrat die Entwicklung der öffentlichen Finanzen hierzulande kritisiert. Das Gremium ist unabhängig, seine Mitglieder werden vom Abgeordnetenhaus gewählt – und zwar sowohl auf Vorschlag der Regierung, als auch auf Eigeninitiative sowie auf Vorschlag des Senats. Eva Zamrzalová ist Vorsitzende des Nationalen Haushaltsrates:
„Wenn die Gelder nicht gesetzlich verplant sind, verstehe ich nicht, warum sie nicht zur Senkung des Defizits eingesetzt werden. Das Finanzministerium erwartet ein höheres Wachstum, eine höhere Inflation, eine niedrigere Arbeitslosigkeit – und in der Folge ein grundlegend höheres Lohnniveau, als dies noch in der Prognose vom April erwartet worden war. Und das führt zu Mehreinnahmen aus der Einkommenssteuer sowie aus der Körperschaftssteuer. Da kein Gesetz dem entgegensteht, verstehe ich nicht, warum der Haushalt nicht wenigstens etwas herabgesenkt wird.“
Sehr hohe Neuschuldenaufnahme
Wirtschaftswissenschaftler wie Zamrzalová fordern angesichts des aktuellen Wachstums, dass so bald wie möglich damit begonnen werden müsse, die öffentlichen Finanzen wieder auf frühere Dimensionen zu schrumpfen. Allerdings liegen die tschechischen Gesamtschulden im europäischen Vergleich immer noch relativ niedrig. Im ersten Quartal dieses Jahres wurden 44,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erreicht. Der Durchschnitt aller 27 EU-Länder liegt hingegen bei knapp 93 Prozent.
Doch die Neuverschuldung in Tschechien wächst so schnell wie sonst nur noch in Zypern. Im ersten Quartal dieses Jahres lag der Zuwachs bei 6,3 Prozent. Um das Tempo zu drosseln, vertraut das Finanzministerium in seinen derzeitigen Plänen auf ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Dennoch dürfte die Gesamtschuldenlast hierzulande bis 2024 auf einen Stand von 53 bis 55 Prozent des BIP ansteigen. Mit diesem absoluten Wert hätte Miroslav Singer eigentlich keine Probleme. Er ist ehemaliger Gouverneur der tschechischen Nationalbank und Haupt-Ökonom bei der Generali CEE Holding. Doch das Tempo bereite ihm Sorgen, sagt er.
„Die Lage ist so, dass sich die tschechische Wirtschaft fast schon von der Corona-Krise erholt hat. Dennoch liegt die Zunahme der Schuldenlast weiter bei sechs bis sieben Prozentpunkten im Jahr. Dass dies angesichts eines normalen Wirtschaftswachstums geschieht, halte ich für sehr gefährlich. Die Gesamtschuldenlast im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt macht mir da weniger Sorgen, als die schnelle Aufnahme neuer Schulden und dass wir die Lösung des Problems einfach der nächsten Regierung überlassen“, so Singer.
Das sieht die Wirtschaftsjournalistin Julie Hrstková von der Tageszeitung „Hospodářské noviny“ ebenso. Ihr macht zudem zu schaffen, dass hierzulande bisher auch keine Debatte darüber geführt wird, wie sich die Neuschuldenaufnahme reduzieren lässt:
„Die tschechischen Politiker haben bisher keine Vision, wie sich dies ändern lässt – außer über ein Wirtschaftswachstum, das bestimmte Einnahmen generiert. Tschechien ist derzeit ein Niedrigsteuerland mit hohen sozialen Ausgaben. Diese Kombination lässt sich aber auf lange Sicht nicht aufrechterhalten. Zugleich wissen wir nicht, ob wir in Zukunft ein Land mit niedrigen Einkommenssteuern und niedrigen sozialen Ausgaben sein wollen oder andersherum eines mit hohen sozialen Ausgaben, für die jedoch dann auch hohe Einnahmen aus der Einkommenssteuer nötig wären.“
Julie Hrstková fordert daher vom kommenden Kabinett einen klaren Plan zu den Einnahmen und Ausgaben des Staates.