Zemlinsky-Festival in Prag
Der Dirigent und Komponist Alexander Zemlinsky war von 1911 bis 1927 Musikdirektor des Neuen Deutschen Theaters in Prag. In diesem Gebäude hat heute die Staatsoper ihren Sitz. Anlässlich des bevorstehenden 150. Geburtstags von Zemlinsky findet ihm zu Ehren in diesen Tagen ein Festival statt. Martina Schneibergová hat bei dieser Gelegenheit mit dem Musikdirektor der Prager Staatsoper, Karl-Heinz Steffens, gesprochen.
Herr Steffens, am Wochenende findet ein Zemlinsky-Festival in Prag statt. Damit kehrt der Dirigent und Komponist nach vielen Jahren in jenes Opernhaus zurück, in dem er mehr als 15 Jahre lang tätig war. Kann man diese Zeit als Zemlinsky-Epoche bezeichnen? Was ist ihm damals gelungen?
„Ihm ist damals gelungen, dieses Haus auf die internationale Bühne zu bringen und das Theater als ein Haus der Innovation und ein modernes Musiktheater und Konzerthaus zu etablieren. Sehr viele Uraufführungen haben hier stattgefunden, beispielsweise ‚Schönenberg: Die Erwartung‘. Wir spielen bei diesem Festival die Lyrische Symphonie von Zemlinsky. Diese wurde ebenfalls hier uraufgeführt. Das Neue Deutsche Theater war damals eines der modernsten Häuser in Europa – im Bereich des Musiktheaters und überhaupt der klassischen Musik. Und das war ein großer Verdienst von Zemlinsky.“
Hat Zemlinsky auch namhafte Musiker nach Prag gebracht?
„Erstmal habe ich gehört und gelesen, dass er ein unglaublich strenges Regime geführt hat hier in diesem Opernhaus. Er hat konsequent wie sein – sozusagen – Pendant in Wien, Gustav Mahler, den alten Schlendrian aus dem Haus hinausgetrieben. Und er war sehr streng, was die Qualität angeht. Er hat sich nach vielen Jahrzehnten der Existenz des Hauses, als alles ein bisschen abgeflacht war, unglaublich viel um die Qualität der Aufführung gekümmert. Ihm ging es nicht darum, was gespielt, sondern auch wie es aufgeführt wurde. Ich glaube, dieser Geist interessiert mich persönlich doch sehr als sein Nachfolger in wievielter Generation. Denn man muss in einem Opernhaus immer wieder die Fahne hochhalten von Qualität, Fleiß und Geduld. Denn sonst flacht die Institution ab. Für mich ist Zemlinsky ein großes Vorbild.“
Wie waren seine Anfänge hier in Prag? Er hatte schon Erfahrung mit Operntheatern. War es für ihn schwer, als er, wie Sie erwähnt haben, diesen Schlendrian beseitigen wollte?
„Man muss bedenken, dass dieses Haus eigentlich von Prager Juden gebaut wurde, um sozusagen etwas dem Nationaltheater an der Moldau entgegenzusetzen. In dieser Zeit haben sich die tschechische und die deutschsprachige Kultur, die vorher so symbiotisch miteinander gelebt haben, irgendwie voneinander separiert. Das geschah durch diese ganzen Nationalismen, die in dieser Zeit nicht nur hier, sondern überall entstanden sind. Ich glaube, dass es für Zemlinsky sicher nicht ganz leicht war, in solch ein Theater zu kommen, das sich so abgeschliffen hatte, und dort neue Facetten abzugewinnen. Er war ein sehr kleiner Mann, das hat ihn sein Leben lang gequält. Aber trotz seiner geringen Größe hatte er eine titanische Energie und einen unglaublichem Willen – ähnlich wie Gustav Mahler. Sie haben beide versucht, Oper oder überhaupt das Musikwesen auf einen völlig neuen qualitativen Level zu heben. Man muss auch sagen, dass unter Zemlinsky hier nicht nur Oper gespielt wurde, sondern es wurden auch viele Werke der damaligen europäischen Gegenwartsmusik hier zum ersten Mal aufgeführt. Am Nationaltheater hat man sich mehr um die tschechische Tradition gekümmert, hier wurde mehr internationale Musik gespielt. Es ist durchaus interessant und schön, dass es in einer Stadt zwei Spannungsfelder gab, die nicht immer gegeneinander sein mussten, sondern sich gegenseitig auch wunderbar befruchten konnten.“
Auf dem Programm des Zemlinsky-Festivals steht auch eine Weltpremiere: Es wird ein Fragment der Oper Malwa von ihm aufgeführt. Was ist das für ein Werk?
„Zemlinsky hatte ein relativ erfülltes Leben als Künstler. Das endete in der Tatsache, dass er für Deutschland ‚der Jude‘ war. Und andererseits gibt es Berichte, dass er hier als Deutscher beschimpft wurde. Dann ist er nach Amerika gegangen. In diesem ganzen Gepäck waren Fragmente, angefangene Werke und darunter auch die erste Szene aus seiner Oper Malwa, mit der er begonnen und die erste Szene relativ geformt hinterlassen hat. Antony Beaumont hat als großer Kenner von Zemlinsky den Versuch unternommen, dieses Particell zu instrumentieren. Dies ist gut gelungen, weil er alle Werke von Zemlinsky fast auswendig kennt. Er weiß, was Zemlinsky wo wohl gemacht hätte. Es ist eine reizvolle, naturverbundene Musik zu einem düsteren Thema. Es geht um Liebe – um eine Frau, drei Männer, um die Freiheit der Frau, die sexuelle Selbstbestimmung. Es ist eigentlich ein sehr modernes Thema, das in der ersten Szene nur angerissen wird. Deswegen bleibt ein Fragezeichen, wie die Oper wohl weitergegangen wäre.“
Die Konzerte finden nicht nur in der Staatsoper, sondern auch im Nationalmuseum für Musik und in der Spanischen Synagoge statt. Haben Sie sich an der Auswahl dieser Orte beteiligt?
„Es ist nicht mein persönliches Festival, sondern die Idee ist geboren aus der Tatsache, dass wir mit dem Projekt Musica non grata einen Fundus bekommen, mit dem wir derartige Projekte finanzieren können. Es war klar, dass an Zemlinsky, der hier fast 16 Jahre lang tätig war, auch erinnert werden muss. Zudem hätte er seinen 150. Geburtstag gefeiert. Daher kamen die Dramaturgen, die Ideengeber und haben das Festival entwickelt. Es werden auch Werke von Komponisten gespielt, die um Zemlinsky herum waren. Wir versuchen, in jedem Programm Beziehungen herzustellen, die für das Verständnis von Zemlinsky und der damaligen Zeit wichtig sind.“
Eigentlich ist es schade, dass Zemlinsky im allgemeinen Bewusstsein hierzulande fast in Vergessenheit geraten ist…
„Im Ausland sieht das anders aus. Manchmal ist man erstaunt, wie wenig Aufmerksamkeit gewissen Leuten in Tschechien geschenkt wird, die nicht zum Kanon gehören. Da sollte etwas Aufbauarbeit geleistet werden.“
Das ist vermutlich teilweise auch durch die Jahrzehnte des Kommunismus entstanden. Denn damals wurde so gut wie verschwiegen, dass es in Prag einst ein deutsches Theater gab…
„Im Bewusstsein der Menschen hier muss eine lange, geduldige Aufbauarbeit geleistet werden, damit sie merken, wie vielfältig die Kultur in Prag vor 100 Jahren gewesen ist.“
„Das ist mir auch schon aufgefallen, denn ich bin Deutscher und Musikdirektor in diesem Haus. Ich merke selbst, dass dieses alte Denken auch heute noch bis in die jüngsten Generationen irgendwie verankert ist. Der Gedanke ist, man habe unter den Habsburgern gelitten, unter den Deutschen sowie den Russen, und jetzt wolle man seiner selbst sein und brauche niemanden anderen. Im Bewusstsein der Menschen hier muss eine lange, geduldige Aufbauarbeit geleistet werden, damit sie merken, wie vielfältig die Kultur in Prag vor 100 Jahren gewesen ist. Und die Vielfalt ist das Schöne. Die Einfalt ist immer das, was in die Sackgasse führt. Die Vielfalt macht das Leben der Leute reich.“
Das Zemlinsky-Festival in Prag läuft noch bis Sonntag, 10. Oktober. Es gibt immer noch Karten. Das Abschlusskonzert der Staatsoper wird vom Tschechischen Fernsehen aufgezeichnet und am Montag, 11. Oktober, ausgestrahlt.