Eishockey-David Bremerhaven feiert in Prag sporthistorischen Meilenstein

Worin liegt der Mehrwert des Leistungssports? Diese Frage wird in der heutigen Zeit immer öfter gestellt, insbesondere wenn man auf die Entwicklung des Weltfußballs schaut. Denn beim Kick auf dem grünen Rasen werden mittlerweile Millionen und Abermillionen Euro umgesetzt. Dadurch wird die Kluft zwischen reichen und ärmeren Vereinen immer größer, um die Siegertrophäen in nationalen wie europäischen Wettbewerben kämpft lediglich noch ein erlauchter Kreis an Mannschaften. Diese Auslese kennen andere Sportarten in diesem Maße noch nicht. Dies belegt ein Beispiel aus dem Eishockey.

Über 800 Fischtown-Fans sind bei CHL-Gastspiel in Prag live dabei

Mannschaftsbus der Fischtown Pinguins | Foto: Evergreen68,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED

Sie waren nicht zu überhören und zu übersehen, die Fans des Eishockeyvereins Fischtown Pinguins Bremerhaven. Vor knapp zwei Wochen waren sie in die tschechische Hauptstadt gereist, um ihre Mannschaft im Champions-Hockey-League-Spiel gegen Sparta Prag zu unterstützen. Mehr als 800 Fans kamen mit Bussen oder im privaten Pkw die fast 700 Kilometer von Deutschlands Norden bis in die Moldaumetropole gefahren, um beim größten Festtag der Vereinsgeschichte vor Ort zu sein. Manager Alfred Prey:

„Das Spiel gegen Sparta ist für den Verein ein sporthistorischer Meilenstein. Gegen diesen Club antreten zu können, ist eine sportliche Ehre, denn Sparta Prag ist eine der größten Traditionsmannschaften Europas. Und wenn man mal hier in der Tipsport Arena spielen kann, dann wird das ein Moment sein, der sich fest in der Vereinsgeschichte einprägen wird.“

Eisarena Bremerhaven | Foto: Martina Nolte,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0 DE

Um zu begreifen, weshalb das Match in Prag für den Kult-Club von der Nordseeküste eine solche Bedeutung hat, muss man nur etwas genauer in die Vereinsgeschichte schauen. In der Stadt an der Wesermündung wird erst seit 1974 organisiert Eishockey gespielt. Dort wurde damals der Roll- und Schlittschuhclub (RSC) gegründet, der 1988 in Roll- und Eissportverein (REV) Bremerhaven umbenannt wurde. Im Sommer 2002 wurde die Profimannschaft des REV in die Fischtown Pinguins Bremerhaven SBG mbH ausgelagert. Von 1974 bis 1997 war der Verein überwiegend dritt- oder viertklassig. 1997 gelang der Aufstieg in die zweite Liga, doch schon nach einer Saison ging es wieder eine Etage tiefer. Im Jahr 2000 stieg der REV Bremerhaven in die neu gegründete zweitklassige 2. Bundesliga auf und wurde zwei Jahre später bereits Zweitliga-Meister. Den Sprung in die erstklassige DEL wagte man jedoch aus finanziellen Gründen noch nicht. Im Gegenteil, ein Jahr später war Bremerhaven schon wieder drittklassig und hat sich erst seit 2004 – nun unter dem Namen Fischtown Pinguins  – in der zweiten Bundesliga etabliert. 2014 holte der Verein die Meisterschaft in der neu gegründeten DEL2, 2016 bewarb er sich erfolgreich um eine freie Lizenz in der DEL. Und in der vergangenen Saison, die wegen der Corona-Pandemie um etliche Punktspiele gestrafft wurde, belegten die Pinguins den zweiten Platz der Gruppe Nord, was ihnen letztlich das vierte deutsche Ticket für die Champions Hockey League (CHL) bescherte. Für diesen beharrlichen Aufwärtstrend hat Manager Prey auch eine Erklärung:

Alfred Prey | Foto:  Fischtown Pinguins

„Eishockey in Bremerhaven hat Seele. Die Stadt ist ein Traditionsstandort, auch wenn man dies auf den ersten Blick nicht vermuten würde. Seit 1943 wird hier Eishockey spielt, seit 1973 gehören wir überwiegend den zwei höchsten Spielklassen in Deutschland an. Eishockey hat in Bremerhaven wahrhaft Tradition.“

Ergänzend fügt der Manager an:

„Die Fans sind stolz darauf, was dieser Verein im Endeffekt geschafft hat. Fans und Verein bilden zudem eine verschworene Gemeinschaft. Das spiegelt sich aktuell darin wieder, dass zum CHL-Spiel in Prag rund 800 Menschen aus Bremerhaven angereist sind.“

Einer der 800 Fischtown-Fans, die die Reise nach Prag gemacht haben, war der 65-jährige Uli. Gegenüber unserem Sender ließ er seiner Freude über diesen Event freien Lauf:

Fischtown Pinguins - Sparta Prag | Foto:  YouTube Kanal Champions Hockey League

„Ich gehe schon seit 1975 zum Eishockey, doch das hier im Jahr 2021 ist für mich das Highlight in meiner ganzen Zuschauerkarriere. Es ist schon irre, dass solch ein kleiner Verein mit so wenig finanziellen Mitteln jetzt soweit gekommen ist. Von daher ein Hoch auf Alfred Prey, Hauke Hasselbrink und das gesamte Umfeld des Vereins. Bremerhaven ist und bleibt eine Eishockeystadt, und was wir heute erleben dürfen, ist die Spitze des Eisbergs.“

Die Spitze des Eisbergs – im positiven Sinne – wollten dann auch die Fans aus Bremerhaven erklimmen, als sie anderthalb Stunden vor Spielbeginn in die Prager Tipsport Arena hereingelassen wurden.

Zwei Niederlagen trotz harter Gegenwehr

Patrik Prymula | Foto:  HC Sparta Prag

In die Partie mit dem zweimaligen Spengler-Cup-Sieger und achtmaligen Meister der Tschechoslowakei und Tschechiens gingen die Norddeutschen geschwächt, denn sie mussten auf fünf verletzte Stammspieler verzichten, darunter mehrere Verteidiger. Der David schlug sich dennoch wacker und trotzte dem Goliath bis kurz vor dem Ende des zweiten Drittels ein 2:2 ab. Dann aber nutzte Sparta-Angreifer Patrik Prymula eine Unaufmerksamkeit der Gäste zur erneuten Führung der Hausherren, und zu Beginn des letzten Drittels sorgte Verteidiger Michal Moravčík mit einem Abstauber-Tor für die Vorentscheidung. Fischtown-Coach Thomas Popiesch erklärte das Fehlverhalten seiner Schützlinge in dieser Szene anschließend so:

„Da haben wir fünf Stürmer auf dem Eis gehabt, denn wir wollten unsere Verteidiger etwas schonen. Das Quintett war aber nicht eingespielt, man hat daher gesehen, dass die Abstimmung gefehlt hat. Und dann passiert so etwas halt.“

Am Ende aber wurde Sparta Prag seiner Favoritenrolle gerecht und gewann die Partie mit 5:2. Trotzdem war Trainer Popiesch nicht gänzlich unzufrieden:

„Es war ein Top-Spiel von zwei Teams, wobei man anerkennen muss: Es war zu sehen, dass Sparta eine europäische Spitzenmannschaft ist. Wir haben hier heute mit der Unterstützung der Fans wirklich sehr gut dagegengehalten. Wir hätten im zweiten Drittel aber ein, zwei Chancen besser nutzen müssen, dann wäre vielleicht eine Überraschung möglich gewesen.“

Die Sensation aber blieb dann auch im Rückspiel aus, denn Sparta gewann sechs Tage später ebenso in Bremerhaven, diesmal mit 3:1. Damit sicherten sich die Tschechen den ersten Platz in der CHL-Gruppe A und so auch den Sprung ins Achtelfinale. Im Kampf um Platz zwei wurden die Pinguins allerdings noch vom schwedischen Meister Växjö Lakers abgefangen, so dass ihre erste Europa-Reise nach drei Siegen und drei Niederlagen nunmehr beendet ist.

Neun Punkte in erster CHL-Saison, die nachhaltig in Erinnerung bleibt

Bremerhaven | Foto: Evelyn Kuttig,  Pixabay,  CC0 1.0 DEED

In der Stadt an der Nordsee aber ist man darüber nicht übermäßig enttäuscht, denn bei den Rot-Weißen weiß man das eigene Potenzial genau einzuschätzen. Alfred Prey schwärmt vielmehr davon, was der Verein und seine Fans durch ihre erstmalige CHL-Teilnahme alles erleben durften:

„Wir haben gegen den elfmaligen finnischen Meister TPS Turku gespielt, wir sind auf den amtierenden schwedischen Meister Växjö Lakers getroffen und jetzt auf Sparta Prag. Das ist so, als würden wir im Fußball gegen Paris St. Germain, Barcelona und Real Madrid spielen. Für eine Kleinstadt, die in der Eishockey-Diaspora lebt, ist das natürlich ein Erlebnis.“

Zum besseren Verständnis erläutert der Manager dann auch die Prämisse, nach der er und die weiteren Verantwortlichen des Vereins Jahr für Jahr den Kader zusammenstellen:

Fischtown Pinguins - Sparta Prag | Foto:  YouTube Kanal Champions Hockey League

„Wir müssen in Teichen angeln, in denen nicht die großen Fische schwimmen. Das heißt, wir fahren oft in die Slowakei oder nach Dänemark, wir gucken uns auch auf dem polnischen Markt um. Wir schauen also auf Gegenden, in denen die Spieler für uns noch finanzierbar sind, zumindest zu Beginn der Akquise.“

Zudem müssten die Spieler auch menschlich ins Konzept der Fischtown Pinguins passen, ergänzt Prey und erklärt, dass in einer Seestadt wie Bremerhaven harte Arbeit gefragt sei, und dass man unter den Neuzugängen keine Stars suche, sondern Akteure, die die Philosophie des Vereins, seiner Fans und seiner 196 Sponsoren aus dem Mittelstand und Kleinunternehmertum auch mittrügen. Dies sei bei den drei tschechischen Spielern, die im aktuellen Kader stehen, hundertprozentig der Fall, betont Prey:

Vladimír Eminger | Foto: Shev123,  Wikimedia Commons,  CC0 1.0 DEED

„Wir haben mit dem tschechischen Eishockey immer sehr gute Erfahrungen gemacht. Und so ist es auch diesmal, denn Spieler wie Stanislav Dietz, Vladimir Eminger und Dominik Uher möchten wir unter keinen Umständen missen. Das Trio hat auch einen sehr hohen Rückhalt bei uns in der Bevölkerung. Wir sind also stolz, dass wir die tschechischen Spieler in unseren Reihen haben.“

Doch auch die Dienste von Dietz, Eminger und Uher reichten nicht, um dem Favoriten aus Prag ein Bein zu stellen. Das Beispiel der Fischtown Pinguins beweist andererseits sehr eindrucksvoll, dass im Kräftemessen der besten europäischen Eishockeyclubs auch kleinere Vereine eine gleichwertige Rolle spielen können. Und allein schon die Teilnahme an der Champions Hockey League ist für die Spieler, die Verantwortlichen und die Fans aus Bremerhaven ein Event gewesen, von dem sie in ihren Erinnerungen noch lange zehren werden.

Autor: Lothar Martin
schlüsselwort: