Hilfe für Hunderttausende Menschen in Tschechien: Einmaliger Schuldenerlass durch „Gnadenjahr“
300.000 Menschen in Tschechien können sich in den kommenden Wochen ihrer Schulden bei öffentlichen Einrichtungen entledigen. Diese einmalige Gelegenheit bietet die Aktion „Milostivé léto“ (Erlassjahr). Sie ermöglicht es Schuldnern, ihre Pfändungsverfahren auf unbürokratische Weise einstellen zu lassen.
„Hier ist es: Ursprünglich waren es 24 Kronen. Jetzt will der Gerichtsvollzieher von mir 45.000 Kronen.“
Eine Schuldensumme von umgerechnet 1750 Euro hat sich angehäuft, weil Jaroslav vor fünf Jahren zweimal beim Schwarzfahren in der Straßenbahn erwischt worden ist.
„Ich war noch jung und dachte, wenn ich das nicht beachte, dann verfällt das irgendwann. Als dann der Brief vom Gerichtsvollzieher kam, bin ich richtig erschrocken, weil die Summe so hoch war.“
Der 27-Jährige ist nur ein Beispiel von vielen. Oftmals geht es zunächst um eine geringe Strafe. Bleibt die Rechnung offen, kann durch Mahnungen und Strafgebühren über die Jahre aber ein sechsstelliger Kronenbetrag zusammenkommen, der dann vom Gerichtsvollzieher eingefordert wird.
Ab Donnerstag haben Schuldner wie Jaroslav drei Monate Zeit, sich anhängigen Verfahren zur Zwangsvollstreckung unbürokratisch zu entledigen. „Milostivé léto“, also „Gnadensommer“, heißt die einmalige Aktion, die eine Novelle des tschechischen Pfändungsgesetzes ermöglicht. Sie bezieht sich allerdings nur auf Schulden, die beim Staat, den Gemeinden oder staatlichen Unternehmen bestehen und die von staatlichen Gerichtsvollziehern betreut werden. Dies können Mietschulden sein, versäumte Gebühren für die Müllabfuhr und bei der Stadtbibliothek – oder eben Ausstände bei den Verkehrsbetrieben wie im Falle von Jaroslav:
„Das nutze ich auf jeden Fall. Ich hatte schon mit Bekannten verabredet, dass sie mir Geld für die Schuldenabzahlung leihen. Damit hätte ich dann aber wieder Schulden bei ihnen, und das Problem wäre für mich immer noch nicht gelöst.“
Genau diese Fälle hatten die Abgeordneten vor Augen, als sie das Gesetz verabschiedeten. Patrik Nacher (Partei Ano) ist Mitautor des Entwurfs und sitzt im Prager Stadtrat:
„Der ‚Gnadensommer‘ ist ein Neustart, also eine zweite Chance für diese Menschen. Er funktioniert so, dass sie den ursprünglich eingeforderten Betrag bezahlen sowie eine Grundgebühr für den Gerichtsvollzieher, die 908 Kronen beträgt.“
908 Kronen sind umgerechnet etwa 35 Euro. Ist dies alles beglichen, wird das Verfahren eingestellt. Weitere Bedingungen sind allerdings, dass sich der Betreffende nicht in Privatinsolvenz befindet und von sich aus dem zuständigen Gerichtsvollzieher mitteilt, dass er den „Gnadensommer“ nutzen wolle.
Zu viele Schuldner wüssten allerdings immer noch nichts von dieser Möglichkeit, kritisiert Pavla Aschermannová. Sie ist Schuldenexpertin bei der NGO Rubikon Centrum:
„Dies ist eines der Probleme. Ich finde, die öffentlich-rechtlichen Gläubiger sollten ihre Schuldner darüber aktiv informieren. Des Weiteren bezieht sich die Aktion bei Krankenkassen nur auf solche Schulden, die vom Gerichtsvollzieher eingefordert werden. Es ist hingegen nicht möglich, sich jener Schulden zu entledigen, die durch Verwaltungs- oder Steuerverfahren entstanden sind.“
Dass sich aber auch Privatunternehmen wie Home Credit oder Air Bank freiwillig der Entschuldungsaktion angeschlossen haben, bezeichnet Aschermannová als „tolles Signal“. Dennoch könne vielen Menschen auch durch die einmalige Initiative nicht wirklich geholfen werden:
„Das ‚Erlassjahr‘ ist eine Gelegenheit für solche Betroffenen, die nicht überschuldet und in der Lage sind, dafür aufzukommen. Wer zu hohe Schulden hat und diese Möglichkeit nicht nutzen kann, muss in die Privatinsolvenz gehen.“
In Tschechien gibt es derzeit mehr als 700.000 Schuldner, gegen die insgesamt 4,3 Millionen Pfändungsverfahren anhängig sind. Etwa 300.000 Personen haben Anspruch auf den „Gnadensommer“, der noch bis zum 28. Januar kommenden Jahres läuft.