„Das Gleichgewicht finden“: Pressglasdesign in der Tschechoslowakei 1948-1989
In vielen tschechischen Haushalten gibt es bis heute einige Stücke aus Pressglas, die aus der Zeit vor der Wende von 1989 stammen. Es sind meist Gläser, Vasen sowie Aschenbecher. Heutzutage handelt es sich dabei nicht nur um Forschungsgegenstände, sondern auch um beliebte Sammlerobjekte. Unter dem Titel „Das Gleichgewicht finden“ zeigt das Museum für Glas und Bijouterie im nordböhmischen Jablonec nad Nisou / Gablonz eine Ausstellung über das tschechoslowakische Pressglasdesign aus den Jahren 1948 bis 1989. Martina Schneibergová war bei der Vernissage.
Um zu erkennen, warum das tschechoslowakische Pressglas aus der Nachkriegsära interessant ist, muss man auf die Anfänge eingehen, sagt Petr Nový. Er ist der Hauptkurator der neuen Ausstellung:
„Die Ausstellung trägt den Untertitel ‚Das tschechoslowakische Pressglasdesign‘. Der erste kommerziell erfolgreiche Pressglasdesigner war der Deutsche Rudolf Schrötter. Er arbeitete ab 1912 in der Rudolfshütte in Teplice für die Firma Inwald. Viele Tschechen haben zu Hause bestimmt einige seiner erfolgreichen Glas-Sets. Nach dem Krieg wurde er glücklicherweise nicht vertrieben. Er blieb bei der Firma und vermittelte jungen tschechoslowakischen Glasdesignern sein Knowhow. Ein wenig übertrieben kann man ihn als den ‚deutschen Vater des tschechoslowakischen Pressglases‘ bezeichnen.“
Deutsches Design für tschechoslowakisches Glas
Die Ausstellung ist in vier Teile gegliedert. Jeder Abschnitt wird mit einem Glas-Set oder einem Produkt eingeleitet, das kommerziell erfolgreich war und ästhetisch die jeweilige Epoche geprägt hat. Der Hauptkurator dazu:
„Es ist interessant, dass Schrötters Vorlagen sowohl in der Zeit vor 1948 als auch in den Jahren danach genutzt wurden. Einer seiner letzten Entwürfe von 1955 gehörte zu den Bestsellern auf dem damaligen Markt.“
Dem Kurator zufolge werden zahlreiche Besucher in der Ausstellung vermutlich Pressglasprodukte erkennen, die sie früher schon einmal gesehen haben. Sie können laut Nový in der Schau erfahren, wie alt oder neu die Stücke sind, wer sie entworfen hat und von welcher Firma sie hergestellt wurden:
„Ich glaube, dies ist ein Plus, das wir mit der Schau anbieten. Die bisher letzte große Pressglasausstellung fand 1972 im heutigen Zlín statt. Unsere Schau ist jedoch größer, weil wir auch die Zeit danach miteinbezogen haben. Wir zeigen hier 300 Exponate, von denen viele 50 bis 70 Jahre lang nicht mehr zu sehen waren. Dazu gehören Werke von Ladislav Oliva, die in der Glasfabrik in Poděbrady produziert wurden. Wir können sie hier zeigen, weil die Firma uns die Gegenstände geliehen hat. Es handelt sich um Prototypen, denn dieses Glas wurde nie in Serienproduktion hergestellt.“
Die ersten Gegenstände, die der Definition von Pressglas entsprachen, stammen schon aus dem 18. Jahrhundert. Dazu gehörten Parfümfläschchen und Lüsterbehang. Pressglas wurde vor allem in Mähren, in Nord- und Mittelböhmen und in Prag produziert. Petr Nový:
„Firmen wie Inwald, Schreiber, Reich oder auch Riedel waren recht groß. Sie beschäftigten jeweils 1500 bis 2000 Menschen. Natürlich produzierten sie nicht nur Pressglas, aber dieses Material machte den größten Anteil an der Herstellung aus.“
Dem Kurator zufolge versuchte man, mit dem Pressglas geschliffenes Glas nachzuahmen. Denn dies war viel teurer und zerbrechlicher.
„In der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik gab es die ersten Pressglasentwürfe, die auch einen ästhetischen Wert hatten. Daran wurde während der kommunistischen Zeit angeknüpft. Damals war die Tschechoslowakei eine der Großmächte im Bereich Pressglasdesign.“
Der Großteil der Ausstellungsexponate stammt aus den Sammlungen des Museums für Glas und Bijouterie. Einige Stücke wurden zudem aus Privatsammlungen und aus dem Museum in Nový Bor / Haida geliehen.
Pressglas als Investition
Die Pressglasprodukte aus den 1950er bis 1980er Jahren wurden nach der Wende laut Petr Nový ignoriert und verbannt. In der Gegenwart verhalte sich das wiederum völlig anders:
„Heute ist Pressglas unter den Sammlern ein Renner – und zwar nicht nur in Tschechien und nicht nur aus dem Grund, dass es renommierte Designer wie Jan Čapek und Maxim Velčovský sammeln. Es handelt sich um Gegenstände, die früher anonym waren, dies aber heute nicht mehr sind. Sehr populär ist Pressglas in Deutschland, Großbritannien und in den USA. Die Preise der Produkte aus sozialistischen Zeiten steigen ständig. Es ist eine gute Investition. Vor 15 Jahren war ein Stück für etwa 100 Kronen zu haben, heute kostet es bereits einige Tausend Kronen.“
In der Ausstellung sind vor allem Gläser, Vasen, Krüge, Schüsseln sowie Eis- und Aschenbecher zu sehen. Unter den Exponaten sind auch bis heute genutzte Biergläser.
„Die bekanntesten tschechischen Pressglasbeispiele dürfen hier nicht fehlen: Das sind die Halblitergläser, die Jiří Brabec, Rudolf Schrötter, Václav Hanuš und Vratislav Šotola entworfen haben. Die älteren Besucher erinnern sich bestimmt daran, dass sie aus diesen Gläsern einst Bier tranken. Heute gibt es den Trend, dass die größeren Brauereien sich spezielle Gläser entwerfen lassen. Die kleineren Bierbrauer suchen sich wiederum die Gläser in einem Katalog aus und lassen sie mit ihrem Logo versehen. In diesem Bereich ist Tschechien einzigartig. Denn ich kenne kein Land, in dem es so viele Designgläser für konkrete Biermarken gibt. Meist gehen die Bierproduzenten von einem allgemeinen Katalog aus, und nur das Dekor wird verändert.“
Hat der Kurator ein Lieblingsexponat, das mit einer Geschichte verknüpft ist?
„Ich mag besonders das Glas-Set ‚Cibulák‘ des Designers Pavel Pánek aus der Rudolfshütte in Dubí bei Teplice. Er ahmte dabei das bekannte Zwiebelmuster aus der Porzellanfabrik in Dubí nach. Dies war eine sehr gelungene Idee, denn das Glas-Set war sehr gefragt. Ich würde schätzen, dass nicht wenige Hörer oder Leser ein paar Stück von Páneks ‚Cibulák‘ zu Hause haben.“
Ein weiteres, genauso gelungenes Gläser-Set heiße „Perlička“ (Perle), erklärt Petr Nový und macht auf die Eisbecher aufmerksam:
„Dies ist ein Beispiel für ein Dekor, das wie geschliffenes Glas aussieht.“
Wenn ein Dekor erfolgreich war, wurden einst ganze Sets davon produziert. Es war aber auch häufig so, dass entweder nur Vasen, Aschenbecher oder Kerzenständer kreiert wurden.
Die Ausstellung mit dem Titel „Das Gleichgewicht finden“ ist im Museum für Glas und Bijouterie in Jablonec nad Nisou bis 10. April 2022 zu sehen. Das Museum ist von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet.