Tschechien zu Krisengebieten: Soldaten für Polen, Putin die Stirn bieten
Im östlichen Teil Europas nehmen die Spannungen weiter zu, sowohl an der Grenze Polens zu Belarus infolge der Flüchtlingskrise als auch an der ukrainisch-russischen Grenze. Vor den Toren zur Ukraine wurden nämlich starke russische Militärkräfte konzentriert. Mit der bedrohlichen Lage in beiden Regionen haben sich am Dienstag auch tschechische Parlamentarier und Experten befasst.
Seit dem Frühjahr versucht eine große Zahl Geflüchteter, von Belarus aus die Grenze zu Polen zu überqueren. Im Herbst hat sich ihre Lage weiter verschärft. Warschau, das Baltikum und andere EU-Staaten werfen dem Regime des autoritären belarussischen Regierungschefs Alexander Lukaschenko vor, Migranten aus Krisengebieten in sein Land zu locken und sie dann an der Außengrenze der EU abzusetzen. Tschechien hat Polen bereits im November Hilfe zur Bewältigung der Krise angeboten. Am Dienstag entschied nun die geschäftsführende Regierung von Noch-Premier Andrej Babiš (Partei Ano), 150 Soldaten für die Dauer von 180 Tagen nach Polen zu entsenden, falls das Parlament dem entsprechenden Antrag zustimmt. Parallel dazu tagten am Dienstag die Ausschüsse für äußere Angelegenheiten im Abgeordnetenhaus sowie im Senat. Worauf sich der Ausschuss der unteren Kammer geeinigt hat, verkündete dessen Vorsitzender Marek Ženišek (Top 09):
„Wir haben den Beschluss gefasst, Polen zu unterstützen. Damit verknüpft ist die mögliche Entsendung tschechischer Soldaten nach Polen je nach Bedarf unseres Nachbarn. Derzeit wird in Erwägung gezogen, einen Vortrupp für spezielle Aufgaben zu entsenden.“
Informationen aus Warschau zufolge sollen die tschechischen Soldaten zur Bewachung der Grenzbarrieren und Zufahrtswege eingesetzte werden und beschädigte Vorrichtungen gegebenenfalls wiederinstandsetzen. Ähnliche Aufgaben erfüllen 155 britische und 150 estnische Soldaten, die bereits vor Ort sind. Wann und wie lange die Hilfe aus Tschechien kommt, muss nun das Parlament in Prag entscheiden.
Neben der Migrationskrise an der östlichen EU-Grenze haben sich die Außenausschüsse des tschechischen Parlaments am Dienstag ebenso mit der Gefahr einer militärischen Eskalation Russlands in der Ukraine befasst. Sie wird dadurch offenbar, dass Präsident Putin Truppenverbände vor der Grenze zur Ukraine konzentrieren lässt. US-Präsident Joe Biden hat bereits mit „starken wirtschaftlichen Sanktionen“ gedroht für den Fall, dass Russland zu einer Intervention übergehe. Der tschechische Senatsausschuss für äußere Angelegenheiten stimme dem zu, erklärte dessen Vorsitzender Pavel Fischer (parteilos):
„Wir befürworten die territoriale Integrität der Ukraine. Daher müssen wir darauf achtgeben, was jetzt in ihrem Umfeld geschieht. Darüber haben wir heute hinter verschlossenen Türen verhandelt mit dem Ziel, einen Konsens für ein gemeinsames Vorgehen der Nato- und EU-Länder zu finden. Auch vor dem Hintergrund, dass der Europäische Rat darüber am 16. Dezember verhandeln wird.“
Für ein gemeinsames Auftreten der Nato und der EU in dieser Frage hat sich am Dienstagabend im Tschechischen Fernsehen auch der ehemalige tschechische Premier Mirek Topolánek (Bürgerdemokraten) ausgesprochen. Andererseits äußerte er die Befürchtung, dass die USA und Europa auf eine harte Konfrontation mit Russland nicht gut vorbereitet seien:
„Ich habe die Befürchtung, dass wir im Westen derzeit zu sehr in die Probleme in Sachen Klima und Gender abtauchen. Dabei lassen wir das Wesentliche außer Acht, nämlich die Konfrontation der Autokratie mit der Demokratie. In diesem Sinne ist die von Biden virtuell aus Washington geführte Verhandlung mit 100 demokratischen Größen dieser Erde eher eine rhetorische Übung. Meiner Meinung nach braucht es jetzt eine klare Aktion und Demonstration unserer Stärke, denn eine andere Sprache versteht Putin nicht.“
Topolánek war in seiner Regierungszeit von 2006 bis 2009 der bisher einzige tschechische Premier, der mit Putin unter vier Augen verhandelt hat. Der Bürgerdemokrat bezeichnete den Kremlführer als einen gewieften Staatsmann, der bestens informiert sei und dem nur wenige Politiker wirklich Paroli bieten könnten.
Ein großer Kenner der europäischen und russischen Militärpolitik ist auch der ehemalige Generalstabschef der tschechischen Armee und Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Petr Pavel. Im Fernsehen sprach er unter anderem über die Möglichkeiten, die die Nato und die EU hätten, um Russland zur Vernunft zu bringen:
„Russland eine Garantie zu geben, dass die Ukraine der Nato nicht beitritt, ist unmöglich. Denn damit würde das Prinzip der staatlichen Souveränität verletzt. Aber es gibt andere Möglichkeiten, um zusammen mit Russland einen Ausweg aus der angespannten Lage zu finden. Dazu gehören Maßnahmen zur Stärkung des beiderseitigen Vertrauens oder der Austausch über die Bedenken auf beiden Seiten. Ich denke, dass wäre ein rationales Vorgehen, auf das man drängen sollte.“