Olympia: Tschechisches Frauen-Eishockeyteam will für Überraschung sorgen
Am vergangenen Freitag wurde bestätigt, dass für Tschechien 113 Sportlerinnen und Sportler an den Olympischen Winterspielen in Peking teilnehmen werden. Das ist das größte Aufgebot, das die Nation jemals im Winter zu Olympia entsandt hat. Ein Grund für die dreistellige Teilnehmerzahl ist der, dass sich das tschechische Eishockey erstmals mit zwei Teams für die Spiele qualifiziert hat. Denn die Nationalmannschaft der Frauen feiert in Peking ihre olympische Premiere.
Qualifikationsturnier in Chomutov als Erste beendet
Seit dem Beginn der Winterspiele ist Eishockey eine olympische Sportart. Von 1924 bis 1994 war das olympische Turnier aber nur den Männern vorbehalten. Frauen durften erstmals 1998 in Nagano daran teilnehmen. Im fünften Anlauf seit 2006 konnten sich auch die Tschechinnen das Ticket für Olympia sichern. Beim Qualifikationsturnier Mitte November im heimischen Chomutov / Komutau ließen die Spielerinnen von Trainer Tomáš Pacina ihren Gegnerinnen keine Chance. Sie bezwangen nacheinander Dänemark mit 3:1, Polen mit 16:0 und Ungarn mit 5:1. Nach dem finalen Sieg über die Magyarinnen herrschte ausgelassene Freude auf dem Eis und in der Kabine:
Coach Pacina unterdrückte als Erster seine Emotionen und sagte voller Stolz:
„Der Erfolg ist etwas Großes, denn auf diesen Augenblick haben wir wirklich lange gewartet. Wir freuen uns für alle Frauen in der Tschechischen Republik, für alle Omas, Mütter, Schwestern und Töchter. Unser Fraueneishockey wird erstmals bei Olympia vertreten sein.“
Seine Spielerinnen konnten ihr Glück kaum fassen. Kapitänin Alena Mills:
„Endlich haben wir es geschafft! Gerade wir Mädels, die schon länger dabei sind, genießen jetzt jeden Moment, nachdem die Schlusssirene ertönt ist. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, und wir freuen uns schon auf Peking. Dort wollen wir ein gutes Ergebnis erzielen.“
Alena Mills spielt schon seit 17 Jahren für die Nationalmannschaft, sie stand also auch bei allen anderen Qualifikationsturnieren auf dem Eis. Daher kann sie gut einschätzen, wo sich das Team in den vergangenen Jahren verbessert hat:
„Wir haben unsere Spielweise stark verändert. Wir haben die Scheibe mehr unter Kontrolle. Wir behaupten sie jetzt auch unter Druck, indem wir sie oft zurückspielen. Wenn wir dann in einem Match sehr lange im Scheibenbesitz sind, wird unser Gegner oft nervös und fuchsig. Unsere kluge Spielweise wird unterstützt durch die vom Trainer vorgegebenen Prinzipien.“
Ein wichtiger Baustein des Erfolgs ist der Kollektivgeist in der Mannschaft. Doch der kommt nicht von ungefähr, schildert Verteidigerin Dominika Lásková:
„Viele von uns kennen sich schon seit der Kindheit, das heißt, wir Mädels sind uns schon vor über 15 Jahren auf dem Eis begegnet. Das ist eine unglaublich lange Zeit, umso emotionaler ist unser Zusammenhalt. Ich behaupte einfach: Jede von uns würde für die andere auf dem Eis ihr Leben lassen.“
Noch offensichtlicher sind indes die spielerisch-taktischen Fortschritte, die das tschechische Frauenteam mittlerweile gemacht hat. Noch einmal Lásková:
„Wir haben in den zurückliegenden zwei Jahren unter den Fittichen eines neuen Coaches trainiert. Wir haben dabei an unserer Technik gefeilt und neue Erkenntnisse anhand unseres Playbooks gewonnen. So viel Neues habe ich nicht einmal während meiner Schulzeit gelernt.“
Playbook wird zum Unterfand des Erfolgs
Was aber darf man sich unter dem sogenannten Playbook vorstellen? Darüber hüllen sich die Spielerinnen der Nationalmannschaft in Schweigen. Alena Mills lässt lediglich erahnen, wie wichtig der Leitfaden des Trainers für die Weiterentwicklung des Teams geworden ist:
„Das ist unser wundertätiges Teambuch. Es hilft uns dabei, unsere Spielweise weiter zu vervollkommnen. Dadurch haben wir zuletzt viele Siege errungen. Und so erwähnen wir es auch ständig, wenn wir nach unserem Erfolgsgeheimnis gefragt werden.“
Für Coach Pacina ist das Playbook jedoch kein Zauberbuch, sondern vielmehr ein Sammelband zu Trainingsmethoden aus den Erkenntnissen der langen Eishockey-Geschichte:
„In dem Playbook stehen keine Geheimnisse, sondern moderne Prinzipien des Eishockeys. Darunter sind aber auch einige, die recht alt sind, manche gibt es sogar schon seit 80 Jahren. Sie stammen aus der Zeit, als der berühmte russische Trainer Anatoli Tarassow das Eishockeyspiel lehrte. Dort findet man auch Hinweise auf das Kombinationsspiel, das die tschechische Schule ausmachte. Insgesamt aber sind die im Buch beschriebenen Prinzipien und Fertigkeiten ausgerichtet auf das Eishockey von heute.“
Die Spielerinnen haben gelernt, konsequent nach den Vorgaben des Playbooks zu arbeiten. Und das trage Früchte, lobte Tomáš Pacina seine Schützlinge nach dem erfolgreichen Olympia-Qualifikationsturnier:
„Wir werden es auch in Peking wieder den Spielerinnen überlassen, sich ihre eigenen Ziele zu setzen. Denn hier in Chomutov haben sie das phantastisch gemacht. Alle Aufgaben, die sie sich gestellt haben, haben sie erfüllt. Und das waren bestimmt zehn unterschiedliche Zielsetzungen.“
Die gewachsene Leistungsstärke des tschechischen Frauen-Eishockeys macht sich auch in der Rangliste des Internationalen Eishockey-Verbandes (IIHF) bemerkbar. Demnach hat sich die Nationalmannschaft vom 14. Platz im Jahr 2011 bis auf den siebten Rang im Jahr 2021 verbessert. Das ist nicht mehr allzu weit von der absoluten Weltelite entfernt, die von den USA und Kanada angeführt wird. Aber eben auch noch nicht nah genug, um schon in absehbarer Zeit ein fester Medaillenkandidat bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen zu sein. Trainer Pacina lässt daher nicht locker und zählt die Reserven auf, die seiner Meinung nach sein Team noch hat:
„Wir müssen noch schneller werden in unserem Spiel, besonders beim Torabschluss müssen wir energischer sein. Vor allem aber müssen wir härter in die Zweikämpfe gehen, das ist noch unsere Schwäche.“
Bei Spielen in Peking soll nächster Meilenstein gesetzt werden
Für das olympische Turnier in Peking hat Tomáš Pacina am vergangenen Donnerstag sein Aufgebot bekanntgegeben. Es umfasst 23 Spielerinnen, darunter drei Torfrauen, sieben Verteidigerinnen und 13 Angreiferinnen. Die große Mehrzahl der nominierten Frauen spielt im Ausland, allein elf von ihnen in der schwedischen Top-Liga. Die tschechische Extraliga der Frauen hat nur vier Mannschaften, auch die Ligen unter ihr sind nicht stark besetzt. Zwar haben der tschechische Eishockeyverband (ČSLH) und die Nationale Sportagentur (NSA) in den letzten Jahren stetig mehr Geld in die Entwicklung des Frauen-Eishockeys gesteckt, doch im Vergleich zu den Männern sind die Summen noch überschaubar. Trainer Pacina hat daher eine klare Forderung:
„Der Frauensport sollte in gleichem Maß unterstützt werden wie der Männersport. Natürlich gibt es zum Teil große Unterschiede, zum Beispiel bei den Zuschauerzahlen. Das sehen wir ein. Aber im Nachwuchsbereich, wenn es um die Unterstützung der Talente von morgen geht, sollte man schon für eine Gleichstellung sorgen.“
Die tschechischen Eishockeyspielerinnen aber haben gelernt, mit solchen und anderen Defiziten klarzukommen. Nach und nach haben sie sich mach oben gearbeitet und wollen nun bei Olympia den nächsten Meilenstein setzen. Kapitänin Alena Mills:
„Wir fahren nach Peking, um eine Medaille zu holen. Sicher sind Kanada und die USA wieder die Favoriten, doch die Finninnen sollten wir schlagen können.“
Das Team aus Finnland liegt in der aktuellen Weltrangliste auf Platz drei und ist so dem Papier nach der erste Kandidat für die Bronzemedaille. Tschechien trifft in der Vorrunde aber zunächst auf Gastgeber China, Schweden, Dänemark und Japan. Die drei besten Mannschaften dieser Gruppe ziehen in das Viertelfinale ein. Das tschechische Team kommt am 24. Januar zu einem kurzen Trainingscamp in Prag zusammen, drei Tage später reist es nach Peking ab. Zuvor bestreiten Mills & Co. noch zwei Testspiele gegen Russland und Schweden.