Tschechische Historiker ermöglichen Online-Suche nach Gefallenen des Ersten Weltkriegs
Seit einiger Zeit lässt sich online nach den Gefallenen des Ersten Weltkriegs suchen, die aus den Gegenden der späteren Tschechoslowakei stammten. Denn das Militärgeschichtliche Institut und das Militärgeschichtliche Archiv in Prag sind dabei, die Namen von getöteten Soldaten zugänglich zu machen. Nun sind die Angaben zu rund 23.000 weiteren früheren Armeeangehörigen hinzugekommen, die zwischen 1914 und 1918 in Feldlazaretten starben. Die Aufzeichnungen stammen aus Matrikelbüchern in Wien. Im Folgenden mehr dazu und zum Gesamtprojekt.
Das Projekt ist eigentlich schon älter. Bereits 2007 begannen das Militärgeschichtliche Institut und das Militärgeschichtliche Archiv, ihre Matrikelbücher aus Kriegszeiten zu digitalisieren. Allein für die Zeit des Ersten Weltkriegs handelt es sich um fast 800 Bände. Online zugänglich wurden erste Teile dann 2015. Damit wollte am auch an den Ausbruch des Weltkriegs 100 Jahre zuvor erinnern. Zunächst konnten die Sterbe-Matrikeln von Infanterieregimentern der österreichisch-ungarischen Armee eingesehen werden. Nun ist ein weiterer Teil hinzugekommen. Marek Fišer vom Militärgeschichtlichen Institut ist einer der Leiter des Projekts. Der Historiker erläuterte in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:
„Wir haben nun auch die Sterbematrikeln der Feldlazarette zugänglich gemacht. Es handelt sich um Angaben aus den Feldlazaretten der k. u. k. Armee aus dem Ersten Weltkrieg. Es sind aber nur Auszüge, konkret die Angaben zu jenen Soldaten, die aus den Gebieten der Donaumonarchie kamen, aus denen sich nach dem Krieg die Tschechoslowakei herausbildete. Das bedeutet Böhmen und Mähren, die Slowakei und die Karpatenukraine. Mit diesen Namen ergänzen wir jene Matrikeln, die wir bereits vor einem oder zwei Jahren veröffentlicht haben. Die bezogen sich auf Soldaten aus den Infanterieregimentern der österreichisch-ungarischen Armee. Wie damals ist auch jetzt der Vorteil, dass eine Volltextsuche möglich ist. Man kann also Namen und Vornamen sowie Geburts- oder Todesjahr der gesuchten Person eingeben.“
Eintragungen auf Deutsch
Zum Beispiel Josef Beneš, geboren 1876. Er stammte aus dem Ort Bezno bei Mladá Boleslav / Jungbunzlau in Mittelböhmen. Ursprünglich gehörte der Soldat dem k. u. k. Infanterieregiment „Freiherr von Koller“ Nr. 94 an, wurde aber dem Landwehr-Bataillon 78 zugeteilt. Laut den nun veröffentlichten Matrikelbüchern starb Josef Beneš am 2. Oktober 1918 im Feldlazarett in der heutigen ukrainischen Stadt Wolodymyr-Wolynskyj im Nordwesten des Landes. Ein Militärarzt vermerkte auch die Todesursache. Demnach erlag der Soldat der Ruhr, also einer ansteckenden Durchfallerkrankung.
„Wichtig ist die Angabe, dass er am Tag nach seinem Tod auf dem Militärfriedhof in Wolodymyr-Wolynskyj begraben wurde. Es ist das Grab Nummer sechs in Reihe 29 links“, ergänzt Co-Projektleiter Tomáš Kykal vom Militärgeschichtlichen Institut.
All diese Eintragungen in den Matrikelbüchern sind auf Deutsch erfolgt. Schließlich handelte es sich ja um offizielle Dokumente der k. u. k. Militäradministration. Die Vermerke wurden zudem handschriftlich vorgenommen, sie sind also nicht immer so leicht zu entziffern.
In den Lazaretten dürften die Daten der Patienten meist bekannt gewesen sein. Schwieriger war das bei den Soldaten, die an der Front ihr Leben gelassen haben. Dazu Martin Flosman vom Militärgeschichtlichen Archiv in Prag:
„Jeder Soldat trug eine Erkennungsmarke um den Hals. Diese wurde ihm bei der Bestattung abgenommen und die Daten in die Matrikelbücher übertragen. Beim Regiment an der Front wurden nur einfache Listen erstellt und diese dann an den nächsten Heeresleitungsbereich geschickt, wo die Einträge entstanden.“
Nach dem Krieg brach die Habsburger Monarchie in einzelne Staaten auseinander. Die Akten, die auch Tschechen, Slowaken, Sudetendeutsche oder Karpatenukrainer betrafen, blieben meist in Wien. Nur einige wenige Matrikelbücher zu den Soldaten aus den Böhmischen Ländern wurden aufgrund des Friedensvertrags von Versailles der Tschechoslowakei übergeben. Deswegen wurden die Beamten aus dem neugegründeten Staat aktiv.
„In den Jahren 1918 bis 1924 bestand ein Matrikelreferat in der tschechoslowakischen Gesandtschaft in Wien. Dort arbeiteten durchgehend drei Armeegeistliche und drei Schreiber. Während der wichtigsten Zeit der Übertragungen waren sogar 16 Schreiber dort angestellt. In den sechs Jahren ihrer Amtszeit bearbeiteten sie über 100.000 Akten. Die Matrikeln der Feldlazarette gehören zu jenen, die in Wien übertragen wurden“, erläutert Archivar Flosman.
Und Militärhistoriker Tomáš Kykal fährt fort:
„Die Armeegeistlichen vom Matrikelreferat der tschechoslowakischen Gesandtschaft in Wien haben ab dem Sommer 1923 rund 23.000 Aufzeichnungen aus Matrikelbüchern übertragen. Das müssen einige Hundert Bücher gewesen sein. Um die Datensammlung zu den Kriegsopfern aus den Feldlazaretten zu erstellen, suchten sie nur nach Personen mit Heimatrecht in der Gegend der damaligen Tschechoslowakei.“
Ahnensuche und historische Forschung
Die Angaben zu den gefallenen oder in Lazaretten gestorbenen Soldaten sind im sogenannten Digitalen Lesesaal des tschechischen Verteidigungsministeriums (Digitální studovna Ministerstva Obrany) einzusehen. Fast 180.000 Matrikel-Eintragungen stünden dort mittlerweile zur Verfügung, heißt es auf der Website des Militärgeschichtlichen Instituts. Wie die Suche in den Büchern genau abläuft, erläutert Historiker Marek Fišer:
„Über die Online-Suche kann man die gescannten Bilder der Matrikeln aufrufen. Diese bieten dann weitere Informationen wie Nationalität, Geburtsort, Ort des Heimatrechts, Alter, Beruf oder Glaubensbekenntnis. Dazu kommt das, was die Nutzer der Datensammlung am meisten interessieren dürfte: der Ort des Todes und meist auch die Todesursache. Denn anders als bei den Matrikeln der Infanterieregimenter ist dies von den Feldlazaretten normalerweise vermerkt worden – also ob jemand an einer bestimmten Krankheit gestorben ist oder durch eine Schussverletzung oder etwa Granatsplitter.“
Die Experten des Militärgeschichtlichen Instituts haben die Daten auch bereits quantitativ ausgewertet – zumindest in einer groben Schätzung. Demnach dürften in den Matrikeln rund 126.000 Soldaten aus den Gebieten der späteren Tschechoslowakei erfasst sein, die entweder gefallen sind oder in den Lazaretten starben.
Ansonsten betont Marek Fišer, dass man mit der Veröffentlichung gleich mehrere Interessensgruppen ansprechen wolle – Privatpersonen wie auch Geschichtswissenschaftler:
„Natürlich kommen unterschiedliche Nutzer infrage. Das mögen professionelle Ahnenforscher sein. Da aber die Suche relativ einfach gestaltet ist, können auch jene fündig werden, die sich nicht so gut in historischen Quellen auskennen, aber Informationen über ihre Ahnen suchen. Nicht zuletzt wären wir aber froh, wenn die Dokumente beziehungsweise Informationen für die Forschung genutzt würden – vor allem für historische Statistiken. Bisher ist zum Beispiel nicht genau aufgearbeitet worden, wie viele Tschechen wirklich im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Zahlen wie 150.000 oder 200.000 Tote geistern durch den Raum. Weiteres Nutzungspotenzial sehe ich darin, dass sich etwa Gemeinden einen Überblick verschaffen können über die Zahl an Gefallenen aus ihrer Einwohnerschaft.“
Der Digitale Lesesaal des tschechischen Verteidigungsministeriums findet sich unter der Webadresse: digitalnistudovna.army.cz.