Heydrich und seine Rassenexperten: Zentrum der NS-Forschung in Prag

Ausstellung „Die Neue Weltordnung“

Ein Ziel des Dritten Reichs im Zweiten Weltkrieg war es, weite Teile Ostmittel- und Osteuropas auf der Grundlage der NS-Rassendoktrin zu kolonisieren und zu germanisieren. In Prag wurde daher ein Forschungszentrum aufgebaut, in dem an den theoretischen Konzepten dafür gearbeitet wurde. Gegründet wurde es vom Stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich. In Prag gibt eine Ausstellung unter dem Titel „Die Neue Weltordnung“ einen Einblick in die Aktivitäten Heydrichs.

Reinhard Heydrich | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Der deutsche SS-Obergruppenführer und General der Polizei Reinhard Heydrich übernahm Ende September 1941 das Amt des Stellvertretenden Reichsprotektors in Böhmen und Mähren. De facto hatte er aber die Macht hierzulande, weil Reichsprotektor Konstantin von Neurath beurlaubt worden war.

Holocaust als Prolog

Ausstellung „Die Neue Weltordnung“ | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Die multimediale Ausstellung umfasst etwa 45 Minuten an audiovisuellen Projektionen sowie viele Texte, Fotografien und weitere Objekte. Sie macht die Öffentlichkeit mit den Plänen der von Heydrich nach Prag berufenen Rassenexperten bekannt. Sie sollten die Parameter eines idealen menschlichen Prototyps definieren und ein Konzept für eine neue Siedlungsstruktur im Osten Europas erstellen. Die Ausstellung mit dem Namen „Die Neue Weltordnung“ wurde von Mitarbeitern der Gedenkstätte der Stille (Památník ticha) in Zusammenarbeit mit der Prager Karlsuniversität und weiteren Institutionen gestaltet. Pavel Štingl leitet die Gedenkstätte der Stille und hat die Schau konzipiert:

Pavel Štingl | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

„Heydrich entschied sich, Prag zu einem Zentrum für die Erforschung Südosteuropas zu machen. Er knüpfte an das im Deutschen Reich populäre Thema an, die Welt neu zu kolonisieren und die eroberten Gebiete neu zu nutzen. Hinter diesen Planungen standen keine Soldaten, sondern Wissenschaftler, Spezialisten und Rassenexperten. Das Ziel sollte die Vernichtung beziehungsweise Aussiedlung von 30 bis 40 Millionen Bewohnern dieser Gebiete sein. Grob ausgedrückt würde ich sagen, dass der Holocaust nur als Prolog zu diesem Plan gedacht war.“

Pläne auf Vernichtung oder Aussiedlung von 30 bis 40 Millionen Bewohnern

Ausstellung „Die Neue Weltordnung“ | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Eines der Leitmotive der Ausstellung sind Biografien der Rassenexperten, die die Forschungsinstitute in Prag leiteten. Štingl nennt sie Pseudowissenschaftler:

„Es waren tatsächlich Professoren mit Universitätsausbildung, aber keine Wissenschaftler. Sie haben dem Regime gedient. Heydrich nutzte die Tatsache, dass hier große Gebäude der beschlagnahmten tschechischen Universität zur Verfügung standen. Zum Beispiel wurde auf dem Campus des Purkyně-Instituts für Biologie ein Institut für Rassenhygiene eingerichtet. Dort erstellte man eine riesengroße Kartei, die nach dem Krieg vernichtet wurde. Ein paar Blöcke weiter steht die naturwissenschaftliche Fakultät, die für Forschungen in Rassenbiologie beschlagnahmt wurde.“

Ausstellung „Die Neue Weltordnung“ | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Die Besucher werden unter anderem mit den anthropometrischen Messungen bekannt gemacht, mit denen sozusagen die „rassische Qualität“ der Bevölkerung im Protektorat und in den besetzten Ostgebieten analysiert werden sollte. Die Ergebnisse der Messungen wurden dann Teil der Rassenstatistik, anhand derer die „Nutzbarkeit“ des jeweiligen Gebiets bewertet wurde. Ein eigener Abschnitt der Ausstellung ist den Grundlagen der Eugenik gewidmet, einer sozialphilosophischen Richtung, die auf die Verbesserung des menschlichen Genpools abzielte. Diese wurde von den Nationalsozialisten in den 1930er Jahren schrittweise zu den ideologischen Postulaten des NS-Regimes umgewandelt. Pavel Štingl fährt fort:

Ausstellung „Die Neue Weltordnung“ | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

„An der Deutschen Universität, die für deutsche Studenten offen blieb, wurde das sogenannte Rassenminimum gelehrt. Das war ein vier Semester langer Kurs, in dem Rassenjuristen, Rassenökonomen und Rassenstatistiker unterrichtet haben. Wir zeigen etwa Diapositive, die mit Bruno Kurt Schulz einer der wichtigsten Rassenexperten bei seinen Vorlesungen nutzte. Er leitete in jener Zeit die Zeitschrift ‚Volk und Rasse‘, ein sehr populäres Magazin zu diesen Fragen.“

Rassenexperten blieben unbestraft

Ausstellung „Die Neue Weltordnung“ | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Nach dem Tod von Reinhard Heydrich richteten seine Berater in Prag die sogenannte Reinhard-Heydrich-Stiftung ein. In ihrem Rahmen sollten die einzelnen Institute zu einem multidisziplinären Zentrum vereinigt werden:

„Paradoxerweise plante man hier weiter die Neuordnung des Ostens, obwohl Deutschland diese Gebiete bereits schrittweise aufgeben musste. In Prag fanden noch im April 1945 Vorträge zu Rassenthemen statt, und die Institute waren weiterhin tätig. Danach sind alle Experten schnell geflüchtet. Wichtig ist zu erwähnen, dass bis auf eine Person keiner dieser Rassenexperten bestraft wurde. Sie haben den Begriff ‚Rasse‘ nicht mehr genutzt und als Forscher weiter gearbeitet. Bruno Schulz etwa starb im Alter von 96 Jahren lange nach dem Krieg. Dies sollte man als Mahnung der Geschichte verstehen.“

Ausstellung „Die Neue Weltordnung“ | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Kurz nach dem Amtsantritt Heydrichs kam auch Hitlers Architekt Alfred Speer nach Prag. Er entwarf große Städtebaupläne nicht nur für Deutschland, sondern auch für die besetzten Gebiete. Realisiert wurde das Projekt einer neuen Reichsstadt Prag aber nicht. In einer Projektion sind in der Ausstellung seine ehrgeizigen Pläne für den Umbau von Prag zu sehen:

„Man wollte in der Stadt neue Achsen und neue Straßen schaffen. So wurde schon damals die Nord-Süd-Magistrale entworfen, die in fast identischer Gestalt später in der sozialistischen Tschechoslowakei gebaut wurde. Das war aber kein Ausdruck der nationalsozialistischen aggressiven Planung, sondern eher der Moderne. Die Zeit war geprägt von der massiven Einführung von Autos und Technik in den Städten. Zudem plante man mehrere Achsen, die vom Hauptbahnhof durch die Stadt führen sollten. Zum Beispiel das Prager Repräsentationshaus wurde als Ausdruck des slawischen Jugendstils als geschmacklos betrachtet. Es sollte abgerissen und durch einen antiken Palast auf dem neuen Hybernia-Platz ersetzt werden.“

Projekt zur antike Halle am Hybernia-Platz | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Ehrgeiziges Projekt für Umbau von Prag

Ausstellung „Die Neue Weltordnung“ | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Die Autoren der Ausstellung stellen Heydrich als Workaholic dar. Ein fiktives Tagebuch mit eingetragenen Terminen seines Aufenthalts in Prag bildet so etwas wie roten Faden durch die Ausstellung. Zudem wird der enorme Einfluss hervorgehoben, den der Stellvertretende Reichsprotektor und seine Berater im Dritten Reich ausübten. Mit seinem Amtsantritt in Prag wurde Heydrich, der bis dahin Polizeichef war, auch zum Spitzenpolitiker:

„Ich mag es nicht, wenn man von ihm spricht als jemandem, der in der zweiten Reihe des Dritten Reiches gestanden wäre. Er war keinesfalls zweitrangig. Heydrich hatte sein Programm und arbeitete sehr aktiv daran. Nach dem Amtsantritt zum Stellvertretenden Reichsprotektor gehörte er zur engsten Umgebung Hitlers. Gleichzeitig leitete er aber auch die unter dem Reichssicherheitshauptamt vereinigte Polizei. Durch diese Verbindung von Polizeigewalt und Spitzenpolitik besaß er sehr große Macht. Das ist wenig bekannt, gibt aber seinem Werk eine größere Bedeutung. Seine Vision war ungeheuer, und er setzte sie von seiner schier allmächtigen Position aus um.“

Ausstellung „Die Neue Weltordnung“

Von Prag aus gab Heydrich auch die Ausarbeitung des sogenannten „Generalplans Ost“ in Auftrag. Dieser baute auf der Ermordung oder Aussiedlung von 30 bis 40 Millionen Einwohnern Tschechiens, Polens, Weißrusslands, der Ukraine und Russlands auf:

„Dieses Dokument ist zum Großteil verlorengegangen, dennoch lassen sich seine Teile anhand von Archivquellen rekonstruieren. Zu den Plänen gehörte, sieben Millionen Auslandsdeutsche in jenen Gebieten anzusiedeln, die dem Zentralreich angeschlossen werden sollten, sowie in weiteren Ostgebieten. Eine deutsche Familie sollte etwa Güter und Grundstücke von zwei bis drei polnischen oder tschechischen Familien erhalten. Auch hierzulande wurde schon mit Repatriierungen begonnen, in der Gegend um das mittelböhmische Sedlčany wurden Tschechen ihre Güter weggenommen. In Polen lief dies schon in massiver Form, mehrere Zehntausend Menschen mussten gehen, und ihre Güter übernahmen andere.“

Ausstellung „Die Neue Weltordnung“ | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Heydrich – Polizeichef, Spitzenpolitiker, Workaholic

Ausstellung „Die Neue Weltordnung“ | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Allerdings habe es sich weiterhin um Experimente gehandelt, betont Štingl. Sie dienten als Beweis, dass der Plan realistisch sei. Und der Kurator nennt noch eine Parallele:

„Der schrecklichste Beweis dessen, dass die Vernichtung von Menschen tatsächlich möglich war, ist leider der Holocaust. Hätte es den Holocaust nicht gegeben, könnten wir diese Pläne als die tobsüchtige Vision einiger Menschen verstehen, die ihren Verstand verloren hatten. Heydrich schaffte es aber von Prag aus, die sogenannte ‚Endlösung der Judenfrage‘ in grausiger Weise in Gang zu setzen.“

Ausstellung „Die Neue Weltordnung“ | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Heydrich wurde am 27. Mai 1942 in Prag bei einem Attentat durch tschechoslowakische Widerstandskämpfer schwer verletzt und starb acht Tage später. Seine außerordentliche Rolle bei der Gestaltung der NS-Ideologie wurde bei der Ausstellungseröffnung auch von Eduard Stehlík hervorgehoben. Der Historiker leitet die Gedenkstätte Lidice:

„Reinhard Heydrich war wortwörtlich Herr über Leben und Tod, nicht nur im Protektorat und im nationalsozialistischen Deutschland, sondern auch in weiteren Ländern des besetzten Europas. Die Ausstellung zeigt, wie wichtig dieser Mann – ich sage mit Absicht nicht Mensch – war, wie effektiv er handelte und was der Verlust seiner Person für das Dritte Reich bedeutet hat. Heydrich mit seiner Effizienz, Kaltblütigkeit und Arbeitswut hat dem NS-Reich in den nachfolgenden Kriegsjahren sehr gefehlt. Dadurch, dass die tschechoslowakischen Fallschirmjäger ihn töteten, haben sie mindestens mehrere Hunderttausend Menschenleben gerettet.“

Ausstellung „Die Neue Weltordnung“ | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Die Ausstellung „Die Neue Weltordnung“ findet im Karolinum, dem historischen Gebäude der Karlsuniversität in der Prager Altstadt statt (Ovocný trh 560/5, Praha 1). Sie ist bis 12. Juli 2022 täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

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