Nach 90 Jahren wiederentdeckt: Erwin Schulhoffs Oper „Flammen“ in Prag
Zum ersten Mal seit ihrer Premiere in Brno / Brünn 1932 wird die Oper „Plameny“ (Flammen) von Erwin Schulhoff (1894-1942) wieder in Tschechien aufgeführt. Am Sonntag, 12. Juni, wird in der Prager Staatsoper eine Neuinszenierung des Werks aufgeführt. Kurz vor der Premiere hat Martina Schneibergová mit den Künstlern gesprochen, die die Oper einstudiert haben.
Der 29-jährige Komponist Erwin Schulhoff begann 1923 an seiner einzigen Oper zu arbeiten. Zuvor war er aus Deutschland in seine Heimatstadt Prag zurückgekehrt. Der Schriftsteller und Übersetzer Max Brod machte ihn damals auf eine ungewöhnliche Bearbeitung des Don-Juan-Themas in einem szenischen Poem von Karel Josef Beneš (1896-1969) aufmerksam. Der Schriftsteller wurde später als Autor von psychologischen Romanen bekannt. Beneš stellte das Libretto zusammen und übergab es dem Komponisten. Schulhoff, dessen Muttersprache Deutsch war, meinte jedoch, dass er ein deutsches Libretto brauche. Deswegen übersetzte Max Brod das Libretto von Beneš ins Deutsche, und Schulhoff begann mit der Arbeit an seiner ersten Oper.
Als Schulhoff damals in die Tschechoslowakei zurückkehrte, hatte er schon einige dramatische Erlebnisse hinter sich. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie, seine Mutter erkannte früh die musikalische Begabung ihres Sohns und unterstützte ihn. Auf Empfehlung von Antonín Dvořák erhielt Schulhoff ab seinem siebten Lebensjahr Klavierunterricht – und zwar bei Jindřich Kaan z Albestů, dem Direktor des Prager Konservatoriums. Mit dem Ruf eines Wunderkinds studierte er danach in Wien, Leipzig und Köln. Der Erste Weltkrieg unterbrach jedoch dann die Karriere des Musikers. Schulhoff musste einrücken, er überstand den Krieg mit Handverletzungen. Danach lebte er in Dresden, wo er mit den Künstlern der Dada-Bewegung in Kontakt kam.
Seine einzige Oper „Flammen“ beendete Schulhoff im Dezember 1929. Er hoffte, dass sie in der Berliner Staatsoper Unter den Linden aufgeführt werde. Denn er kannte den dortigen Opernchef und Dirigent Erich Kleiber. Doch schon bald wurde es in Deutschland undenkbar, das Werk eines jüdischen Komponisten aufzuführen – und schon gar nicht eines, in dem Jazz zu hören ist und das sexuelle Szenen enthält.
Deswegen hatte die Oper unter dem tschechischen Titel „Plameny“ 1932 ihre Premiere im Landestheater in Brünn. Das Libretto musste zuvor wieder zurück ins Tschechische überführt werden. Beneš passte damals seinen Text der Musik an. Schulhoff und Beneš verband nicht nur die Arbeit an „Plameny“, sondern auch das Schicksal während des Zweiten Weltkriegs. Beneš wurde für seine Widerstandstätigkeit 1941 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Schulhoff wurde 1941 ins Internierungslager Wülzburg deportiert, wo er an Tuberkulose starb. 90 Jahre nach der Premiere in Brünn wird die Oper „Plameny“ im Rahmen der Reihe „Musica non grata“ in der Prager Staatsoper aufgeführt.
Jazzorchester hinter Bühne
Jiří Rožeň gilt als einer der talentiertesten jungen tschechischen Dirigenten. Er hat bereits mehrere renommierte Orchester geleitet. Rožeň hat „Plameny“ zusammen mit dem Orchester und Chor der Prager Staatsoper einstudiert. Das Interview mit dem Dirigenten entstand kurz vor der Premiere in der Staatsoper.
Herr Rožeň, stimmt es, dass Sie gern halbvergessene Musikwerke wieder beleben?
„Ja, das stimmt absolut. Ich genieße es sehr. Ich denke, es ist auch eine wichtige Aufgabe eines Dirigenten, in Vergessenheit geratene Musik und zeitgenössische Werke zu spielen. Beispielsweise habe ich schon sieben Mal die vierte Sinfonie von Miloslav Kabeláč (1908-1969, Anm. d. Red.) aufgeführt und hoffe, dass ich auch weitere seiner Werke in den nächsten Jahren spielen werde. Sehr gut finde ich, dass das Theater Schulhoffs ,Plameny‘ wiederentdeckt hat, denn 90 Jahre Pause sind zu lang. Allerdings ist es finanziell nicht einfach, die Oper zu inszenieren. Darum gebührt der Deutschen Botschaft in Prag ein großer Dank für die Unterstützung des Projekts. Für mich ist es eine große Freude, an der Oper zu arbeiten.“
Die Dramaturgin der Staatsoper und Musikwissenschaftlerin Jitka Slavíková sagte, die Musik von ,Plameny‘ könne nicht mit einem einzigen Begriff charakterisiert werden. Sie enthalte Impressionismus, Expressionismus, Jazz und weitere Stile. Wie sehen Sie das?
„Der Impressionismus ist schon sehr wichtig, auch der Einfluss von Igor Strawinski. Auch wenn wir über Einflüsse sprechen, ist es letztlich Erwin Schulhoff. Man kann die Einflüsse vielleicht erkennen, aber Schulhoffs Musik ist toll. Für mich als Dirigent bedeutet sie eine große Herausforderung, da die Instrumentierung sehr dicht ist. Das Orchester spielt die ganze Zeit sehr intensiv. Wenn die Sänger auf die Bühne kommen und das Orchester mit voller Kraft Fortissimo spielt, müssen die Musiker den Sängern Raum bieten, damit das Publikum alles hört und den Text versteht.“
Wie ist die Besetzung des Orchesters? Hinter der Bühne spielen noch einige Jazzmusiker. Sind es speziell zusammengesetzte Orchester?
„Genau. Es gibt ein Jazzorchester hinter der Bühne sowie drei Hauptrollen und die ,Schatten‘, die als griechischer Chor die Handlung kommentieren. Im Orchester gibt es vier Schlagzeuge, aber nicht so viele Blechinstrumente – zum Glück, denn das wäre allzu laut und heftig. Es sind also drei Trompeten, vier Hörner, natürlich auch Streicher und Holzblasinstrumente. Das Orchester ist nicht allzu groß, aber die Instrumentation ist so dicht, dass es sehr laut sein kann.“
Wie ist die Zusammenarbeit mit den drei Solisten, für die es völlig neue Partien sind?
„Ich genieße die Zusammenarbeit sehr. Wir haben hier eine sehr schöne Atmosphäre, sprechen viel über Schulhoff und über die psychologische Seite des Stücks und haben sehr gute, freundschaftliche Beziehungen.“
Helfen Sie den Solisten, die aus der Ukraine und aus Norwegen stammen, auch mit der tschechischen Aussprache?
„Tschechisch zu singen, ist für sie eine große Herausforderung. Sie bewältigen dies aber gut. Und ich schätze es sehr.“
Die Musik wurde auf das deutsche Libretto geschrieben. Musste wegen der tschechischen Sprache in der Musik ein bisschen etwas geändert werden?
„Ja schon, aber es handelt sich um Kleinigkeiten. Mir geht es darum, dass der tschechische Text möglichst natürlich wirkt.“
Regie der Oper hat Calixto Bieito…
„Das ist eine sehr inspirierende Zusammenarbeit. Er hat mir wirklich viel Platz bei den Proben gegeben. Ich konnte auch musikalisch viel proben. Das ist nicht immer der Fall. Denn manchmal, wenn der Regisseur kommt, dreht sich alles nur um die Regie und nicht um die Musik. Der Regisseur unterstützt uns aber alle. Es ist eine wirklich sehr schöne Zusammenarbeit.“
Aus dem Kopf von Don Juan
Die Partie von Don Juan singt in der Prager Inszenierung der ukrainische Tenor Denys Piwnickyi. Über den Unterschied von Schulhoffs Don Juan und Mozarts Don Giovanni sagte Piwnickyi:
„Don Giovanni ist bei Mozart eine konkrete Person, die während der Oper auf andere Personen reagiert und mit ihnen in Kontakt ist. Bei Schulhoff stellt Don Juan etwas Universelles dar. Es ist interessant, dass die anderen Personen, die in dem Stück auftreten, keine Geschichte und sogar keine Namen haben. Alles, was in ,Plameny‘ geschieht, spielt sich vermutlich im Kopf von Don Juan ab.“
Die norwegische Mezzosopranistin Tone Kummervold singt die Partie von La Morte – also des Todes. Ist es eher ein Vorteil, in einer Oper zu spielen, die das Publikum kaum kennt?
„Dies bietet eigentlich viele Möglichkeiten und ist zugleich eine große Herausforderung. Für die Darsteller ist es spannend, und es regt zur Kreativität an. Zudem sind wir viel freier, als wenn wir beispielsweise ‚La Traviata‘ spielen, bei der das Publikum alles im Voraus weiß. Für mich ist es zudem eine Herausforderung, Tschechisch zu singen. Ich arbeite sehr präzise mit der Sprache, wir haben einen tschechischen Dirigenten, der uns hilft, sowie andere Mitarbeiter der Oper, die uns beraten. Ich liebe die Musik des 20. Jahrhunderts und habe Interesse daran, die Oper weiterzuentwickeln. Es geht mir darum, dass wir nicht nur die altbewährten, wunderbaren Werke aufführen, sondern auch Neues bringen. Und diese Oper ist neu, auch wenn sie 100 Jahre alt ist. Sie verdient es, aufgeführt zu werden, denn die Musik ist fantastisch.“
Tone Kummervold betont, sie sei überrascht gewesen, wie gut die Musik für den Gesang geschrieben worden sei.
„Meine Partie ist lyrisch, aber begleitet von einem großen Orchester. Ich muss sagen, es ist sehr ,cantabile‘. Es ist eigentlich die deutsche Art des Gesangs, ich singe sonst eher im Belcanto-Stil. Die Musik für die Sänger ist nicht so schwer geschrieben worden, wie es scheinen mag, auch wenn sie das Publikum vielleicht für modern und anspruchsvoll halten dürfte.“
Die Sängerin merkt an, sie würde in Prag gerne einige weitere Musikveranstaltungen besuchen, falls sie Zeit finde zwischen den eigenen Vorstellungen.
„Ich möchte ‚Katja Kabanova‘ sehen, denn ich bin ein sehr großer Janáček-Fan. Ich habe gehört, dass die Inszenierung Erfolg hat. Zudem würde ich mir gerne Smetanas ‚Verkaufte Braut‘ anschauen, die vor kurzem Premiere hatte. Und wenn meine Familie kommt, möchten wir eine Ballettvorstellung besuchen.“
Die Premiere der Neuproduktion von Erwin Schulhoffs Oper „Plameny“ findet am Sonntag um 19 Uhr in der Staatsoper statt. Es gibt noch Restkarten.