Erste Klimaklage in Tschechien: Mehr Engagement vom Staat gefordert

Aktivisten und Unterstützer der Klimaklage auf dem Prager Friedensplatz

Die Organisation Klimatická Žaloba – zu Deutsch Klimaklage – hat den tschechischen Staat und vier Ministerien verklagt. Die Anklagepunkte: Die Regierung tue nicht genug, um gegen die Klimakrise vorzugehen und die tschechische Bevölkerung zu schützen. Vor zwei Wochen wurde in Prag das Urteil verkündet.

Happening auf dem Friedensplatz | Foto: Julian Faik,  Radio Prague International

Am Morgen des 15. Juni versammelten sich die Aktivisten und Unterstützer der Klimaklage auf dem Prager Friedensplatz (Náměstí Míru). Mit Kreide malten sie eine riesige grüne Erdkugel auf das Pflaster, genau vor der Kirche St. Ludmilla. Was die Protestierenden alle verbindet, ist die Angst, dass die Weltgemeinschaft und der tschechische Staat nicht genug tun, um diese schöne Erde zu erhalten. Arne Springorum ist einer der Mitbegründer der Organisation Klimatická Žaloba:

„Es geht um die tschechische Klimaklage, die ich Ende 2018 initiiert habe. Im Frühjahr 2019 rief ich dafür einen eingetragenen Verein ins Leben. Ab Herbst 2019 übernahmen dann andere Menschen die Arbeit, wofür ich sehr dankbar bin. Vor gut einem Jahr ist die Klage ans Gericht übergeben worden. Heute meldet sich der tschechische Staat zum ersten Mal dazu, und auf unsere Initiative hin gibt es eine öffentliche Anhörung.“

Alexandra ist eine der Aktivisten. Mit kreideverschmierten Händen erläutert sie, wie Klimatická Žaloba auf die Idee kam, sich an ein Gericht zu wenden

„Diese Idee ist eigentlich noch gar nicht so alt. Wir wurden von der erfolgreichen Klimaklage in den Niederlanden inspiriert. Es gab auch wirksame Klagen in Irland und in Deutschland. Unsere Arbeit haben wir noch vor der Corona-Pandemie begonnen. Seit drei Jahren betreiben wir Crowdfunding und suchen nach Sponsoren, um dieses Projekt zu finanzieren und um damit die Anwälte zu bezahlen, die die Klage vorbereiten. Denn so etwas hat es in Tschechien noch nie gegeben. Wir sind die Ersten, die auf diese Weise den tschechischen Staat verklagen.“

Vom Happening zur Urteilsverkündung

Stadtgericht in der Slezská-Straße,  Prag | Foto: Wadim Schiwotowskyj,  Panoramio,  CC BY 3.0

Nach dem Happening auf dem Friedensplatz ging es dann weiter zum Stadtgericht in der Slezská-Straße. Dort wurde das Urteil verkündet. Es ist ein Präzedenzfall der tschechischen Rechtsgeschichte. Eine Gruppe von Individuen sowie eine Gemeindeverwaltung verklagen den Staat sowie die Ministerien für Umwelt, für Landwirtschaft, für Verkehr als auch für Industrie und Handel. Zur Debatte stand, ob durch die Versäumnisse der Regierung fundamentale Menschen- und Umweltrechte verletzt werden. Das wäre verfassungswidrig. Gerichtlich vertreten wurde der Verein durch die Anwaltskanzlei Frank Bold. Laura Otýpková ist die Hauptanwältin beim Verfahren und leitete die Anklage:

„Es handelt sich um einen Verwaltungsprozess, das heißt, dass er das öffentliche Recht betrifft. Es geht also darum, dass gewisse Rechte verletzt wurden. Wir konnten keine Anklage gegen eine bestimmte Entscheidung erheben, weil es keine konkreten Entscheidungen vonseiten des Staates gibt. Stattdessen wenden wir uns gegen eine allgemeine Inaktivität der Regierung. Die Anklage basiert auf verschiedenen Verpflichtungen des Staates gegenüber seinen Bürgern, die sich aus den Menschenrechten, dem Pariser Abkommen und den nationalen Umweltrechten zusammensetzen.“

Happening auf dem Friedensplatz | Foto: Julian Faik,  Radio Prague International

Unter den Anklägern befand sich auch die mittelböhmische Gemeinde Svatý Jan pod Skalou / St. Johann unter dem Felsen. Auch das gab es hierzulande noch nie in dieser Form, dass ein Dorf den Staat wegen Untätigkeit anzeigt. Bürgermeister Jiří Bouček:

„Der Hauptgrund ist der schlechte Zustand der Natur in unserer Umgebung. Aber es ging uns auch darum, die Initiative der jungen Leute zu unterstützen. Sie sind unzufrieden mit der aktuellen Klimapolitik und dem geringen öffentlichen Bewusstsein für dieses Thema.“

Auch in dem kleinen Ort unweit von Prag zeigen sich die Folgen der Klimakrise. Dies sei ein Grund gewesen, nicht länger untätig herumzusitzen. erläutert der Bürgermeister:

Illustrationsfoto: ddzphoto,  Pixabay,  Pixabay License

„Es gibt verschiedene Veränderungen. Aber wir haben es besonders während der Dürre im Jahre 2018 gespürt. Damals sank der Grundwasserspiegel enorm ab. Viele Bäume vertrockneten, und die Brunnen waren leer“, erläutert der Bürgermeister weiter.

Vor Gericht sind solche Aussagen besonders wichtig. Dazu Anwältin Otýpková:

„Unter den Anklägern befindet sich zum Beispiel auch eine Bürgervereinigung mit etwa 300 Mitgliedern. Sie besteht aus verschiedenen Gruppen jüngerer und älterer Leute, also Studenten, Lehrern oder Doktoren. Aber einige Kläger treten auch als Einzelpersonen auf, weil sie unmittelbar von der Klimakrise betroffen sind. Zum Beispiel leiden einige Menschen an Angstzuständen, die durch die Klimakrise hervorgerufen wurden. Kläger aus der Forst- oder Landwirtschaft führen zudem an, dass sich ihr Land verändert hat und an Wert verliert. Für viele Betriebe wird es unmöglich, ihre Geschäfte weiterzuführen. Letzten Endes haben wir dem Gericht Beweise geliefert, die es davon überzeugen sollen, dass die Klimakrise Menschen bedroht und ihre Rechte verletzt.“

„Viele Bäume vertrockneten, und die Brunnen waren leer"

Laura Otýpková | Foto: Tschechisches Fernsehen

Das Prager Stadtgericht gab den Klägern in vielen Punkten nun Recht. Für die Klimabewegung ist das ein großer Erfolg. Die Anwältin erklärt, was das Gericht zu dieser Entscheidung bewegt hat.

„Nach unserem Verständnis war das Recht auf eine gesunde Umwelt eines der Hauptargumente, die das Gericht überzeugt haben. Wir sind sehr glücklich, dass das Gericht eine Verbindung sieht zwischen Umweltschutz, als eine Sache des öffentlichen Interesses, und dem Recht auf eine gesunde Umwelt für ein menschenwürdiges Leben. Denn nur, wenn diese beiden Dinge miteinander verbunden werden, hat die Klage auch eine Chance. Die Umwelt hat keine eigene Stimme, sie kann sich nicht an die Judikative wenden. Darum ist es toll, dass das Gericht anerkennt, dass Menschen ein Teil der Umwelt sind und beide in einer Wechselbeziehung zueinander stehen.“

Wie Otýpková berichtet, bekamen die Kläger zudem indirekte Unterstützung aus Deutschland. Denn die beiden Rechtssysteme seien sich sehr ähnlich.

Happening auf dem Friedensplatz | Foto: Julian Faik,  Radio Prague International

„Wir zogen viel Inspiration aus dem Urteil der deutschen Klimaklage, das zwei Wochen, nachdem wir unsere Klage eingereicht hatten, ausgesprochen wurde. Dies gab uns Hoffnung. Und es scheint, als hätte das tschechische Gericht sich auch von seinen deutschen Amtskollegen inspirieren lassen. Tatsächlich erwähnte es in seiner Stellungnahme sogar das deutsche Urteil“, so die Frau vom Fach.

Dabei habe die Organisation, die hinter der Klimaklage steht, einen besonders wichtigen Sieg verbucht. Ab sofort müsse nämlich der CO2-Ausstoß gesetzlich geregelt werden.

Illustrationsfoto: Jana Sabo,  System Change not Climate Change,  Flickr,  CC BY-SA 2.0

„Die Ministerien müssen sich jetzt aktiv darum bemühen, den Klimawandel abzuschwächen. Halten sie sich nicht daran, dann verletzten sie individuelle Menschenrechte. Das ist ein Meilenstein für die Menschenrechte in Tschechien. Aber die Auflagen des Gerichts sind nicht so streng, wie wir es uns wünschen. Das Stadtgericht hat die Ministerien dazu verpflichtet, die Treibhausgase um 55 Prozent bis 2030 zu reduzieren. Das entspricht dem aktuellen Ziel der Europäischen Union. Wir sind jedoch der Meinung, dass die Eindämmung noch schneller und energischer geschehen muss, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erfüllen“, erläutert Otýpková.

Der zweite Anklagepunkt wurde vom Gericht zurückgewiesen. Er besagte, dass der tschechische Staat nicht genügend Anpassungsmaßnahmen an die Klimakrise schaffe, um seine Bevölkerung zu schützen. Die Anwältin weiß, wie es nun weitergeht:

Illustrationsfoto: Mike Timberlake,  Flickr,  CC BY-NC-ND 2.0

„Jetzt ist das Urteil in Kraft getreten. Die Ministerien, aber auch die Kläger können zwar in Berufung gehen, wenn sie damit nicht zufrieden sind. Aber das Urteil ist rechtskräftig. Auch wenn es angefochten wird, bleibt es zunächst bestehen. Das bedeutet, dass die Ministerien dazu verpflichtet sind, dem nachzukommen, und zwar zeitnah. Sie müssen nun eine Strategie entwickeln, um den Klimawandel abzumildern, und das so rasch wie möglich.“

Autor: Julian Fait
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