Jugendstil-Kunst: Mit dem Ur-Enkel des Malers durch die große Mucha-Ausstellung in Prag
Vor allem wegen seiner Plakate und dekorativen Werke ist der Maler Alfons Mucha weltbekannt. Eine Ausstellung in Prag zeigt derzeit alle Aspekte von Muchas Werk und Leben. Die Schau mit über 200 Stücken aus der Familiensammlung der Muchas sollte eigentlich im Oktober enden. Nun wurde sie bis Ende Dezember verlängert.
Alfons Mucha wollte nie exklusive Kunstwerke schaffen. Vielleicht ist gerade deswegen sein Werk so beliebt. Das zeigt sich auch in der Ausstellung „Mucha, die Familiensammlung“ in Prag. Wegen des Besucherandrangs wurde sie bis Ende des Jahres verlängert. Ur-Enkel Marcus Mucha führt durch die Räume. Der 42-jährige Literaturwissenschaftler ist Geschäftsführer der Mucha-Stiftung. Er wurde in England geboren, lebt aber seit 2016 in Tschechien. Über die Ausstellung sagt er:
„Wir haben versucht, die Lebensgeschichte von Alfons Mucha als Tscheche, Europäer und Weltbürger nachzuerzählen. Er hatte all diese Identitäten auf einmal. Zudem wollten wir seinen Vorstellungen vom künstlerischen Schaffen nachkommen. Er sagte: ‚Ich wollte nie Kunst für die Salons der Elite machen, sondern für alle.‘ Zudem meinte er: ‚Ich wollte nie, dass meine Kunst zerstört, sondern dass sie Brücken bildet‘.“
Die rund 230 Ausstellungsstücke stammen aus der Sammlung der Familie. Dazu gehören neben Kunstwerken auch zahlreiche Fotos. Es seien einige Schätze dabei, die bisher noch nicht gezeigt wurden, betont Marcus Mucha. In sechs Etappen werden Leben und Werk des Künstlers den Besuchern nähergebracht. Die erste Station zeigt Alfons Muchas Weg aus seinem Geburtsort Ivančice / Elbenschütz in Mähren nach Paris.
„Noch bevor er gehen konnte, war Alfons bereits in der Lage zu zeichnen. Sein liebstes Spielzeug war ein Bleistift, den seine Mutter an einem Band um seinen Hals gehängt hatte. Er krabbelte also herum und zeichnete. Die früheste Zeichnung in unserer Sammlung machte er mit acht Jahren. Später ging er zunächst nach München und dann nach Paris, um sich als Künstler zu üben. In Paris verdiente er mit Illustrationen für Bücher genügend Geld, um zu überleben“, so Marcus Mucha.
Mit Gauguin unter einem Dach
Doch das Geld reichte nicht, um sich eine eigene Wohnung zu leisten. Deswegen teilte sich Mucha ein Zimmer mit dem französischen Maler Paul Gauguin. Einige Fotos in der Ausstellung zeigen die beiden. Zwei der Aufnahmen würden ihm besonders gefallen, sagt der Ur-Enkel und erzählt die Geschichte dazu:
„Gauguin und Mucha waren damals zu arm, um Modelle zu bezahlen. Deswegen standen sie jeweils für den anderen Modell und machten dazu Fotos. Auf diesem hier sitzt Paul Gauguin, auf dem daneben steht er. Und Alfons Mucha hat für eine Buchillustration beide Aufnahmen in ein Bild integriert.“
1887 war Mucha nach Paris gegangen. Acht Jahre später änderte sich seine Lage dort aber schlagartig. Und zwar wegen eines Auftrags für die Schauspielerin Sarah Bernhardt. Die Erzählung der Familie dazu geht so:
„Sarah Bernhardt, die damals die weltweit berühmteste Schauspielerin war, hatte ein neues Theaterstück. Es hieß ‚Gismonda‘, der Kartenverkauf lief aber nicht gut. Sie dachte, das läge am Plakat. Kurz vor Weihnachten 1894 bat sie die Druckerei um ein neues Poster. Kurz vor den Feiertagen waren aber die meisten infrage kommenden Künstler schon nicht mehr in Paris. Dieser unbekannte Alfons Mucha war jedoch gerade in der Druckerei. Er zeichnete schnell einen Entwurf. Der Drucker bezeichnete diesen als grauenhaft und schickte Alfons weg. Weil aber keine andere Möglichkeit bestand, brachte der Drucker die Bilder zu Sarah Bernhardt. Alfons ging wiederum laut seinen Erzählungen nach Hause und dachte, er habe seine Erfolgschancen verspielt. Dann sah er an seiner Tür einen Zettel mit der Mitteilung: ‚Kommen Sie zum Théâtre de la Renaissance, Anweisung von Madame Sarah‘. Obwohl er Horror davor hatte, ging er dorthin und klopfte schüchtern an die Tür. Sarah Bernhardt selbst öffnete, umarmte ihn und sagte: ‚Herr Mucha, Sie haben mich unsterblich gemacht‘.“
Noch auf der Türschwelle unterzeichnete Alfons Mucha einen Sechsjahresvertrag, dieser machte ihn zum künstlerischen Leiter der Schauspielerin. Mucha wurde verantwortlich für Sarah Bernhardts Bühnenbilder sowie die Entwürfe von Kostümen, Schmuck und Plakaten…
„Was Sarah Bernhardt erkannt hatte, aber der Drucker nicht, war die Geburt des Jugendstils. Das Innovative von Alfons Mucha war zum einen, dass er raffinierte Naturfarben für das Poster gewählt hatte und nicht – wie die meisten anderen Künstler zu dieser Zeit – sehr kräftige Industriefarben. Zum anderen legte er zwei Plakatblätter aneinander, sodass es schien, als ob die berühmteste Schauspielerin der Welt auf den Straßen in Paris direkt neben einem stehe“, schildert Marcus Mucha.
Die Anstellung bei Sarah Bernhardt machte Mucha selbst weltbekannt. Auftraggeber rissen sich um ihn. In der Ausstellung kann man dabei eintauchen in die Entstehung einiger Werke des Künstlers. So zum Beispiel im Fall der „Madonna der Lilien“ von 1905, wie der Ur-Enkel zeigt:
„Hier ist eine Fotostudie, daneben befindet sich eine Zeichnung. Und zum Schluss hängt hier das fertige Gemälde, auf dem dasselbe Mädchen zu sehen ist. Die Arbeiten gehen auf den Auftrag einer Kirche in Jerusalem zurück, die ein Madonnenbild wollte. Das Gemälde war praktisch die letzte Studie, denn es sollte eine Wandmalerei werden. Letztlich entschied sich die Kirche gegen das Bild, daher haben wir es in unserer Sammlung. Das Interessante daran ist, dass das Mädchen, das in tschechischer Tracht gekleidet ist, genau wie meine Großtante Jaroslava aussieht. Komischerweise entstand das Bild jedoch fünf Jahre, bevor sie geboren wurde.“
Panslawische Ideen
Angesichts seiner herausragenden Stellung in der Pariser Künstlerszene war Alfons Mucha natürlich auch an der Weltausstellung im Jahr 1900 in der Stadt beteiligt. Als Bürger der k. u. k. Monarchie gestaltete er den Pavillon von Bosnien-Herzegowina und schuf ein Plakat für Österreich-Ungarn. Marcus Mucha bezeichnet die Zeit als Übergangsperiode für seinen Ur- Großvater:
„Alfons war trotz seines Wohlstandes, seines Ruhms, seiner vielen berühmten Freunde und der Partys in seinem Atelier nicht glücklich. Aber er wusste nicht, woher das kam. Als er sich auf einer Studienreise in Bosnien-Herzegowina befand, wurde ihm bewusst, dass er sich zu den südslawischen Völkern hingezogen fühlte. Sie kamen ihm ähnlich vor wie die Menschen aus seiner südmährischen Heimat. Und er dachte, dass diese Völker unterdrückt wurden, während er Ruhm und Wohlstand genießen konnte. Daher versuchte er in der nächsten Phase seines Lebens, Wege zu finden, um die Slawen in ihrem Freiheitswunsch zu bestärken und sich für einen unabhängigen tschechoslowakischen Staat einzusetzen.“
Es war der Panslawismus, der Alfons Mucha gepackt hatte. 1904 fuhr er erstmals in die USA, um Geld für seine Ziele zu sammeln. Schon im Hafen von New York wurde er mit einem lebensgroßen Plakat seiner selbst begrüßt. Und Kunstdrucke dieses Plakates verkauften die dortigen Zeitungen für fünf Cent. Alfons Mucha, der Weltbürger also. Der Maler schuf auch in den Vereinigten Staaten seine berühmte dekorative Kunst. Doch die Gewinne flossen in ein neues Projekt: den Gemäldezyklus Slawisches Epos. Mit den Arbeiten daran begann er nach der Rückkehr in seine Heimat im Jahr 1910. Fertiggestellt waren die 20 Bilder aber erst 1928. Die großformatigen Gemälde sind ein Werk für sich und werden derzeit im Schloss von Moravský Krumlov / Mährisch Kromau gezeigt.
In der Ausstellung in Prag führt eine Treppe hoch auf eine Empore, die einen Abstecher bietet zu diesem Thema. Es ist eine digitale Installation. Außerdem weist ein Video in die Zukunft. Denn am Prager Wenzelsplatz soll im sogenannten Savarin-Palais ein riesiger Raum entstehen, der ein dauerhaftes Zuhause bietet für das Slawische Epos. Alfons Mucha hatte ein eigenes Museum einst zur Bedingung gemacht, als er den Gemäldezyklus Prag vermachte. Die Stadt ist jedoch jahrzehntelang nicht darauf eingegangen. Für die Umgestaltung des Savarin-Palais wurde nun der angesehene britische Architekt Thomas Heatherwick gewonnen. Marcus Mucha ist schon jetzt begeistert von dem, was entstehen soll:
„Normalerweise steht zunächst das Museum, und dann werden die Kunstwerke in die Räume eingepasst. Wir haben jedoch einen der besten Architekten der Welt gewinnen können, der das Gebäude rund um die Gemälde entwirft. Das ist für uns wirklich aufregend.“
Freimaurer und Philosoph
Doch Alfons Mucha war nicht nur tschechischer Patriot, sondern hatte auch eine spiritistische Ader und war an unterschiedlichen religiösen Traditionen interessiert. Zugleich trat er 1898 einer Freimaurerloge bei und brannte für den wissenschaftlichen Fortschritt. Diese wenig bekannte Seite Muchas wird in einem weiteren Teil der Ausstellung verdeutlicht. Marcus Mucha weist auf ein interessantes Stück der Schau hin, es sind Illustrationen zum Vaterunser.
„Er nahm einen Vers des Gebets und legte es auf seine Art aus. In dieser Illustration hat er dies zusammengefasst. Da wir auch die Studien dazu haben, können die Ausstellungsbesucher nachvollziehen, wie sich die Idee entwickelt hat. Interessant daran ist eine Art von Mischmasch aus christlichem und freimaurischem Symbolismus. Alfons war zu Ende seines Lebens sogar der Kopf der tschechoslowakischen Freimaurer“, so der Ur-Enkel.
Nicht zuletzt sah Mucha seine Kunst als Mittel, um seine philosophischen Vorstellungen zu verbreiten – vor allem im Sinne der Friedensbewahrung. In seinem letzten, unvollendeten Werk „Die drei Zeitalter“ tritt dies besonders zutage. Demnach geht die Menschheit zunächst durch das Zeitalter der Liebe, dann durch das Zeitalter der Vernunft, um zum Schluss ins Zeitalter der Weisheit zu gelangen. Marcus Mucha zu dem Triptychon, an dem sein Ur-Großvater ab 1936 gearbeitet hat:
„Im Zeitalter der Weisheit sind die besten Seiten der Liebe und der Vernunft zusammengefügt. Alfons plante dies als ein weiteres Triptychon mit großen Gemälden. Doch dann marschierte Hitler in Prag ein – und Alfons gehörte zu den ersten zehn Menschen hier, die von der Gestapo verhört wurden. Während des Gefängnisaufenthalts holte er sich aber eine Lungenentzündung. Er starb kurz danach an den Folgen der Erkrankung, nur wenige Tage vor seinem 79. Geburtstag.“
Die Familie konnte erwirken, dass Alfons Mucha auf dem Nationalfriedhof beigesetzt wurde. Zur Trauerfeier ließen die deutschen Besetzer zwar nur die engsten Angehörigen zu, doch es kam anders…
„In einer der letzten Aktionen öffentlichen Widerstands säumten über 100.000 Tschechen die Straßen, um sich von dem Künstler von nationalem Rang zu verabschieden“, sagt Marcus Mucha.
Die Ausstellung „Mucha, die Familiensammlung“ ist in der Wallenstein-Reithalle auf der Prager Kleinseite zu sehen. Sie läuft noch bis 31. Dezember dieses Jahres. Die Öffnungszeiten sind täglich 10 bis 18 Uhr, wobei am Samstag die Tore erst um 20 Uhr schließen.