Preciosa – Glasperlen, Bijouterie und Kristall aus Böhmen

Vielleicht hat keine andere tschechische Firma in ihrem Segment eine solche Weltmarktposition wie Preciosa. Das Unternehmen aus dem nordböhmischen Jablonec nad Nisou / Gablonz an der Neiße stellt vor allem gläserne Perlen und weitere Bijouterie her, aber auch Luxus-Glasprodukte. Preciosa knüpft an die böhmisch-deutsche Tradition der Glasfertigung im Isergebirge an.

Böhmische oder tschechische Glasperlen sind ein Begriff wie deutsche Autos oder französischer Käse. Dies sagt Petr Puš, der Verkaufsleiter von Preciosa, dem wohl größten Bijouterie-Hersteller in Europa. Die Firma hat ihren Sitz in Jablonec nad Nisou in Nordböhmen. Der absolut größte Anteil der Produktion seien die Perlen, betont Puš im Interview für Radio Prag International:

„Tschechien ist eines von insgesamt nur drei Herstellerländern auf der Welt. Aber an den Umfang unseres Sortiments reicht kein anderes Unternehmen heran. Die Produktion bei uns ist einzigartig. Und sie knüpft an die industrielle Fertigung von Glasperlen und weiterer Bijouterie an, die hier im Isergebirge bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts besteht. Bei der Fortführung der Tradition sind wir sehr erfolgreich. Wir verkaufen in 70 Länder der Welt, und durch Reexporte kommen mehrere Dutzend weitere Staaten hinzu. Unsere Glasperlen findet man wortwörtlich auf der ganzen Welt.“

Die beiden anderen Herstellerländer sind übrigens Japan und vor allem China. Aber wie kommt eigentlich das Loch in die Perle? Der Verkaufsleiter erklärt das Herstellungsverfahren…

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„In einem Glasofen werden Glasröhrchen gebrannt. Die schneidet man dann in großen Maschinen auf die gewünschte Größe zurecht. Und die Schnittprodukte werden so geschliffen, dass eine Perle entsteht. Es handelt sich also um eine Massenware. Wir stellen rund 3000 Tonnen Glasperlen im Jahr her, das sind viele Milliarden Stück. Bei uns sind 22 Größen möglich, angefangen bei einem Durchmesser von anderthalb Millimetern bis hin zu acht Millimetern“, so Puš

Doch die Diversifizierung geht noch weiter, denn bei Preciosa können die Perlen 80 unterschiedliche reine Farben haben – nicht dazugerechnet die vielen Kombinationsmöglichkeiten.

Wie Petr Puš betont, stelle die Billigkonkurrenz aus Ostasien keine so gleichmäßig geformten Glasperlen her wie sein Unternehmen. Dies hätten Studien gezeigt. Ein weiterer Qualitätsunterschied liege im Verfahren für die Farbgebung, erläutert der Marketingchef:

„Die anderen Produzenten fertigen nur wenige unterschiedliche Glaskörper und färben nachher meist nur die Oberfläche der Perlen. Bei uns befinden sich hingegen die vielen unterschiedlichen Farben bereits im Glas selbst. Wenn man also eine Perle der Konkurrenz zerkleinert, dann erhält man Kristallscherben, die nur an der Oberfläche die jeweilige Farbgebung haben. Wir stellen zwar auch solche Produkte her, aber der Schwerpunkt liegt auf Perlen aus farbigem Glas. Und die verblassen nicht, sie bleiben lange Jahre glänzend und trotzen dabei auch Schweiß und Chemikalien. Das Glas ist einfach weiterhin schön.“

Von Venedig nach Böhmen

Museum für Glas und Bijouterie in Jablonec | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Preciosa beruft sich dabei auf eine mehrere hundert Jahre alte Tradition. Petr Novotný ist Hauptkurator des Museums für Glas und Bijouterie in Jablonec und spricht über die Anfänge in den Böhmischen Ländern:

„Die ältesten Erwähnungen davon, dass hierzulande so etwas wie Bijouterie hergestellt wurde, stammen aus dem 13. Jahrhundert. Das wiederum, was heute als Schmuck aus Jablonec gilt, tauchte erstmals an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert auf. Zuvor war in Italien, konkret in Venedig, damit begonnen worden, in großer Menge Nachbildungen von Edelsteinen – besonders Diamanten – zu fertigen. Dieses Wissen um den Produktionsprozess gelangte auch ziemlich schnell nach Böhmen. Zuerst kam es nach Turnov. Und spätestens ab den 1720er Jahren wurden Bijouterie-Steine auch in Jablonec hergestellt.“

Während der Zeit des Biedermeiers in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Glasschmuck zu einem weltweiten Handelsgut…

Foto: Biedermaier - Kunst und Kultur in den böhmischen Ländern 1814 - 1848' / Museum für angewandte Kunst in Prag und Galerie,  s.r.o.

„Dann kam die Zeit ab 1860, als sich die österreichische Wirtschaft öffnete und sich Ausländer ansiedelten. Diese Zeit der Liberalisierung machte aus Jablonec ein weltweites Handelszentrum. Spätestens ab den 1880er Jahre bürgerte sich der Begriff ‚Gablonzer Ware‘ ein – und jeder wusste damals, was damit gemeint war“, so Novotný.

Die Glasperlen aus Jablonec erlebten dann vor allem in den Jahren unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg einen Boom. Doch der Industriezweig litt Anfang der 1930er Jahre unter der Weltwirtschaftskrise, und auch die Besetzung des Sudetenlandes durch Hitler-Deutschland äußerte sich negativ, weil die „Gablonzer Ware“ in den USA, Kanada und Großbritannien boykottiert wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die deutschsprachige Bevölkerung aus der Tschechoslowakei vertrieben – unter ihnen auch viele Glasindustrie-Unternehmer. Nach der kommunistischen Machtübernahme entstand schon 1948 die Firma Preciosa – und zwar durch den Zusammenschluss mehrerer kleiner und großer Glashütten. Das Unternehmen konnte praktisch sofort an die deutsch-böhmische Bijouterie-Fertigung anknüpfen.

Indien, Afrika – und die Ukraine

Der heutige Konzern Preciosa ist in Privathand. Eigentümer sind der Unternehmer Ludvík Karl, seine Frau Lucie und die beiden Söhne Jiří und Ludvík. Die Preciosa Group besteht dabei aus mehreren Einzelunternehmen, die jeweils für unterschiedliche Produkte zuständig sind. Neben den Glasperlen sind dies unter anderem Kronleuchter, Glaskorken oder auch Steine aus Zirkonia. In den zurückliegenden Jahren hat zum Beispiel der Bereich der Luster einen Boom erfahren. Gerade die arabischen Scheiche sind begeistert von den Kronleuchtern. So fertigte man 2019 eine große leuchtende Kristall-Installation für das Hotel Mandarin Oriental Jumeira in Dubai.

Doch am weitesten über die Welt verbreitet sind die Glasperlen. Vertriebsleiter Petr Puš:

„Unser größter Markt ist eindeutig Indien, und das schon seit langem. Zudem verkaufen wir weiterhin viel in die Ukraine. Auch Afrika mit dem Zentrum Südafrika ist ein großer Markt. Unter den arabischen Ländern ist es vor allem Ägypten, hinzu kommt die Türkei. Dies sind Kreuzungspunkte, von denen aus unsere Perlen weiterwandern. Aber auch die USA sowie Lateinamerika nimmt viel von unserer Ware ab – Mexiko, Guatemala und Kolumbien.“

In vielen der Länder wird Kleidung gefertigt, die mit den Glasperlen verziert wird. Das ist aber auch der Grund, warum Europa heutzutage kaum mehr ein Markt für Preciosa ist. Nur noch im Hobby-Bereich besteht hier die Nachfrage.

Dekoration - Jaguarmaske,  der Huichol-Stamm aus Mexiko | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Interessant ist indes, dass die Perlen bei vielen indigenen Völkern landen – besonders in Afrika, Asien und in Nord- und Südamerika. Petr Puš hat dies vor einigen Jahren mal in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks erläutert:

„Die Massai, die Samburu oder weitere afrikanische Völker und die Inder kaufen unsere Glasperlen, weil sie diese selbst tragen. Das heißt, für sich selbst nutzen sie Qualität, wohingegen sie die Souvenirs für Touristen aus den chinesischen Nachahmungen fertigen.“

Preciosa beschäftigt heute insgesamt 3800 Menschen. Wirtschaftsergebnisse veröffentlichen die Eigentümer meist nicht. Laut einer Liste der größten Familienunternehmen in Tschechien, die das Magazin Forbes im Mai 2019 veröffentlicht hat, beläuft sich der Jahresumsatz des Konzerns auf 2,2 Milliarden Kronen (91 Millionen Euro).

Aktuell kämpft man aber mit den hohen Energiepreisen.

Preciosas Werkstätten | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

„Die Glasindustrie ist sehr energieintensiv. Und wir haben kaum Möglichkeiten, in diesem Bereich einzusparen. Denn Glas wird mithilfe von Daueraggregaten hergestellt, die rund um die Uhr laufen. Diese können wir nicht am Abend abstellen und am Morgen wieder einschalten. Die hohen Gaspreise bedrohen uns wirtschaftlich, weil arme Länder unsere größten Märkte bilden“, sagte der Marketingchef im August im Interview für Radio Prag International.

Selbst ein Umzug der Produktion in ein anderes Land ist laut Petr Puš eine Überlegung. Zugleich äußerte er die Hoffnung, dass es so weit nicht kommen müsse:

„Wir wollen Optimisten sein, denn die industrielle Glasfertigung gibt es – wie gesagt – seit Mitte des 19. Jahrhunderts in unserer Gegend. Und sie hat schon alles Mögliche überstanden: zwei Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise und die Kommunisten. Wir glauben daran, dass wir auch die aktuelle Lage meistern.“

13
50.72736632200955
15.167253395586982
default
50.72736632200955
15.167253395586982