Tschechien will kleine modulare Reaktoren bauen – heftige Kritik aus Deutschland und Österreich
Die tschechische Politik setzt weiter auf die Atomkraft. Am Mittwoch ist man zum Beispiel dem Bau eines fünften Reaktorblocks im AKW Dukovany ein Stück näher gekommen. Da lief die Bewerbungsfrist für die interessierten Firmen ab, drei Angebote sind eingereicht worden. Ein neuer Plan ist zudem, hierzulande sogenannte kleine modulare Reaktoren zu bauen. Im September kündigte Premier Fiala an, dass in einem Pilotprojekt eine erste solche Anlage beim AKW Temelín entstehen solle. Das hat zu scharfer Kritik aus den Nachbarländern Österreich und Deutschland geführt.
Auch in Tschechien will man die neueste Entwicklung im Bereich der Atomkraft nutzen. Dieses sind kleine modulare Reaktoren – oder auf Englisch Small Modular Reactors, kurz: SMR. In Kanada oder den USA werden entsprechende Anlagen bereits geplant.
Der erste tschechische SMR soll am bestehenden AKW Temelín in Südböhmen entstehen, dem jüngeren der beiden Meiler in Tschechien. Laut Premier Petr Fiala (Bürgerdemokraten) lässt sich dies bis 2032 umsetzen.
„Das Projekt eines kleinen modularen Reaktors ist einer der Schritte, um die tschechische Energieproduktion unabhängig und nachhaltig zu machen“, sagte der Ministerpräsident in der zweiten Septemberhälfte.
Da unterschrieben Fiala, der südböhmische Kreishauptmann Martin Kuba (Bürgerdemokraten) und Daniel Beneš, der Generaldirektor des teilstaatlichen Energiekonzerns ČEZ, einen Vertrag über die Gründung des angedachten South Bohemian Nuclear Park – also des Südböhmischen Nuklearparks.
Kleine modulare Reaktoren sollen maximal so leistungsfähig sein wie ein Reaktorblock eines gängigen AKWs. Die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) definiert SMR als Kernkraftwerke mit bis zu 300 Megawatt Leistung. Angeblich sind sie schneller zu bauen und zudem sicherer als die großen Meiler – so zumindest präsentiert dies die Atomindustrie.
Keine Diskussion mit dem benachbarten Ausland
Dass Tschechien nun eine solche Anlage plant, hat in Österreich und Deutschland für Unruhe gesorgt – und auch für Kritik. Florian Siekmann ist europapolitischer Sprecher der Grünen im bayerischen Landtag. Im Interview für Radio Prag International bemängelt er, dass die tschechische Regierung zuvor nicht die Diskussion mit dem benachbarten Ausland gesucht hat:
„Das größte Problem für uns war erst einmal, dass wir von dem Vorhaben völlig überrascht worden sind. Es wurde bei einem Forum der Partnerregionen verkündet, ohne dass man vorher mit den Partnern in den Grenzregionen gesprochen hätte. Die Delegation, die damals vor Ort war, hat sich überrumpelt gefühlt. Und das Ganze hat mehr Fragezeichen hinterlassen als Fragen beantwortet.“
Das geplante Mini-AKW in Temelín soll dabei nur der Anfang sein. So denkt der Energiekonzern ČEZ an fünf weitere solche Anlagen – und zwar an Orten, an denen heute noch Braunkohlekraftwerke stehen, wie etwa Prunéřov / Brunnersdorf in Nordböhmen oder Dětmarovice / Dittmarsdorf in Nordmähren. Wie Konzernchef Beneš verriet, könnte seinen Vorstellungen nach sogar in jedem Kreis ein kleiner Reaktor stehen.
Auf österreichischer und deutscher Seite hält man dies jedoch für ein Spiel mit dem Feuer. Der oberösterreichische Umweltlandesrat, Stefan Kaineder, sagte beispielsweise vergangene Woche, dass sich die Atomlobby wieder einmal als vermeintlich sichere, saubere und billige Lösung für die Energiewende präsentiere. Damit zeichne sie „ein trügerisches Bild“, so der Grünen-Politiker. Florian Siekmann weist darauf hin, dass die kleinen modularen Reaktoren bisher vor allem auf dem Papier existieren würden, es aber noch nicht einmal konkrete Bautypen gebe. Außerdem zweifelt er sehr an dem Versprechen größerer Sicherheit durch geringere Größe.
„Oft wird davon ausgegangen, dass die kleinen modularen Reaktoren sicherer seien. Das ist aber überhaupt nicht garantiert, sondern im Moment erst noch ein hypothetisches Konzept. Je nachdem, mit welchem Kühlmittel man sie betreibt – das soll unter Umständen nicht mehr Wasser sein, sondern eine Salzschmelze –, hofft man beim Auftreten eines Lecks, dass alles von allein zum Stillstand kommt. Wie aber Werkstoffe mit sehr heißen Salzschmelzen und gleichzeitig mit der nuklearen Strahlung reagieren werden, ist völlig unklar. Auch welche Sicherheitsparameter man an solch ein Kraftwerk anlegen müsste, wissen wir nicht“, so der Landtagsabgeordnete.
In diesem Zusammenhang verweist Siekmann darauf, dass schon mehrere Studien zu SMR angefertigt wurden – so hat zuletzt etwa das Öko-Institut in Freiburg diese Reaktoren kritisch beleuchtet. Aber auch weitere Institutionen sind skeptisch, wie der europapolitische Sprecher der Grünen im bayerischen Landtag ausführt:
„Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Deutschland sieht sich zum Beispiel gar nicht in der Lage, die Sicherheit von kleinen modularen Reaktoren zu bewerten, weil sich das Ganze erst auf einer konzeptionellen Ebene bewegt. Viele Fragen sind offen, was konkrete Werkstoffe, die Dimensionierung und die Auslegung von Sicherheitssystemen angeht. Und da es keine Betriebserfahrungen gibt, sind auch viele Fragen zum Verhalten des Reaktors völlig ungeklärt.“
Ein weiteres Problem: Man braucht nicht nur einen Reaktor, sondern gleich mehrere. Das erhöhe die Gefahr, weil damit gleich an mehreren Standorten Risiken geschaffen würden, sagt Florian Siekmann und nennt da die gefährlichen russischen Spiele mit dem ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja.
Auch wenn es um kleine Atomreaktoren geht – wegen all der Zweifel an der Technologie erwartet der Politiker aus Bayern von Prag mehr Offenheit zu Gesprächen:
„Ich erhoffe mir natürlich, dass wir mit der tschechischen Regierung einen Dialog darüber führen, was uns jetzt dabei hilft, aus der aktuellen Energiekrise herauszukommen. Das sind in keinem Fall kleine modulare Reaktoren, die nur auf dem Papier existieren. Sondern ich glaube, es sollte eine massive Investition in erneuerbare Energie sein. Das ist auch in Tschechien möglich: Windkraftanlagen und Solar-Panele sind verfügbar. Die können jetzt aufgebaut werden, wenn Geld in die Hand genommen wird. Und natürlich hoffe ich, dass die tschechische Regierung – wenn sie denn ihre nuklearen Pläne weiterverfolgt – bereit ist, in einen intensiven Dialog rund um Sicherheitsaspekte, aber eben auch die schwierige Frage der Endlagerung mit uns einzutreten. Denn die kleinen modularen Reaktoren hinterlassen, wenn man viele von ihnen baut, genauso viel Müll wie ein großer Reaktor.“
Atomkraft und erneuerbare Energien
Dass die Atomkraft für Tschechien ein essentieller Teil des Energiemix ist, betonen praktisch alle Politiker bis hinauf zu Premier Fiala immer wieder. Gerade am Mittwoch beschrieb mit Tomáš Pleskač einer der Manager des Energiekonzerns ČEZ in einem Interview für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks die Grundausrichtung:
„Die Tschechische Republik spricht sich heute klar aus in dem Sinne, dass die Zukunft der hiesigen Energieversorgung aus einer Kombination von erneuerbaren Quellen und Kernkraftwerken besteht. Dabei geht es sowohl um große Meiler wie jenen fünften Block im AKW Dukovany, für den wir derzeit den Anbieter auswählen, als auch um kleine modulare Reaktoren, die eine mögliche Zukunft der Kernkraft sein könnten.“
Ähnliches hörte auch Siekmann, als er vor zwei Wochen mit einer Delegation des Europaausschusses im bayerischen Landtag in Tschechien zu Besuch war. Dabei traf man sich mit Parlamentariern aus dem hiesigen Abgeordnetenhaus. Diese hätten ihnen deutlich gemacht, dass die Atomkraft für das Land ein wichtiger Bestandteil der Energieversorgung sei. Zugleich habe er aber ebenso mitgenommen, dass man erneuerbare Energien jetzt auch in Tschechien stark ausbauen wolle, so der Grünen-Politiker.
Eine komplette Energiewende, wie sie Deutschland vorhat, stößt allerdings bei tschechischen Politikern auf Skepsis. Sie betonen immer wieder, dass ihr Land relativ schlechte Voraussetzungen für Solartechnik und Windkraftanlagen biete. Gerade im Winter zeigt sich die Sonne manchmal tagelang nicht, und oft weht in dem Binnenland kein Lüftchen. Doch Florian Siekmann versucht, dies in einen breiteren Kontext zu stellen:
„Wir müssen da zwei Dinge voneinander trennen: Das eine ist die Stromversorgung, bei der Sonne und Wind die entscheidende Rolle spielen. Das andere ist die Frage der Wärmeversorgung, die ja gerade wegen der Gaskrise so brenzlig ist. In diesem Bereich kann die Kernenergie nur mittelbar helfen, denn wir brauchen Wärme und nicht unbedingt mehr Strom. Zum Beispiel bedeutet dies, viel stärker auf die Nutzung von Erdwärme zu setzen. Das sollte man sich vielleicht auch in Tschechien genauer anschauen. Was die örtlichen Voraussetzungen angeht, bin ich überzeugt, dass sich noch einiges an erneuerbaren Potenzialen ausschöpfen lässt und ansonsten auch immer die Investition an anderen Stellen in Europa sinnvoll sein kann – also zum Beispiel die Beteiligung an Offshore-Anlagen an den Küsten.“