Von der Mikrodebatte zur großen Bühne - zwei Tschechinnen gewinnen bei „Jugend debattiert“

Jugend debattiert

Seit 16 Jahren schon gibt es das Programm „Jugend debattiert in Mittel-, Ost- und Südosteuropa“, in dem junge Menschen auf Deutsch diskutieren lernen und in einem Wettbewerb gegeneinander antreten. Dieses Jahr haben beim Finale in Budapest zwei tschechische Schülerinnen den ersten und zweiten Platz belegt: Markéta Poulíková von der Deutschen Schule Prag und Šárka Dusová vom Erzbischöflichen Gymnasium in Prag. Beide waren zum Gespräch im Studio von Radio Prag International. 

Markéta und Šárka, wie und wo habt Ihr beide Deutsch gelernt? Wie ist Eure Beziehung zu der Sprache?

Marketa: „Auf der Deutschen Schule in Prag werden schon jetzt die meisten Fächer auf Deutsch unterrichtet. Nur ein paar Stunden sind auf Tschechisch. Ich konnte auch vorher schon ein bisschen sprechen Zum Beispiel wusste ich, wie man ein Schnitzel bestellt. Alles Weitere habe ich dann in der Schule gelernt.“

Šárka: „Bei mir ist Deutsch in der Schule eigentlich ein Fach wie jedes andere. Persönlich war es aber immer mein Lieblingsfach.“

Foto: Archiv Goethe-Institut

Wie ist es für Euch, auf Deutsch zu debattieren? Habt Ihr das Gefühl, Ihr könnt gut Eure Meinung vertreten? Oder wäre dies auf Tschechisch deutlich einfacher?

Markéta: „Ja, auf Tschechisch wäre es einfacher. Auf Deutsch vergesse ich ständig Begriffe und kann mich nie ganz so äußern, wie ich gern wollte. Jetzt nach sieben Jahren des Lernens kommen die Worte aber immer natürlicher. Es geht schon.“

Šárka: „Wie man hören kann, ist mein Deutschniveau nicht so hoch wie bei Markéta. Für mich wäre es sicher einfacher, auf Tschechisch zu debattieren, denn im Deutschen bekomme ich Probleme, wenn ich spontan reagieren muss. Beim Diskutieren hat man zudem kaum die Möglichkeit, sich bewusst auf die Grammatik zu konzentrieren.“

Wie ist es dazu gekommen, dass Ihr die Debattierwettbewerbe auf Deutsch mitmacht?

Markéta: „Ich zumindest kenne keine tschechischen Debattenformate. Außerdem kooperiert die Deutsche Schule Prag mit ‚Jugend debattiert'. Wir haben daher auch eine AG, die so heißt. Durch die bin ich zu dem Wettbewerb gekommen.“

Šárka: „Meine Deutschlehrerin kam eines Tages in den Unterricht und kündigte an, wir würden jetzt sogenannte ‚Mikrodebatten' führen. Danach habe ich dann am Schulwettbewerb und später am internationalen Format teilgenommen.“

„Es steckt viel Wahrheit in den Gegenperspektiven.“

Foto:  Thüringer Landtag,  Flickr,  CC BY-NC 2.0

Ihr habt dann ja viele Stationen durchlaufen, welche Erlebnisse haben sich Euch besonders eingeprägt?

Markéta: „Das Wichtigste für mich sind die neuen Freundschaften, die sich ergeben haben. Ich habe Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturkreisen kennengelernt. Auch habe ich gelernt, einer Gegenposition Zugeständnisse zu machen – dass man nicht immer aus derselben Position heraus argumentieren muss und die Argumente meist einfach austauschen kann. Es steckt viel Wahrheit in den Gegenperspektiven.“

Šárka: „Ich fand es auch sehr spannend, Menschen aus anderen Ländern kennenzulernen – so zum Beispiel aus Litauen oder Estland – und mit ihnen über gesellschaftliche und politische Themen zu sprechen. Das passiert einem nicht jeden Tag. Ich fand es auch schön, dass wir nach Budapest gefahren sind.“

Budapest war also Eure Lieblingsstation?

Foto: Archiv „Jugend debattiert international“

Markéta: „Ja. Wir waren in Budapest und in Dresden. In Dresden hatten wir weniger Stress, weil wir dort nicht debattiert haben. Aber Budapest hat mir dennoch besser gefallen. Ich war dort zum ersten Mal und habe festgestellt, dass ich die Stadt sehr mag. Sie ähnelt Prag – und ich liebe Prag.“

Ihr habt ja schon angesprochen, dass Ihr es spannend findet, Euch in den Debatten auch mal in andere Positionen zu versetzen. Fällt es Euch prinzipiell leichter, einen Standpunkt zu vertreten, den Ihr auch persönlich unterstützt?

Šárka: „Am Ende des Tages spielt das eigentlich keine Rolle. Man muss sich sowieso für beide Seiten vorbereiten.“

Markéta: „Das stimmt zum Teil. Ich finde aber, wenn man seine eigene Haltung vertritt, kann man leichter improvisieren. Dann fallen einem schneller Gegenargumente ein, mit denen man spontan die Punkte des Gegenübers angreifen kann. Das ist aber immer vom Thema abhängig. Manchmal ist die Gegenposition einfach stärker, egal was man selbst davon hält.“

Wann genau kommt es zur Improvisation?

Markéta: „Eigentlich immer. Hauptsächlich aber dann, wenn die Gegenposition ein Argument präsentiert, auf das ich nicht vorbereitet bin. Oder eines, das im ersten Moment unanfechtbar scheint. Dann muss man spontan nach Schwachpunkten suchen und etwas finden, womit man kontern kann.“

Šárka Dusová | Foto: Regina Bartha,  CC BY-NC-SA 3.0 DEED

Um welches Thema ging es denn im Finale?

Šárka: „In den Vorrunden war es einfacher, denn es ging um Themen, die sich auf Schule und Alltag bezogen. Im Finale stand dann die Frage nach Mehrheitsentscheidungen im EU-Rat. Das war deutlich schwieriger, denn viele von uns wussten noch gar nicht, was der Rat der Europäischen Union überhaupt ist. Wir mussten im Vorfeld vieles nachlesen.“

Wie viel Zeit hattet Ihr für diese Vorbereitung?

Markéta: „Alle Themen wurden zwei Wochen vor dem Finale bekanntgegeben. Wir haben aber natürlich nicht die komplette Zeit genutzt, denn währenddessen mussten wir auch weiter zur Schule gehen. Außerdem liefen in diesen Wochen ja auch erst die Vorrunden – und wir wussten noch gar nicht, wie weit wir am Ende kommen würden. Deshalb haben wir unseren Fokus auf die früheren Themen gelegt. Als dann Halbfinale und Finale anstanden, haben wir jeweils hauptsächlich die letzte Nacht für die Vorbereitung genutzt.“

„Mir kann eigentlich kaum etwas passieren, das aufregender oder schwieriger ist.“

Markéta Poulíková | Foto: Regina Bartha,  CC BY-NC-SA 3.0 DEED

Wie habt Ihr das Finale dann wahrgenommen? Wart Ihr sehr aufgeregt?

Markéta: „Ich war sehr aufgeregt! Denn bei der Finaldebatte hat man viel Verantwortung gegenüber der Veranstaltung und den hochrangigen Gästen. So war zum Beispiel die deutsche Botschafterin in Budapest vor Ort. Wir hatten das Gefühl, keine Fehler machen zu dürfen.“

Šárka: „Ich kann da nur zustimmen. Eigentlich bin ich eine eher schüchterne Person. Und dann vor 300 Leuten zu sprechen – dazu noch in einer Fremdsprache – ist schon sehr stressig. Es gab sogar einen Livestream! Aber ich dachte dann: Im schlimmsten Fall bin ich immer noch die Viertplatzierte in ganz Europa.“

Markéta: „Genau, damit haben wir uns immer beruhigt. Mit der Finalteilnahme waren wir schon zufrieden.“

Habt Ihr beim Debattieren etwas fürs Leben gelernt?

Šárka: „Sicherlich, man lernt dabei so vieles! Zum Beispiel die Fremdsprache: Ich habe in meinem Leben noch nie so viel und intensiv Deutsch gesprochen wie in dieser Zeit. Außerdem lernt man, wie man vor großen Gruppen spricht und wie man seine Gedanken logisch strukturiert und überzeugend präsentiert.“

Markéta: „Ich würde noch hinzufügen, dass ich gelernt habe, unter Stress zu arbeiten. Wenn ich jetzt eine stressige Situation erlebe, beruhige ich mich damit, dass ich schon die Finaldebatte hinter mich gebracht habe. Mir kann eigentlich kaum etwas passieren, das aufregender oder schwieriger ist. Das hat mir viel gebracht!“

Ab dem kommenden Jahr werden die regionalen Wettbewerbe von „Jugend debattiert“ zu einem europäischen Format zusammengefasst. Die große Finalwoche wird 2023 dann in Berlin stattfinden.

Autor: Leon Iselt
schlüsselwort:
abspielen