Tschechische Hinrichtungsopfer in Dresden – Häftlingsbriefe aus der NS-Zeit veröffentlicht
Abschiedsbriefe aus dem Gefängnis liefern ein besonderes Zeugnis darüber, was Menschen fühlten und dachten, die dem Tode nahe standen. In einer zweisprachigen kommentierten Edition wurden nun rund hundert letzte Schreiben veröffentlicht. Sie stammen von tschechischen Männern und Frauen, die während der NS-Zeit in Dresden hingerichtet wurden.
„Meine liebe Frau, meine lieben Kinder, heute am 18. August um 18 Uhr wurde ich hingerichtet.“
So fange der Brief an, den ihr Vater an ihre Mutter geschrieben habe, erzählt Jana Krajčovičová, geborene Černá. Sie stammt aus Hrádek bei Rokycany in Westböhmen.
„Mein Vater hat im Stahlwerk in Hrádek gearbeitet. Dort wurde eine antifaschistische Widerstandsgruppe errichtet. Er wurde von einem seiner Mitarbeiter verraten und von der Gestapo verhaftet. Zuvor hat er meiner Mutter oft gesagt, dass er wohl nicht mehr zurückkehren werde, wenn die Gestapo ihn kriegt. Er wusste sofort, dass dies sein Ende sein wird.“
Černý wurde im Februar 1944 verhaftet und sechs Monate später in Dresden guillotiniert. Obwohl ihre Mutter den Abschiedsbrief bekommen hatte, habe sie gehofft, ihr Mann sei noch am Leben, sagt Krajčovičová:
„Nach den Luftangriffen auf Dresden machte die Gestapo oft Durchsuchungen bei uns zu Hause. Daher glaubte meine Mutter, dass es meinem Vater gelang, aus der zerbombten Stadt zu flüchten. Obwohl sie den Brief in der Hand hatte, glaubte sie dessen Inhalt nicht. Erst nachdem ein Mithäftling meines Vaters zurückkehrte, bestätigte er meiner Mutter, dass mein Vater hingerichtet wurde.“
Jana Krajčovičová kann sich nicht an ihren Vater erinnern. Sie war zwei Jahre alt, als er starb. Neben dem Abschiedsbrief bekam die Familie aus dem Gefängnis nur noch drei Reichsmark und eine Uhr als Erinnerung an ihn zurück.
Schreiben aus der Todeszelle
Josef Černý ist eine von 90 Personen, deren Schreiben an ihre Angehörigen in dem neuen Band zusammengetragen wurden. Das Buch trägt den Titel „‚Behaltet diesen Brief als Andenken an mich‘ – Letzte Grüße tschechischer Hinrichtungsopfer aus Dresden“. Die Historikerinnen Pavla Plachá und Birgit Sack haben die hundert Briefe und Kassiber mit Kurzbiographien ihrer Verfasser und Kommentaren ergänzt. Das Buch wurde in Anwesenheit von Familienangehörigen der Hingerichteten am Mittwoch in Prag präsentiert. Pavla Plachá arbeitet am Institut für das Studium totalitärer Regime in Prag (ÚSTR):
„Ich und Frau Sack von der Gedenkstätte Münchner Platz Dresden haben seit mehreren Jahren zusammengearbeitet und uns auf die Gruppe der Tschechoslowaken, die in Dresden hingerichtet wurden, konzentriert. Im Rahmen unserer Recherchen sind wir immer wieder auf die Abschiedsbriefe gestoßen. Dabei ist uns bewusst geworden, dass es sich um einmalige Zeugnisse handelt, die unsere Aufmerksamkeit verdienen. Wir haben die Schreiben zusammengetragen, und nachdem wir relativ viele hatten, haben wir uns gedacht, dass nun die Zeit wäre, sie zu veröffentlichen.“
Die ausgewählten Schreiben hätten vor allem eine Bedingung erfüllen müssen, betont die Leiterin der Gedenkstätte Münchner Platz in Dresden, Birgit Sack:
„Es sind nur Briefe, die Menschen schrieben, nachdem sie erfahren haben, dass ihr Gnadengesuch abgelehnt wurde und dass sie in den nächsten ungefähr acht Stunden hingerichtet werden. Diese Häftlinge wurden damals in Dresden in Extrazellen gebracht und dort haben sie auch diese Briefe verfasst. Es gibt natürlich viele weitere Schreiben aus dem Gefängnis, diese haben wir aber nicht in die Sammlung aufgenommen. Uns ging es wirklich um diese ganz besonderen Briefe, die ein Mensch verfasst, der weiß, es wird keine Antwort mehr darauf geben.“
Die Forscherinnen haben zahlreiche Nachkommen der Hinrichtungsopfer kontaktiert. Oft wurden die Briefe in den Familien als Andenken an ihre Vorfahren aufbewahrt. Pavla Plachá:
„Wir waren immer wieder überrascht, wie positiv die Familien reagierten. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand abgelehnt hätte, mit uns zu sprechen.“
Die meisten Briefe hätten sie direkt von den Familien der Hingerichteten bekommen, fährt Plachá fort:
„Einen Teil haben wir auch in Archiven gefunden. Im Militärhistorischen Archiv in Prag gibt es eine Sammlung von Anträgen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Familien haben darin um die Anerkennung der Widerstandstätigkeit ihrer hingerichteten Angehörigen ersucht. Die Kopien von Abschiedsbriefen wurden oft als Beleg des Widerstandskampfes und der Hinrichtung beigelegt. Außerdem haben wir einige Briefe in früheren Editionen gefunden.“
In Dresden wurden 900 Tschechinnen und Tschechen hingerichtet
Dresden war neben Berlin-Plötzensee und Breslau eine der nationalsozialistischen Hinrichtungsstätten, in denen die meisten Todesurteile an tschechischen Männern und Frauen vollstreckt wurden. Insgesamt 1330 Personen kamen dort während des Zweiten Weltkriegs unter die Guillotine, davon 900 frühere tschechoslowakische Staatsbürger. Die Opfer der Hinrichtungsstätte in Dresden wurden oft von den Landgerichten in den besetzten Grenzgebieten Nordböhmens verurteilt. Im Protektorat selbst gab es bis zum Frühjahr 1943, mit Ausnahme der Zeit des sogenannten Kriegsrechts nach der Ankunft Reinhard Heydrichs in Prag und nach dessen Tod, keine Hinrichtungen. Die Besatzer befürchteten, dass die Prozesse gegen Widerstandskämpfer zu Unruhen in der tschechischen Bevölkerung führen könnten. Erst 1943 wurde die Hinrichtungsstätte im Gefängnis in Prag-Pankrác eingerichtet. Birgit Sack:
„Bis zum Frühjahr 1943 war Dresden zuständig für die Vollstreckung von Todesurteilen aus dem Landgerichtsbezirk Prag. Das heißt, diese Menschen wurden nach dem Urteil zur Vollstreckung nach Dresden gebracht. Viele Todesurteile wurden tatsächlich auch in Dresden gefällt. Und dann lief obligatorisch noch ein Gnadenverfahren. Das wurde zwar in der Zeit des Nationalsozialismus immer mehr reduziert, aber es gab es. In der Regel lief es etwa zwei Monate. Wenn die zum Tode Verurteilten erfahren haben, dass ihr Urteil vollstreckt wird, wurden sie zumeist sehr kurz danach hingerichtet. Sie hatten nur noch etwa acht Stunden. Und das war auch die Zeit, in der sie diese Briefe schreiben konnten.“
Mit Ausnahme eines Sudetendeutschen stammen die veröffentlichten Briefe alle von Menschen mit tschechischer Nationalität. Ihre Altersspanne reicht von 19 bis 60 Jahren. Unter den Verfassern waren 86 Männer und vier Frauen. Birgit Sack:
„Die meisten wurden aus politischen Gründen hingerichtet. Im Kern ging es den späteren Todesopfern darum, die nationale Unabhängigkeit der Tschechoslowakei wiederherzustellen. Die Gruppen waren unterschiedlich ideologisch ausgerichtet, aber der Kampf für das Ende der deutschen Fremdherrschaft verband sie. Es gab aber auch Menschen, die gegen die sogenannte Kriegswirtschaftsverordnung verstoßen haben, die also Delikte wie Schwarzschlachten oder Diebstahl begangen. Hinzu kamen Personen, die wegen regimekritischer Äußerungen hingerichtet wurden, beispielsweise weil sie Hitler kritisierten oder anzweifelten, dass die Deutschen den Krieg gewinnen.“
Abschied und Testament
Die Briefe aus dem Gefängnis wurden einer Zensur unterzogen. Die Verfasser wussten dies und vermieden daher bestimmte Themen – oder versuchten, ihre Schreiben zu verschlüsseln. Trotz dieser Selbstzensur weisen etwa ein Drittel der erhaltenen Briefe mindestens einen oder zwei Zensureingriffe auf. Trotzdem lieferten sie ein Zeugnis über die Umstände in der Haftanstalt, sagt Sack:
„Natürlich nur andeutungsweise, aber wir haben schon einiges erfahren. Beispielsweise über die Umstände, unter denen der Brief geschrieben wurde. Es gab zwar das Gewohnheitsrecht, dass man diesen Brief verfassen durfte. Aber natürlich saßen die Menschen dort nicht mit einem Stuhl an einem Tisch und hatten ein gutes Schreibgerät. Die Briefe sind oft auf dem Boden liegend entstanden, manche hatten noch die Fesseln um.“
Die Zeitdokumente sind vor allem privat und persönlich. Sie unterscheiden sich voneinander, tragen aber laut der deutschen Historikerin doch einige gemeinsame Züge und enthalten Elemente, die sich wiederholen:
„Das eine ist, die Person sagt, das ist jetzt das Ende der Kommunikation. Sie sagt, ich werde heute hingerichtet, mein Leben ist jetzt vorbei, ich bin jetzt tot. Das zweite ist, dass sie etwas über ihr eigenes Befinden schreibt. Meistens versucht sie das eher geschönt darzustellen. Und das dritte Element ist, dass sie sich direkt an die Angehörigen wendet. Das ist wie eine Art Testament, indem es darum geht, was nach dem eigenen Tod passieren soll: Wie sollen die Familien ihr Leben gestalten, welchen Einfluss möchte ich, als Person, die gleich hingerichtet wird, in dem Familiengefüge vielleicht noch spielen.“
Das Buch „‚Behaltet diesen Brief als Andenken an mich‘ – Letzte Grüße tschechischer Hinrichtungsopfer aus Dresden“ ist zweisprachig. Es entstand in Kooperation des Prager Verlages Pulchra mit dem Leipziger Universitätsverlag.