Rückkehr nach 101 Jahren: Zemlinskys „Kleider machen Leute“ in der Prager Staatsoper
Nach 101 Jahren kehrt die Oper „Kleider machen Leute“ von Alexander Zemlinsky auf jene Bühne in Prag zurück, auf der ihre zweiaktige Neufassung uraufgeführt wurde. Der Komponist war in den Jahren 1911 bis 1927 Musikdirektor des Neuen Deutschen Theaters – also der heutigen Staatsoper. Das Werk wurde im Rahmen der Reihe „Musica non grata“ neu inszeniert. Die Premiere der Neuproduktion findet am Freitag, 24. Februar, statt. Regie hat die litauische Dirigentin Giedrė Šlekytė. Der US-amerikanische Tenor Joseph Dennis, der unter anderem in der Wiener Staatsoper sang und derzeit Solist der Semperoper in Dresden ist, singt die Hauptrolle des Wenzel Strapinski. Martina Schneibergová hat mit der Dirigentin und dem Tenor gesprochen. Die beiden Gespräche bringen wir im folgenden Kultursalon.
Frau Šlekytė, ist es Ihre erste Begegnung mit Zemlinskys Musik?
„Als Dirigentin ja. Als Zuhörerin habe ich seine Musik schon zuvor gehört.“
Worin ist die Oper, die übrigens keine Ouvertüre hat, einzigartig?
„Ich glaube, das Besondere an dieser Oper ist die Verflechtung der sehr leichten Geschichte über die Oberflächlichkeit und der Suche nach ehrlichen Gefühlen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite handelt es sich um ein Werk von Anfang des 20. Jahrhunderts, einer sehr spannenden Zeit für das Musiktheater. Es gibt ein sehr großes Orchester, sehr fortschrittliche Musik, eine interessante Instrumentierung, viele spannende Klangfarben, Glissandi, Bläser mit Dämpfern, ein Klavier auf der Bühne und ein integriertes Konzerts, wenn Nettchen ein Lied singt. Dies ist eine Anspielung auf die Wiener Salonkultur. Es ist ein Zusammenspiel von Komödie und Salon, von etwas Operettenhaftem und dem sehr Symphonischen.“
Hat Zemlinsky in der Oper auch Leitmotive benutzt?
„Ja, er benutzte viele Leitmotive, was nicht unüblich ist für die Zeit. Das ,Schneiderlein-Lied‘ kommt sehr oft in der Oper vor. Am Anfang, als Strapinski seine Stadt Seldwyla verlässt, singt er das Lied zum ersten Mal. Das letzte Mal erklingt das Lied, bevor die ganze Geschichte platzt. Dies geschieht mit Fortissimo, mit dem Chor, der fast schreit. Dann platzt die Geschichte, und wir gehen ins Finale. Es gibt noch mehrere thematische Verbindungen und Lieder, die mehrmals vorkommen.“
Kann sich der Zuschauer auch Melodien der Oper merken?
„Absolut. Es ist eine Oper der Ohrwürmer. Ich muss sagen, nach jeder Probe bin ich rausgegangen und habe immer irgendetwas als Ohrwurm mitgenommen. Das Werk ist sehr melodisch.“
Sind die Partien anspruchsvoll für die Sängerinnen und Sänger?
„Sie sind ziemlich anspruchsvoll, finde ich. Gerade die Rolle Strapinskis braucht eine sehr gute Technik. Es ist ein Ensemblestück, es gibt also sehr viele Rollen – viele mittelgroße und einige ganz kleine. Auch das Orchester wird sehr gefordert, es muss auf sehr hohem Niveau spielen. Zudem sind sportliche Leistungen gefordert: Die Trompeter müssen innerhalb eines halben Taktes ihre Dämpfer auf- und wieder absetzen. Es gibt schnelle Glissandi, hohe Stellen, verschiedene Register – also Anforderungen, wie man sie vom Musiktheater von Anfang des 20. Jahrhunderts kennt.“
Finden Sie, dass die Oper mit ihrer Handlung auch heutzutage aktuell ist?
„Ich glaube, die Gesellschaft bewegt sich in dieser Hinsicht überhaupt nicht vorwärts. Wir bleiben dabei, dass wir sehr stark nur die Schale betrachten. Ein Status, der durch Äußerlichkeiten vermittelt wird, wird sehr ernst genommen. Sehr schnell glaubt man jemandem, wenn er nur so tut, als ob er sehr wichtig und sehr kompetent wäre. Vor 100 Jahren wollte uns diese Oper lehren, tiefer hineinzuschauen und die Menschen nicht nur nach Äußerlichkeiten zu bewerten. Aber wie damals können wir es auch heute noch nicht.“
Wie ist die Zusammenarbeit mit dem Orchester der Staatsoper?
„Für das Orchester ist es eine sehr große Herausforderung. Zum Beispiel ist das Notenmaterial von solchen sehr selten gespielten Werken handgeschrieben. Meine Partitur ist ebenfalls handgeschrieben, so wie die Orchesterstimmen auch. Zu diesen künstlerischen Hürden kommen noch weitere: Bei einer Oper, die kaum gespielt wird, kostet es den Verlag viel Geld, alles in den Computer einzugeben und neues Material zu veröffentlichen. Das Orchester nimmt diese Herausforderungen an, und jeden Tag wird es besser. Obwohl das Werk so anspruchsvoll ist, haben wir schon schöne Dinge erreicht. Und ich bin zuversichtlich, dass noch mehr hinzukommt.“
Es ist ihr Debüt in der Staatsoper. Waren Sie früher schon einmal in Prag?
„Ja, ich war einmal im Nationaltheater im Publikum, als ich mit meinen Eltern vor einigen Jahren Prag besuchte. Wir haben damals ‚Rusalka‘ gesehen. Daran kann ich mich ganz gut erinnern.“
Wie ist Ihre Beziehung zur tschechischen Musik?
„Auch das Orchester wird sehr gefordert, es muss auf sehr hohem Niveau spielen. Zudem sind sportliche Leistungen gefordert: Die Trompeter müssen innerhalb eines halben Taktes ihre Dämpfer auf- und wieder absetzen.“
„Ich liebe tschechische Musik. Vor allem bin ich eine große Liebhaberin von Janáček. Das ist einer meiner Lieblingskomponisten. Gerade die Opern finde ich sehr speziell. Er hat eine sehr persönliche Musiksprache. Die Folkloristik, die ihm sehr wichtig war, und die Libretti, die er ausgewählt hat, sind sehr speziell. Ich habe schon eine Produktion von ‚Katja Kabanowa‘ in Berlin zusammen mit Jetske Mijnssen gemacht, die hier ,Kleider machen Leute‘ inszeniert. Im Theater an der Wien studierte ich Anfang der Spielzeit mit Stefan Herheim (norwegischer Opernregisseur, Anm. d. Red.) ,Das schlaue Füchslein‘ ein. Ich träume sehr davon, eine Produktion von ,Jenufa‘ zu machen. Dies steht ganz oben auf meiner To-Do-Liste.“
Herr Dennis, singen Sie zum ersten Mal Musik von Zemlinsky?
„Ja. Es ist eine wahnsinnig schöne Musik. Ich weiß nicht, warum das Stück nicht öfter gespielt wird. Denn die Musik ist schön, die Komödie ist perfekt. Es ist alles drin: Liebe, Traurigkeit, Drama.“
Wie entwickelt sich die Person von Strapinski, die Sie singen, während der Handlung?
„Strapinski kämpft meist mit sich selbst. Schritt für Schritt gerät er in eine problematische Welt. Er kommt mit einer Kutsche in eine fremde Stadt, die Leute meinen, er sei ein Graf. Aber in der Wirklichkeit ist er ein armer Schneider. Ihm gefällt es jedoch, dass er bewundert wird und man ihm alles Mögliche anbietet. Er lernt sogar ein schönes Mädchen kennen, das einen Adeligen heiraten möchte. Nach kurzer Zeit geht ihm das schon zu weit. Strapinski stellt sich die Frage, was passierte, wenn er jetzt verschwinden würde, was die Menschen und vor allem sein Nettchen sagen würden. Das Ganze spielt innerhalb von nur etwa 24 Stunden.“
Aber es hat doch ein Happy End…
„Ja, das können wir sagen. Zum Glück findet Strapinski ein sympathisches Mädchen. Und obwohl er nicht gelogen hat, hat er auch nicht die Wahrheit gesagt. Das Mädchen bleibt ihm treu und liebt ihn trotzdem.“
Die Dirigentin sagte zuvor, für die Sänger sei diese Oper nicht das Einfachste...
„Das stimmt. Die Musik ist so komponiert, dass darin etwas fast Operettenhaftes, aber auch Zwölftonmusik enthalten ist. Meine Kollegen und ich sagen immer: Dieser Teil klingt fast wie Puccini, dieser fast wie Strauss und dieser wie Werther (Oper von Jules Massenet, Anm. d. Red.). Die Musik ist hoch interessant. Wir müssen dabei unseren eigenen Stil finden.“
Es ist Ihr Debüt in der Prager Staatsoper. Sie haben aber schon Erfahrungen mit tschechischer Musik, nicht wahr?
„Ja. Ich habe drei oder vier Janáček-Opern gesungen. Ich liebe Janáček. Die Musik ist wunderschön. Die Sprache ist für uns Englischsprachige ungewöhnlich. Es braucht viel Zeit, das Stück zu lernen, aber es ist so gut singbar und liebevoll. Ich liebe die tschechische Musik.“
Gibt es noch einen anderen Komponisten neben Janáček, den Sie besonders mögen?
„Die ‚Rusalka‘ gefällt mir auch sehr. Aber leider habe in der Oper noch nicht gesungen. Kann aber sein, dass es in der nächsten Spielzeit klappt.“
Haben Sie eine Wunschoper, die Sie noch nicht gesungen haben, aber gerne singen würden?
„Die Musik ist schön, die Komödie ist perfekt. Es ist alles drin: Liebe, Traurigkeit, Drama.“
„Ja, viele… Ich liebe Opernschätze wie ‚Carmen‘, ‚Aida‘ oder ‚Turandot‘. Aber ich muss noch etwa fünf Jahre warten, um diese Partien singen zu können.“
Die Premiere der Neuinszenierung von Zemlinskys Oper „Kleider machen Leute“ findet am Freitag, 24. Februar, in der Staatsoper statt. Die Vorstellung beginnt um 19 Uhr. Es gibt noch Restkarten.