Liberal-Konservative Mehrheiten im politischen Gefüge: Gibt es in Tschechien noch eine Linke?
Das politische Gefüge in Tschechien hat sich mit den letzten Parlaments- und ebenso mit den Präsidentschaftswahlen stark verändert. Seit fast anderthalb Jahren sitzt keine traditionell linke Partei mehr im Parlament, und mit Miloš Zeman ist nun auch ein früherer Vertreter dieses Lagers aus dem Präsidentenamt ausgeschieden. Das neue Staatsoberhaupt Petr Pavel, die Regierung von Petr Fiala (Bürgerdemokraten) sowie die Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern lassen sich alle dem liberal-konservativen Lager zuordnen. Darum stellt sich die Frage, ob Tschechiens Linke langsam verschwindet – und ob die traditionellen Rechts-Links-Einordnungen überhaupt noch aktuell sind.
Was die öffentliche Wahrnehmung einer linken Politik in Tschechien ausmacht, ist gut am Beispiel von Miloš Zeman zu erkennen. Die Hauptrolle spielen dabei nämlich populistische Praktiken, eine explizit EU-kritische Haltung sowie eine nach China und – zumindest bis zum Kriegsbeginn in der Ukraine – nach Russland gerichtete Außenpolitik. Kritische Politologen weisen freilich auf Zemans eher rechtspopulistische Tendenzen hin, die nicht zuletzt durch seine Nähe zum Ungarn Viktor Orbán belegt wird.
Die Mainstreameinordnung Zemans hat es – vor allem in seiner Zeit als Staatspräsident – den Vertretern einer eher progressiven Linken in Tschechien allerdings nicht allzu leicht gemacht. So es sie denn gibt, bekennen sie sich darum nominell kaum zu diesem politischen Lager. Zu dem offenkundigen Verschwinden der Linken in Tschechien trägt außerdem bei, dass die traditionellen Parteien dieser Richtung Ende 2021 durch die Populisten von Andrej Babišs Ano aus dem Abgeordnetenhaus gedrängt worden sind. Jan Bělíček, Chefredakteur der Internet-Zeitung Alarm.cz, fasste in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks die aktuelle Lage im Parlament zusammen:
„Die Sozialdemokraten und die Kommunistische Partei sind weg, und es gibt keine neue Partei, die sie ersetzen würde. Einige Parteien behaupten zwar, sie seien links. Aber die Frage ist, ob dies überhaupt ein Pluspunkt ist. Die Themen, die die traditionellen Parteien bearbeitet haben, und auch die Wähler aus der Arbeiterschaft verschwinden in Tschechien jedenfalls nicht.“
Daran würde auch jene Debatte nichts ändern, ob die Rechts-Links-Einordnung von politischen Akteuren überhaupt noch Sinn habe, fährt der Journalist fort. Es fehle derzeit eindeutig eine politische Kraft, die den klassischen Arbeitnehmer, Angestellte in sozialen Diensten und in Montagehallen oder auch Lehrer vertreten und sich für sozial Schwache einsetzen würde. Er sei aber froh, dass immerhin die Piraten im Parlament und auch in der Regierung seien, so Bělíček.
Piratenpartei als einzige linke Kraft in Regierung und Parlament
Die tschechische Piratenpartei verortet sich nach eigener Darstellung in der liberalen Mitte. 2009 gegründet, konzentrierte sie sich zunächst auf Themen wie Autorenrechte, Korruption, Transparenz und Schutz der Freiheiten im Online-Bereich. Parteimitglied Olga Richterová, die aktuell Vizevorsitzende des Abgeordnetenhauses ist, erläuterte in der Rundfunkdiskussion mit Bělíček ihre Prinzipien:
„Was mir wichtig ist: Ich mag keine Schubladen. Denn es geht um etwas Grundsätzliches: soziale Sensibilität, Rücksicht auf die Gesellschaft als Ganzes und auch auf verschiedene Arten der Arbeit. Denn die Arbeit hat sich schließlich wesentlich verändert und wird sich mit der Robotisierung noch weiter verändern. Wichtig sind also eine Anpassung an die sich verändernde Zeit und eine soziale, aber auch ökologische Nachhaltigkeit. Dies alles vertreten die Piraten.“
Dass die Piraten derzeit als einzige zumindest linksorientierte Kraft wahrgenommen werden, hat seine Gründe. Im Kabinett haben sie neben den konservativen Bürgerdemokraten und Christdemokraten sowie der liberalen Top 09 und der Bürgermeisterpartei Stan das progressivste Image. Und die Oppositionspartei Ano profiliert sich zwar durch soziale Themen, wird aber maximal der althergebrachten Linken vom Schlag eines Miloš Zeman zugeordnet und ist vor allem ein Paradebeispiel an Populismus. Davon grenzt sich Richterová entschieden ab. Sie wolle die Piraten nicht einmal als moderne linke Partei bezeichnen:
„Diese Etiketten halte ich für überholt. Es geht wirklich darum, was wir tun. Nach meiner Beobachtung war für Parteien, die sich früher als links bezeichneten, dies nur ein rhetorischer Zug. Sie schufen damit einen medialen Nebel, um gut dazustehen. In der Realität haben sie aber oft genau das Gegenteil getan.“
Dies wirft Richterová auch der Partei Ano vor. Als Regierungspartei in der vergangenen Legislaturperiode habe Ano keine Probleme damit gehabt, die Lebensbedingungen der ärmsten Bevölkerungsschichten zu verschärfen und der sozialen Ausrichtung Tschechiens wesentlich zu schaden, urteilt die Piratenpolitikerin.
Alte Linke versus neue Linke
Dass wiederum Ano als linke Partei wahrgenommen werde, habe sie ihrer früheren Koalition mit den Sozialdemokraten zu verdanken, meint Journalist Bělíček. Andrej Babiš habe als damaliger Premier nur die Vorschläge der sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder umgesetzt. Dazu hätten ein rasanter Anstieg des Mindestlohns sowie der Renten gehört oder auch die Ermäßigungen bei Fahrkarten für Senioren und Studenten. Dies sei von den Menschen sehr dankbar angenommen worden, so Bělíček:
„Ich möchte an die fünf Regierungsparteien und auch an andere appellieren, über solche Schritte nachzudenken und Ähnliches in ihre Programme aufzunehmen. Denn genau um diese Wähler wird es in den kommenden Jahren gehen. Es reicht sehr wenig, um viele Wähler zu gewinnen, die dann loyal sind und solche Maßnahmen zu schätzen wissen. Es wäre gut, wenn sich jemand anders dessen annimmt als Ano.“
Besonders für die Piraten sei es wichtig, etwa frühere Wähler der Sozialdemokraten zu gewinnen, ergänzt Bělíček. Die aktuelle Regierung als Ganzes sei bisher jedenfalls nicht in der Lage, soziale Themen ähnlich stark anzugehen wie die Opposition…
„Die einzigen Maßnahmen, die man hier nennen könnte, wären der Energietarif und der Strompreisdeckel, die die gesellschaftliche Erregung im Herbst wesentlich beruhigt haben. Ich denke aber, dass in diesem Bereich noch wesentlich mehr getan werden könnte.“
Beide Diskussionspartner merkten an, dass sich in letzter Zeit auch Arbeits- und Sozialminister Marian Jurečka (Christdemokraten) häufig zu sozialen Fragen äußere und damit linke Themen besetze. Den Einfluss ihrer Partei im Kabinett hatte Olga Richterová schon vor Längerem einmal humorvoll beschrieben, als sie davon sprach, dass die Koalitionspartner bei manchen Themen „verpiratisiert“ werden könnten. Im Tschechischen Rundfunk kam sie etwa auf das Beispiel von verfügbarem Wohnraum zu sprechen:
„Jahre lang hat sich in Wohnfragen nichts Konzeptionelles getan. Wir Piraten glauben, dass wir diese Agenda nun systematisch und langfristig voranbringen können. Ähnlich ist es beim Thema Anpassung des Mindestlohns, der gerade Anfang Januar um 1100 Kronen (46 Euro, Anm. d. Red.) angehoben wurde. Auch das Existenzminimum, das sehr wichtig ist für verschuldete Menschen, haben wir ganz außergewöhnlich erhöht. Dies sind alles systemische Angelegenheiten, die in der Vergangenheit vernachlässigt wurden. Dabei kehren diese Themen regelmäßig wieder und brennen den Menschen wirklich unter den Nägeln. Unsere Hilfe äußert sich zum Beispiel auch durch ein erhöhtes Wohngeld.“
Es seien vor allem alltägliche Anliegen, die sie auf den Tische bringe, ergänzt Richterová. Dies seien ihrem Empfinden nach zumeist weniger politische, als vielmehr praktische Themen. Auch Jan Bělíček erkennt an, dass im tschechischen Parlament eine aktive Sozialpolitik betrieben werde, die klassische linke Bereiche betreffe. Es werde nur zu wenig darüber gesprochen, meint der Journalist:
„Wenn die Regierung ihre Agenda immer so kommunizieren würde, wie dies Olga Richterová tut, dann würde das schon helfen. Ich habe aber das Gefühl, dass Premier Petr Fiala damit gar nicht prahlen will. Diese Themen werden nicht nach außen getragen. Dabei könnte die Regierung die Leute damit regelrecht überrollen. So macht es nämlich Andrej Babiš: Wie ein Mantra wiederholt er andauernd die gleichen Schlüsselpunkte, die sich dann unter die Haut der Wähler einfressen.“
Und so sei es angesichts einer Politik, die Mindestlohn und Renten erhöht, letztlich rational, dass die davon profitierenden Menschen auch einer populistischen Partei wie Ano ihre Stimme geben, fügt Bělíček hinzu.
Begriff links ist immer noch belastet
Obwohl viele Menschen in Tschechien offenbar eine linke Politik gutheißen, wird diese hierzulande ungern als solche bezeichnet. Auch bei jungen Menschen scheint diese Begrifflichkeit nach wie vor belastet zu sein. Eine Studie des Zentrums für Meinungsforschung hat 2021 erhoben, dass die sogenannte Generation Z – also Menschen zwischen 18 und 24 Jahren – sich hierzulande nur zu etwa elf Prozent als links bezeichnet. Über 40 Prozent ordnen sich hingegen als rechtsausgerichtet ein.
Angesichts dessen wiederholt Journalist Bělíček die Frage, inwieweit es im tschechischen Kontext für eine Partei vorteilhaft ist, sich links zu nennen. Dies würde hierzulande anders aufgefasst als in anderen Ländern…
„Ein Blick ins Ausland zeigt: In Deutschland regiert eine linke Partei, ebenso in Dänemark, Spanien und Portugal. Internationale Medien wie etwa die Financial Times haben zu Jahresbeginn auf den Titelseiten gefragt, ob sich die Politik weltweit noch weiter nach links bewegt. Es ist also ein Thema in der ganzen Welt. Nur in die tschechische Diskussion ist dies noch nicht eingedrungen.“
Es habe allerdings auch sein Gutes, dass linke Themen von Politikern aus dem gesamten Parteienspektrum aufgegriffen werden, bemerkt Bělíček. Mit Blick auf den konservativen Arbeits- und Sozialminister Marian Jurečka äußert er aber die zweifelnde Frage, wie lange dieser wohl dabei bleiben werde. Ausschlaggebend werde darum sein, was vom Kabinett und Parlament tatsächlich dauerhaft umgesetzt werde, so Bělíčeks offener Blick in die Zukunft.