„München war eine große Chance für mich“ – der Budweiser Ballettdirektor Lukáš Slavický

München

Lukáš Slavický begeisterte als Solotänzer Jahre lang das Publikum in der Bayerischen Staatsoper in München. Nach 17 Jahren beim Bayerischen Staatsballett wechselte er nach České Budějovice / Budweis. Dort wurde er 2016 Direktor des Ballettensembles des Südböhmischen Theaters. Martina Schneibergová hat im Budweiser Theater mit Lukáš Slavický über seine Jahre in München und die Arbeit als Ballettchef gesprochen.

Lukáš Slavický | Foto: aus dem Archiv von Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Herr Slavický, Ihre Eltern waren Solotänzer des Ballettensembles am Prager Nationaltheater. War irgendwann klar, als Sie Kind waren, dass Sie auch Tänzer werden?

„Das ist schwer zu sagen. Ich habe in unserem Wohnzimmer, als ich klein war, auf Beethovens Musik getanzt. Mein Vater hatte eine Schallplatte mit seiner Musik, und ich habe immer dazu getanzt. Als Kind habe ich viel Energie gehabt, bin viel Rad gefahren, habe Tennis gespielt, ein bisschen auch Fußball. Mit sechs Jahren begann ich, die Ballettschule am Nationaltheater zu besuchen. Dort habe ich mit dem Tanz angefangen. Ich war jedoch anfangs nicht begeistert, weil es sehr langsam voranging. Ich hatte aber viel Energie und wollte mich bewegen. Es war nicht leicht, aber schließlich begann ich den Tanz zu lieben, und dann ging es sehr schnell mit mir.“

Erinnern Sie sich an die erste Ballettvorstellung, die Sie im Theater gesehen haben?

„Wahrscheinlich nicht. Ich kann mich daran erinnern, dass ich damals meinen Vater gesehen habe, der die Rolle des Albrecht in ‚Giselle‘ getanzt hat. Im zweiten Akt hat er ein Solo mit Variationen, und dann fällt er auf das Grab von Giselle. Ich dachte damals, mein Vater sei gestorben oder mit ihm sei etwas passiert. Daran kann ich mich erinnern. Aber ob es die erste Vorstellung war, weiß ich nicht. Jedenfalls war ich damals sehr klein.“

Sie haben dann das Konservatorium besucht, und schon während Ihres Studiums feierten Sie einen Erfolg bei einem Wettbewerb. Wie alt waren Sie damals?

„Ich war zehn Jahre alt, als ich auf dem Konservatorium mit dem Tanz begann. Mit 14 Jahren nahm ich an einem Ballettwettbewerb in Brünn teil, der für Tschechien und die Slowakei organisiert wurde. Dort gewann ich damals den dritten Preis. Das war mein erster Erfolg, und er hat mir damals sehr geholfen. Dadurch bekam ich diesen Push, weiterzumachen und mich weiterzuentwickeln.“

Cinderella | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Wie kam es dazu, dass Sie nach München gegangen sind?

„Ich nahm an vielen Wettbewerben teil, trat damals schon in vielen Vorstellungen auf, tanzte mit verschiedenen Companien, unter anderem in Brünn. Jeden Sommer war ich an der Ballettakademie in Köln. Und dort habe ich damals mit Birgit Keil und Vladimír Klos zusammengearbeitet (ehemalige Tänzer des Stuttgarter Balletts, Anm. d. Red.). Sie fragten mich, wohin ich nach dem Studium gehen möchte. Sie sagten zu mir: ,München wäre für dich gut, dort gibt es ein tolles Ensemble, ein großes Theater, und nächstes Jahr fängt dort Ivan Liška als Chef des Ballettensembles an.‘ Ich habe mich mit Ivan Liška in Verbindung gesetzt. Er sagte: ,Komm, du wirst mit uns trainieren, und wir werden sehen…‘ Da bin ich nach München gefahren und habe dort mit den anderen Tänzern zusammen trainiert. Er meinte damals, es sei gut, aber er müsse noch warten. Dann rief er mich an und sagte mir, er habe einen Vertrag für mich. 1999 ging ich direkt aus der Schule nach München. Das war damals eine große Chance für mich.“

Sie sind jedoch bald zum Solotänzer und anschließend zum ersten Solotänzer geworden. War das innerhalb eines Jahres?

„Ja, ich war Halbsolist, nach zwei Jahren war ich Solotänzer und anschließend erster Solotänzer. Ich hatte Glück damals, hatte viel Energie. Ivan Liška hat das gesehen und mir die Chance gegeben. Meine erste Rolle war Romeo in ,Romeo und Julia‘ von John Cranko.“

„Ich habe mit Mats Ek, Jiří Kylián, William Forsythe und John Neumeier zusammengearbeitet. Beispielsweise habe ich die Rolle von Armand in der ,Kameliendame‘ von John Neumeier geliebt.“

Gab es eine Rolle, die Sie in München am liebsten getanzt haben?

„Das ist eine schwierige Frage. Denn zuerst habe ich eher die klassischen Rollen getanzt wie den Romeo, den Pas de Six in ,Giselle‘ oder Lenski in ,Onegin‘. Später kamen aber auch die Rollen von Mats Ek hinzu. Ich habe mit Mats Ek, Jiří Kylián, William Forsythe und John Neumeier zusammengearbeitet. Beispielsweise habe ich die Rolle von Armand in der ,Kameliendame‘ von John Neumeier geliebt. Ich habe aber auch Hilarion in Mats Eks ,Giselle‘ getanzt. Das war eine tolle Erfahrung. Mit Jiří Kylián zusammenzuarbeiten, war wirklich phantastisch. Aber ich habe viele Choreografen erlebt. In München war damals ein großer Vorteil, dass das Repertoire sehr breit war: klassisch, modern und neoklassisch. Ich habe viele Rollen gemocht und auch viele Stücke, in denen ich aufgetreten bin.“

Lukáš Slavický | Foto: aus dem Archiv von Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Wie war oder ist das Publikum in München? Vielleicht können Sie es mit den Theaterbesuchern in Tschechien vergleichen?

„Ivan Liška sagte immer, die Münchner seien lukullisch. Aber sie sind ein tolles Publikum. Die Oper in München hat 2200 Plätze, und fast immer war ausverkauft. Das ist natürlich toll, wenn man tanzt und weiß, dass das Haus voll ist. Es sind Zuschauer, die oft ins Theater gehen, die Stücke kennen und die viele Besetzungen gesehen haben. Man muss sich dann immer beweisen. Ansonsten würde ich sagen, dass das Publikum in München manchmal herzlicher ist. Hierzulande gibt es vielleicht mehr Abstand, aber es kommt darauf an. Wenn man gute Vorstellungen macht, sind die Leute begeistert – hier genauso wie in München.“

Ist München zu Ihrer zweiten Heimat geworden? Sie haben dort ja 17 Jahre lang gelebt…

„Ja. Ich war 18 Jahre alt, als ich nach München kam. Mit der Stadt bin ich eng verbunden, denn ich habe dort viel erlebt. In Prag habe ich noch bei meinen Eltern gewohnt, bin dort zur Schule gegangen. In München hatte ich meine eigene Wohnung, ging dort zur Arbeit, also ins Theater. Diese Jahre der Jugend sind sehr prägend und wichtig.“

„In Budweis bekam ich die Chance, als Ballettdirektor zu arbeiten, und das war für mich eine große Herausforderung.“

2016 sind sie dann nach Budweis gegangen, wo Sie Direktor des Ballettensembles geworden sind. Haben Sie damals damit gerechnet, in Budweis auch weiter zu tanzen?

„Nein, eigentlich nicht. Ich muss sagen, ich habe wirklich viel getanzt. Und ich fühlte mich schon ein bisschen müde. In Budweis bekam ich die Chance, als Ballettdirektor zu arbeiten, und das war für mich eine große Herausforderung. Ich kann nicht sagen, dass es mein Traum war, aber schon früher dachte ich, dass mich solch eine Arbeit vielleicht eines Tages interessieren würde. Dann ist es passiert – vielleicht schneller, als ich dachte. Ich wollte mich auf die neue Aufgabe konzentrieren. Zudem bin ich kein großer Fan von tanzenden Ballettdirektoren. Dies ist immer ein wenig schwierig. Der Ballettdirektor soll sich um die Companie, das Repertoire und die Qualität kümmern und nicht um sich selbst auf der Bühne. Manchmal ist es nicht schlecht, aber man muss schon aufpassen…“

Cinderella | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Was alles gehört zu den Aufgaben eines Ballettdirektors? Ist es für Sie in Budweis nicht schwieriger, als wenn Sie denselben Posten in Prag hätten?

„Nein, es ist nicht schwieriger, es ist nur anders. Das Ensemble hat 16 Tänzerinnen und Tänzer, in Prag sind es etwa 80 Tänzer. Aber ich kann, wenn es die finanzielle Lage erlaubt, mit vielen Leuten zusammenarbeiten. Es gibt viele begabte junge Choreografen. Ich versuche, mit unserem Ensemble neue Stücke einzustudieren – also nicht ich selbst, aber ich bemühe mich, Leute zu finden, die fähig sind und Zeit haben, für uns neue Stücke zu kreieren. Das ist für mich und auch für die Tänzer wichtig.“

Zu diesen neuen Stücken gehört vermutlich auch jenes über Egon Schiele, das im Sommer in Krumau Premiere haben wird…

„Ja, das war meine Idee. Ich fand die Bühne mit dem drehbaren Zuschauerraum interessant. Schiele lebte in Krumau, da bot es sich an, das Stück dort aufzuführen. Ich habe dafür den Choreograf Jan Kodet angesprochen. Wir studieren das Stück derzeit an, die Premiere findet im August statt.“

České Budějovice | Foto: Vít Pohanka,  Tschechischer Rundfunk

Das Ensemble in Budweis ist genauso wie in anderen Theatern international. Wird hier Englisch als Hauptsprache gesprochen?

„Ja, wir sprechen englisch, das ist genauso wie in München oder in anderen Theatern. Denn wir haben Tänzer aus Italien, Frankreich, Ungarn, Kolumbien, Japan, Kanada, aber auch aus Tschechien.“

Was lockt Tänzer aus dem Ausland nach Tschechien?

„Sie interessiert, dass an unserem Theater regelmäßig gespielt wird. Sie haben ein Zuhause hier, sind monatlich bezahlt. Wir haben hier einen Ballettsaal, zwei Ballettmeister, es gibt ein regelmäßiges Training und Vorstellungen. Sie arbeiten hier – hoffe ich – mit guten Leuten zusammen. Das lockt sie nach Tschechien. Zwar leben nur zehn Millionen Menschen hier im Land, aber es gibt viele Ballettcompanien, die wie wir arbeiten. Für Deutschland gilt das ebenfalls. Aber beispielsweise Italien und Frankreich haben weniger professionelle Companien als Tschechien, obwohl beide Länder größer sind. Darum kommen auch viele Tänzer aus Italien nach Tschechien – denn sie wissen, dass sie in Prag, Pilsen, Ostrau, Liberec oder in Budweis tanzen können. Sie bewerben sich sehr oft, zudem bekomme ich viele E-Mails und Angebote von Tänzern aus Asien, die hier arbeiten möchten.“

Lukáš Slavický | Foto: aus dem Archiv von Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Wie arbeiten Sie mit dem Theaterdirektor zusammen?

„Sehr eng, denn er ist der Intendant. Aber ich kann meine eigenen Entscheidungen treffen, was das Repertoire anbelangt. Ich stelle ihm meinen Spielplan vor, und er ist sehr offen. Es war eigentlich auch er, der mich nach Budweis geholt hat, die Zusammenarbeit läuft sehr gut.“

Gibt es genauso wie bei anderen Theatern auch in Budweis einen Kreis von Ballettfans, die jede Vorstellung besuchen und sich stärker für das Ballett interessieren?

„Ja. Es gab hier auch einen Freundeskreis des Balletts. Die sind sehr nett, sie kommen zu Vorstellungen, aber manchmal fragen sie mich, ob sie auch zu Generalproben kommen können.“

Cinderella | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Arbeiten Sie ebenso mit dem künftigen Publikum zusammen? Gibt es Vorstellungen für Familien mit Kindern?

„Ja. Wir haben vor etwa einem Monat eine Vorstellung für Schulklassen angeboten, eine weitere gibt es in einer Woche. Das Theater hat auch eine kleine Ballettschule. Und selbst wenn ihre Absolventen später nicht mehr tanzen, kommen sie oft zu den Vorstellungen und erzählen davon, dass sie früher die Ballettschule besucht haben. Dies fördert das Interesse für das Ballett und das Theater überhaupt. Ich versuche zudem auch Vorstellungen einzustudieren, die Familien mit Kindern besuchen können. Dazu gehört etwa ,Cinderella‘ mit Prokofjews Musik, die vor kurzem die Premiere hatte.“

Früher gastierten die Ensembles des Südböhmischen Theaters manchmal in Bayern. Gibt es eine Zusammenarbeit mit den Theatern in Passau, Landshut und Straubing?

„Im Moment nicht. 2018 haben wir in Zusammenarbeit mit dem Landestheater Niederbayern in Passau die Tanzvorstellung ,Endstation Sehnsucht‘ aufgeführt. Das war ein großer Erfolg. Wir gastierten dort öfter. Aber dann kam die Corona-Zeit. Es ist jedoch etwas geplant, auch in der Zusammenarbeit mit der Oper. Ich hoffe, dass die Kooperation wieder belebt wird. In Passau gibt es eine Oper, aber kein Ballett, das Publikum ist sehr interessiert und war sehr herzlich. Wir sind auch in Landshut und in Straubing aufgetreten. Das war eine gute Zusammenarbeit.“