Vom Eishockey zum Ballett: Der Tscheche Michal Krčmář ist Tanzstar in Finnland

Michal Krčmář (rechts)

Michal Krčmář ist Balletttänzer und hat am Prager Konservatorium studiert. Nach dem Studium war er zunächst Solist beim Ballettensemble der Prager Staatsoper. Bald begann er jedoch Erfahrungen auch in der internationalen Szene zu sammeln. Seit 2011 lebt er in Helsinki. Er ist Étoile – also Starsolist – des Finnischen Nationalballetts. Vorige Woche war Krčmář zu Besuch in Brno / Brünn. Gemeinsam mit weiteren renommierten Solisten tanzte er dort bei einer Ballett-Gala zum Welttanztag im Janáček-Theater. Vor der Vorstellung konnte Martina Schneibergová mit Michal Krčmář sprechen.

Michal Krčmář | Foto: aus dem Archiv von Martina Schneibergová

Herr Krčmář, seit etwa zwölf Jahren leben Sie in Finnland. Wie war Ihr Weg zum Engagement beim Finnischen Nationalballett?

„2010 habe ich erstmals Finnland besucht. Damals wurde ich als Gast eingeladen, um die Rolle des Prinzen im Ballett ,Der Nussknacker‘ im Nationaltheater in Helsinki zu tanzen. Nach zwei Vorstellungen wurde mir das Engagement im dortigen Ensemble angeboten. Da ich mich schon immer danach sehnte, auch im Ausland zu tanzen, habe ich mich entschieden, das auszuprobieren.“

War das damals ein Zufall, dass Sie gerade nach Finnland eingeladen wurden?

„Eigentlich schon. Bei der jetzigen Gala in Brünn tritt auch Nikola Márová (erste Solistin des Balletts des Prager Nationaltheaters, Anm. d. Red.) auf. Sie hat 2009 zusammen mit mir in Prag in ,Schwanensee‘ getanzt. Der damalige Chef des Finnischen Nationalballetts stellte die Choreographie für das Tschechische Nationalballett zusammen. Ich tanzte damals in der Prager Staatsoper mit Nikola. In Finnland standen zu der Zeit viele Nussknacker-Vorstellungen innerhalb eines Monats auf dem Programm. Nachdem sich einige der dortigen Hauptdarsteller verletzten, suchte der Chef des Ballettensembles nach einem Tänzer, der aushelfen konnte. Und Nikola Márová empfahl ihm damals, mich einzuladen.“

Bevor Sie Tänzer geworden sind, haben Sie als Kind viel Sport getrieben, darunter auch Eishockey gespielt. Das passt irgendwie zu Finnland…

„Eishockey und auch Fußball habe ich als Kind mit großer Leidenschaft gespielt.“

„Eishockey ist in Finnland zweifelsohne der Sport Nummer eins. Eishockey und auch Fußball habe ich als Kind mit großer Leidenschaft gespielt. Aber meine Eltern hatten nicht genügend Geld dafür, damit ich Sport auch auf professioneller Ebene hätte weitermachen können. Und der Tanzunterricht für Kinder kostete nicht viel. Meine Mutter war zudem Tänzerin, aber nicht Balletttänzerin. Sie erkannte, dass ich ein Feingefühl für Musik habe. Darum wollte sie, dass ein Experte meine Begabung einschätzt. Den Tanzunterricht an meiner Grundschule leitete damals eine Solistin vom Prager Nationaltheater. Sie empfahl mich nach der ersten Tanzlektion für das Studium am Prager Konservatorium. Dank der Zusammenarbeit des Nationaltheaters mit dem Konservatorium sind wir schon als Kinder in Ballettvorstellungen aufgetreten. Ich erinnere mich daran, dass ich mit etwa zwölf Jahren eine Rolle in ,Dornröschen‘ hatte. 2007 (mit 17 Jahren, Anm. d. Red.) tanzte ich schon die Rolle des Prinzen.“

Eishockey - Sport Nummer eins in Finnland  (WM2019) | Foto: Michaela Danelová,  iROZHLAS.cz

Helfen Ihnen die Fähigkeiten aus dem Sport auch beim Tanzen?

„Wenn ich tanze, nutze ich die virtuosen Elemente, die Koordinierung der Bewegungen, die ich als Kind gelernt habe.“

„Absolut! Ich habe früher ebenso Karate gemacht. Wenn ich tanze, nutze ich die virtuosen Elemente, die Koordinierung der Bewegungen, die ich als Kind gelernt habe. Ich würde sagen, dass Tänzern, die das ganze Leben lang nur Ballett trainiert haben, dies fehlt. Als Kind habe ich bei Karate auch akrobatische Übungen gemacht, und diese Elemente verbinde ich mit dem Tanz. Ich nutze diese Fähigkeiten bis heute.“

Während Ihrer Karriere haben Sie viele internationale Preise gewonnen. So erhielten Sie beispielsweise 2015 den Edvard-Fazer-Preis, mit dem die Finnische Kulturstiftung jene Tänzer auszeichnet, die am meisten zur Entwicklung des Ballettensembles beigetragen haben. Sie wurden aber auch in Italien ausgezeichnet…

„Der Preis in Italien war für mich eine Überraschung. Meine Frau stammt aus Italien, ich spreche Italienisch. 2019 und 2020 tanzte ich als Gast im Theater San Carlo in Neapel. Dort habe ich vermutlich die Aufmerksamkeit geweckt. 2021 bekam ich den Preis ,Premio Capri Danza Internazional‘, der für internationale Verdienste verliehen wird.“

Michal Krčmář | Foto: aus dem Archiv von Martina Schneibergová

Sie tanzen in klassischen, neoklassischen sowie modernen Balletten. Haben Sie eine Rolle, die Sie besonders gern mögen?

„Meine Lieblingsrolle ist Basilio in ,Don Quixote‘, den ich auch bei der Gala in Brünn tanze. Ich mag die Choreografien von John Cranko sehr, dem langjährigen Leiter des Stuttgarter Balletts, insbesondere seinen Romeo und seinen Onegin. Zu meinen Top-Rollen gehören zudem Spartakus und Solor in ,La Bayadère‘. In dieser Saison haben wir die Choreografie ,Dust‘ einstudiert, die der Choreograf Akram Khan 2011 für das Englische Nationalballett kreiert hat. Wir bekamen in Finnland die Lizenz, um das Stück aufführen zu können. Das war die modernste Choreografie, die ich bisher getanzt habe. Es war eine phantastische Erfahrung.“

Möchten Sie selbst auch Choreograf werden?

„Bestimmt. Das würde mir sehr gefallen. Ich habe schon einige Choreografien selbst zusammengestellt. Aber derzeit habe ich als erster Solist und Familienvater keine Zeit dazu. Nach der Tänzerkarriere würde mich die Arbeit des Choreografen sehr locken.“

Wie wäre es mit der Regie?

„Regie liebe ich. Ich liebe Film, alte Filme. Regisseur Miloš Forman ist für mich der Regisseur Nummer eins. Mir würde gefallen, Film mit Ballett zu verbinden.“

Hatten Sie schon die Möglichkeit, die Arbeit als Regisseur auszuprobieren?

„Ja, schon. Bei einem Festival in Finnland hatte ich Regie bei einer Schwanensee-Inszenierung. Ich wollte sie auch denjenigen näher bringen, die vielleicht Ballett zuvor nicht kannten.“

Michal Krčmář | Foto: aus dem Archiv von Martina Schneibergová

Als Tänzer sind Sie mittlerweile in vielen Ländern fast der ganzen Welt aufgetreten. Unterscheidet sich das Publikum in den einzelnen Ländern voneinander?

„Jedes Land hat eine andere Geschichte, einen anderen Charakter – und das wirkt sich auf die Bevölkerung und damit auch auf die Reaktionen des Publikums auf die Ballette aus. Es gibt Länder, in denen bestimmte Choreografien abgelehnt werden. In anderen Ländern werden sie wiederum mit Beifall belohnt. Es ist wichtig, zu wissen, für wen und wie man tanzt.“

Verfolgen Sie die Ballettszene in Tschechien?

„Durchaus. Ich verfolge die Tanzszene und bin mit vielen ehemaligen Mitschülern und Kollegen weiterhin in Kontakt.“

Gibt es eine Rolle, die Sie noch nie getanzt haben, aber gerne tanzen würden?

„Ja: James im Ballett ,La Sylphide‘, das derzeit in Prag einstudiert wird. Und auch Collin in ,La Fille mal gardée‘. Diese Partie habe ich nie getanzt.“

Wie sehen Ihre Pläne nach der Rückkehr nach Finnland aus?

„Ich habe zuletzt im Ballett ,Raymonda‘ von der Choreografin und Regisseurin Tamara Rojo getanzt, die ab nächster Spielzeit das Ballettensemble in San Francisco leiten wird. Unser Opernhaus in Finnland wird gerade renoviert. Darum wurde eine große Tournee für das Ballett- und Opernensemble organisiert. Die Vorstellungen finden im Mai in verschiedenen Eishockey-Arenen in Finnland statt. Anschließend trete ich mit Yolanda Correa bei Galaabenden in Deutschland auf. Wir tanzen Ausschnitte aus den Balletten ,Spartakus‘ und ,Don Quixote‘. Danach werde ich mit meiner Familie zum Urlaub nach Sizilien fahren. Und schließlich komme ich nach Prag, wo ich die Master Class bei Daria Klimentová leiten werde.“

In Brünn tanzen Sie gleich bei einer Gala. Treten Sie im Ausland lieber als Gast in einer abendfüllenden Ballettvorstellung oder als Solist nur in einem Ausschnitt aus einem Ballett auf?

„Ich habe vor kurzem in ,Schwanensee‘ im Estnischen Nationalballett gastiert, und wir sind mit dem Ballett nach Irland gereist, wo sieben Vorstellungen aufgeführt wurden. Es ist schon anspruchsvoll, wenn man in einem Theater im Ausland in einem abendfüllenden Ballett tanzt. Die Galaabende sind eher eine Entspannung, denn man trifft Menschen, die man lange nicht gesehen hat. Und es handelt sich um eine Reise, die vielleicht zwei Tage dauert. Natürlich sind abendfüllende Ballette besser, denn man fühlt sich in die Rolle ein – und es geht nicht nur um die Virtuosität der Bewegungen wie bei einer Gala. In den abendfüllenden Vorstellungen gibt es die Möglichkeit, sich künstlerisch zu äußern, die Entwicklung der dargestellten Person vom Anfang bis zum tragischen Ende oder dem Happy End darzustellen. Dies ist eine Herausforderung.“

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