Stichwort Konkurrenzfähigkeit: Neues Ausländergesetz soll Migrationsverfahren in Tschechien digitalisieren
Überfüllte Warteräume, Papierdokumente und Fotos in Mehrfachausführung, lange Ausstellungsfristen von Aufenthaltsgenehmigungen – die Einwanderungsbehörden in Tschechien arbeiten wenig effektiv. Seit der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine zeigt sich dieses Problem wieder in einem Ausmaß, das mit den Modernisierungsmaßnahmen der letzten 15 Jahre schon überwunden zu sein schien. Darum hat das Innenministerium ein neues Ausländergesetz vorbereitet. Hauptanliegen ist die Digitalisierung des gesamten Aufnahmeverfahrens bis hin zur Regelung des Aufenthaltsstatus.
Digitalisierung sei das Alpha und Omega eines effektiveren Einwanderungsverfahrens in Tschechien. So bringt es Tomáš Petyovský auf den Punkt. Seine Consultingfirma Petyovský & Partners ist auf Migrationsrecht spezialisiert und hatte am Montag in Prag zur Vorstellung des neu geplanten Ausländergesetzes geladen. Pavla Novotná, die Abteilungsleiterin für Asyl- und Migrationspolitik beim Innenministerium, gestand zum Auftakt ein:
„Wir wissen seit langem, dass Tschechien ein neues Gesetz braucht. Schon 2012 wurde im Innenministerium eine konkrete Zielsetzung formuliert, die von der damaligen Regierung auch genehmigt wurde. Dann fiel diese Regierung aber auseinander, und die Pläne wurden nie umgesetzt. Daraus haben wir gelernt und dieses Mal gar nicht erst eine Zielsetzung eingereicht. Denn wir wussten, dass es nicht in einer Legislaturperiode zu schaffen ist. Also haben wir direkt begonnen, einen neuen Gesetzesentwurf zu verfassen.“
Das aktuell geltende „Gesetz zum Aufenthalt von Ausländern auf dem Gebiet der Tschechischen Republik“ (Zákon o pobytu cizinců na území České republiky) gilt seit dem Jahr 2000, und bis heute wurden über 60 Ergänzungen angefügt. Die geplante Novelle soll noch in diesem Jahr der Regierung vorgelegt und im kommenden Jahr im Parlament verhandelt werden.
Inhaltlich wird es wenig Neues geben. Vielmehr würden einige Definitionen konkretisiert, sagt Jindřiška Sedláková, Abteilungsleiterin für Asyl- und Migrationsgesetzgebung:
„Wir grenzen auch den Begriff ‚Ausländer‘ neu ein. Er wird EU-Bürger, Bürger aus Drittstaaten, Personen ohne Staatszugehörigkeit und Familienangehörige einbeziehen. Der Begriff selbst wird im Text nur dann benutzt, wenn es um alle Betreffenden geht, etwa im Bereich von Verstößen. Ansonsten wird streng unterschieden, für wen eine bestimmte Anordnung gilt, eben ob für EU-Bürger oder Menschen aus einem Drittland.“
Die Prinzipien der legalen Migration nach Tschechien würden auch im neuen Gesetz gleich bleiben, betont Pavla Novotná. Um hierzulande einen Aufenthaltstitel zu erlangen, müssen das Vorstrafenregister, der Zweck des Aufenthalts, die Unterbringung, die Finanzierung des Aufenthalts und die Gesundheitsversorgung geklärt sein. Weiter erläutert Novotná zur Novelle:
„Abgesehen vom Antragsprozess und der Digitalisierung wird es nur wenige faktische Änderungen geben. Denn zu etwa 70 Prozent besteht das neue Gesetz aus Übernahmen aus der EU-Gesetzgebung. Es besteht also kein so großer Spielraum für Korrekturen. Generell ist die Lust an einer Erneuerung der Migrationsgesetzgebung auf EU-Ebene bei den Mitgliedsstaaten im Moment sehr gering. Das heißt, es gibt momentan keinen Druck, um grundsätzliche Veränderungen zu formulieren.“
Bessere Verständlichkeit und zügigere Abläufe
Das Ziel des neu formulierten Gesetzes sei eine bessere Verständlichkeit, fährt Paval Novotná fort. Die bisherigen 200 Paragraphen würden entzerrt und in 600 Paragraphen aufgeteilt, trotzdem sei der Text an sich nun kürzer. Der Kernpunkt und die wichtigste Veränderung im künftigen Migrationsverfahren sei aber die Digitalisierung, hebt Novotná hervor. Ihr Kollege Luboš Šafránek von der Abteilung für Asyl- und Migrationspolitik beschreibt die aktuelle Vorgehensweise in den Meldestellen des tschechischen Innenministeriums:
„An den Schaltern werden jährlich eine Million Menschen bedient. Dies galt allerdings noch vor dem Beginn der russischen Aggression in der Ukraine. Danach erhöhte sich die Zahl der Ankommenden praktisch von einem Tag auf den anderen um 40 Prozent, und die Million wird in den neuen Statistiken sicher übertroffen werden. Sie stammt also aus einer Zeit, als 670.000 Ausländer im Land waren. Rein statistisch besuchte jeder dieser Menschen 1,3 Mal pro Jahr eine unserer Filialen. Natürlich haben Zuwanderer andere Bedürfnisse als Einheimische. Bei einer Erhebung vor längerer Zeit waren sieben Besuche in der Meldestelle während eines Aufnahmeverfahrens durchaus üblich.“
Mit Blick auf den Titel der Veranstaltung am Montag – „Digitalisierung der Migrationspolitik: Revolution oder Evolution?“ – kommentierte Šafránek, dass das Innenministerium mit seinen Digitalisierungsplänen vor zehn Jahren vielleicht für einen Wow-Effekt gesorgt hätte. Nun aber werde lediglich aufgeholt, was im öffentlichen Leben längst Standard sei, so der Ministeriumsmitarbeiter.
Im Mittelpunkt des neuen Migrationsverfahrens wird ein elektronisches Informationssystem stehen, das mit ICAS (Integrovaný cizinecký informační systém) abgekürzt ist. Damit solle der Druck von den Schaltern der Meldestellen genommen und ins Backoffice verlagert werden, hieß es bei der Präsentation. Andrea Celá ist mit der Umsetzung der Pläne befasst:
„Ziel des neuen Ausländergesetzes ist eine elektronische Abhandlung der Migrationsagenda, und das in größtmöglichem Maße. Das gewählte Mittel ist ein persönliches Konto. Laut Gesetz wird dies ein Kommunikationsmittel sein. Es wird aber mindestens noch eine weitere Funktion haben: Der Ausländer oder auch sein Arbeitgeber werden über den Stand des Migrationsverfahrens und des Aufenthaltsstatus informiert.“
Im Tschechischen ist hier – in Anlehnung an den Namen des Gesetzes – die Rede von einem „cizinecký účet“, also einem Ausländerkonto. Dafür habe man sich an dem Prinzip eines Kontos beim Onlinebanking inspiriert, wirft Luboš Šafránek ein. Mit diesem könne man eben auch Erledigungen tätigen und würde gleichzeitig von seiner Bank über wichtige Vorgänge informiert.
Vor allem werden Zuwanderer künftig über ihr persönliches Konto die nötigen Formulare einreichen. Mit einigen wenigen Eingangsfragen solle der jeweilige Zweck des Aufenthalts festgestellt und der Betreffende gezielt zu den passenden Dokumenten geleitet werden. Und weiter Šafránek:
„Derzeit wird alles auf Papier erledigt. Für mich und für viele meiner Kollegen bedeutet Digitalisierung allerdings nicht, dass eine PDF-Vorlage heruntergeladen und per Hand ausgefüllt oder auch direkt am Computer bearbeitet werden kann. Darum geht es nicht. Digitalisierung sollte vielmehr all diese Formulare so weit wie möglich abschaffen. Es geht um eine Datensammlung über den Einwanderer. Wir wollen also den Papierkram loswerden und ihn in eine elektronische Form bringen.“
Im persönlichen Konto solle es auch eine automatische Erinnerungsfunktion geben, wenn sich etwa das Ende des Aufenthaltsstatus nähere und ein Verlängerungsantrag nötig werde, fährt Šafránek fort. Klare Vorteil der Digitalisierung seien ein flexibles Zeitmanagement und die globale Vernetzung…
„Es gab schon Fälle, bei denen ausländische Studenten über die Ferien in ihr Heimatland gefahren sind und währenddessen die Aufenthaltsgenehmigung auslief. Bisher mussten sie zur Verlängerung zurück nach Tschechien kommen. Neu werden sie die nötigen Schritte von Zuhause aus machen können. Unser Ministerium kommuniziert dann mit ihnen über das persönliche Konto. Damit sollten keine Briefe mehr verloren gehen, die bisher oft an die Rezeption im Studentenwohnheim geschickt werden.“
Pläne für verpflichtende Registrierung von EU-Bürgern
Das neue Ausländergesetz in Tschechien soll also vor allem für eine Reduzierung der persönlichen Kontakte in den Meldestellen sorgen und gleichzeitig für eine zügige und wenig zeitaufwendige Onlinekommunikation. Im Einbürgerungsprozess an sich wird zudem die Institution eines sogenannten Garanten eingeführt. Dieser sei vor allem bei der Wirtschaftsmigration von Bedeutung, so die Ministeriumsvertreter, wobei diese Rolle dann zumeist der Arbeitgeber übernehme.
Eine weitere Neuerung könnte es für EU-Bürger geben. Bisher muss jemand mit einer anderen EU-Staatsbürgerschaft, der sich länger als 30 Tage in Tschechien aufhält, lediglich bei der Fremdenpolizei vorstellig werden. Den Nachweis über den vorübergehenden und später den dauerhaften Aufenthalt kann er sich vom Innenministerium ausstellen lassen, er muss aber nicht. Dies könnte sich mit dem neuen Gesetz ändern, schildert Pavla Novotná:
„Bisher gilt für EU-Bürger eine freiwillige Registrierung beim Innenministerium. In den vergangenen drei Jahren, vor allem in der Corona-Pandemie, hat sich gezeigt, dass dies ein riesiger Schlammassel ist. Und es wird in jeder weiteren Krise der Zukunft ein Problem sein. Bei Ausnahmevorschriften jeder Art weiß niemand, wie Nachweise erbracht werden und für wen die Normen überhaupt gelten. Schätzungen zufolge leben in Tschechien bis zu 200.000 Menschen aus anderen EU-Ländern, die nicht registriert sind, und darum wissen wir von ihnen eigentlich gar nicht. Sie sind nicht im Bevölkerungsregister eingetragen, und darum können wir sie nicht in unsere Arbeit einbeziehen. In der Corona-Pandemie, etwa bei der Impfkampagne, hat sich dies als echtes Problem herausgestellt.“
Die Entscheidung, ob eine verpflichtende Registrierung von EU-Bürgern beim tschechischen Innenministerium eingeführt wird, werde letztlich von der Politik getroffen, fügt Novotná hinzu.
Das gesamte Ausländergesetz hingegen hat vor allem wirtschaftliche Bedeutung. Wie die Consultingfirma Petyovský & Partners in einer Stellungnahme betont, erhöhe sich durch die Digitalisierung und eine beschleunigte Vergabe eines Aufenthaltsstatus die Konkurrenzfähigkeit Tschechiens deutlich. Natürlich kostet dies alles auch etwas. Allein für das neue Informationssystem ICAS habe es vergangene Woche gerade die Zusage von 300 Millionen Kronen (12,7 Millionen Euro) aus dem Nationalen Corona-Aufbauplan gegeben, verkündet Luboš Šafránek. Dies sei an weitere 60 Millionen Kronen (2,6 Millionen Euro) aus dem Staatshaushalt gebunden. Durch diese Finanzierung könne in anderthalb Monaten die öffentliche Ausschreibung für die Umsetzung gestartet werden, so Šafránek. Und Pavla Novotná unterstreicht, welche Bedeutung das Online-Instrument für die Einführung des Gesetzes habe:
ZUM THEMA
„Es ist ganz egal, was wir in das Gesetz hineinschreiben, solange es keine Kapazitäten für seine Umsetzung oder ein System dafür gibt. Dies ist der Stein des Anstoßes. Das Gesetz ist wirklich nur die Beschreibung dessen, wie es sein sollte. Wenn es aber nicht wirklich umgesetzt wird, ist es nutzlos.“
Darum seien das Gesetz und das Informationssystem ICAS quasi Zwillinge, ergänzt Novotná. Ohne die fertige Plattform werde das Gesetz zahnlos sein. Es könne allerdings auch passieren, dass die Novelle im Parlament keinen Prioritätsstatus erlange und das geplante Inkrafttreten bis 2026 nicht erreicht werde, so die Expertin aus dem Innenministerium. Dann wiederum könne ein fertiges Informationssystem nicht all das leisten, wozu es vorgesehen ist. Die Abstimmung dieser beiden parallelen Prozesse sei die eigentliche Herausforderung des ganzen Projektes, sagt Pavla Novotná.